Sat.1 vor der Programm-PK: Aus dem Gröbsten raus?

Am Mittwoch wird Nicolas Paalzow das neue Sat.1-Programm vorstellen. In der Sat.1-Zeitrechnung ist Paalzow dabei schon ein richtig alter Hase. Manuel Weis über den Zustand des Bällchensenders, neue Vorabendideen und die deutsche Fiction.

Marktanteilsentwicklung Saison 13/14

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September 2013 bis Mai 2014, MA 14-49
Dass ein Sat.1-Geschäftsführer in seine nunmehr dritte Saison geht, ist angesichts der extremen Personalrocharden des Bällchensenders bis 2012 durchaus unüblich. Seit Spätsommer 2012 hält nun Nicolas Paalzow die Zügel in der Hand – und kann durchaus einige Erfolge vorweisen. Paalzow sanierte große Teile der Primetime, die vor seiner Zeit in Ermangelung an eigener Ware durch US-Spielfilme aufgefüllt werden mussten. Unter seiner Führung entstand auch der neue – und wirklich sehr erfolgreiche – Nachmittag mit Formaten wie «Anwälte im Einsatz» oder «Mein dunkles Geheimnis». Und trotz der jüngst erzielten Erfolge gilt Sat.1 immer noch als eines der Sorgenkinder unter den großen Sendern. Denn weiterhin fehlt es dem Sender an Charme und Identität. Im Umfeld des Kanals wird dies nach wie vor noch auf den Umzug von Berlin nach München zurückgeführt.

Damals verließen fast alle kreativen Köpfe den Sender – aufgefüllt wurde das Personal durch schon für ProSiebenSat.1 in Unterföhring arbeitende Kräfte. Genau diese Ausrede darf Jahre nach dem Umzug nun aber nicht mehr gelten. Blickt man allein auf die Marktanteilsentwicklung des Kanals, dann ist übermäßige Kritik ohnehin nicht angebracht. Als Paalzow antrat, dümpelte der Kanal mit durchschnittlich 9,2 Prozent Marktanteil bei den wichtigen Umworbenen vor sich her. Im März und April 2014 generierte der Kanal nun 9,8 und 9,5 Prozent, im Mai ging es auf 9,1 Prozent bergab. Angesichts der zunehmenden Fragmentierung und vor dem Hintergrund, dass RTL im Vergleichszeitraum rund zweieinhalb Prozentpunkte verlor, ist das Halten des Status Quo für Sat.1 durchaus als Erfolg zu werten.

Das heißt aber nicht, dass es beim Sender nicht große Baustellen gibt, die schon viel zu lange brach liegen. Wenn Nicolas Paalzow am kommenden Mittwoch in Hamburg das Programm für die neue Saison 2014/2015 vorstellt, dann wird es nicht nur auf gute Primetime-Formate ankommen (eine Showoffensive wurde in den vergangenen Wochen ja schon angekündigt), sondern vor allem auf den Vorabend. Seit mehr als einem Jahr müssen dort die Ermittler von «Navy CIS» in Doppelschichten antreten. Das, was eigentlich als Notlösung für einen Sommer angedacht war, zieht der Münchner Sender nun seit mehr als einem Jahr durch. Die Quoten? Durchweg unterdurchschnittlich – passende Alternativen präsentierte Sat.1 ein ganzes Jahr lang nicht. Es gab keine Vorabendtests, es wurde nur hinter den Kulissen gewerkelt.

Entsprechend dürfte John de Mols «Utopia», dessen Einkauf Sat.1 im späten Frühjahr groß verkündete, das Senderhighlight der kommenden Saison werden. Der «Big Brother»-Klon wird nach Quotenmeter.de-Infos im September oder Oktober starten, zuvor wird eine zweite Staffel von «Promi Big Brother» die Reality-Fans schon mal zum Münchner Sender treiben. Allein mit «Utopia», das im Mutterland Niederlande übrigens in einer 30 Minuten langen Vorabendversion läuft, wird das Problem der Access Prime nicht zu lösen sein. UFA Serial Drama arbeitet an einer neuen Daily für die Münchner, auch die Genres Quiz und Magazin sind heiß im Gespräch.

Beackert werden muss aber auch das Genre der deutschen Fiction, denn trotz beachtlicher Erfolge von «Der letzte Bulle» und «Danni Lowinski» zeigt sich die Produzentenbranche mit Sat.1 in diesem Punkt nicht mehr so zufrieden wie früher. Die Anzahl der eigenproduzierten Filme wurde zuletzt Stück für Stück reduziert. An 20 bis 30 Stück pro Jahr kommt der Privatsender somit längst nicht mehr ran – und der Dienstagabend tut sich immer schwerer, mal wirklich herausragende Werte einzufahren. Im Film-Bereich ging Sat.1 zuletzt also weg von der 08/15-Massenproduktion und hin zu großen Fiction-Events. Die dürften auch in der kommenden Saison auf dem Plan stehen, sollten dann aber schon mehr Leuchtturm-Funktion haben als der zwar viel besprochene, aber zuletzt doch nicht massenweise gesehene «Rücktritt».

Spannend wird auch die Frage, ob das Durchrotieren, das man sonst nur von den Senderchefs kennt, auch bei den Sendergesichtern weitergeht. Trotz Exklusiv-Vertrag ist seit Monaten in Sat.1 nichts mehr von Cindy aus Marzahn zu sehen. Oliver Pocher, eine Zeit lang enorm vom Münchner Sender gehypt, konnte den Münchnern in den vergangenen Wochen ebenfalls keine Rechnung ausstellen. Beiden droht eventuell das Schicksal des Johannes B. Kerner, der trotz bestehendem Vertrag eine Zeit lang nicht eingesetzt wurde und den Sender dann im Knatsch verließ.

Von der wichtigsten Programmpräsentation in der Ära Paalzow zu sprechen, wäre in diesen Tagen sicherlich übertrieben. Dieses Kunststück musste der erfahrene TV-Manager vor einem Jahr vollbringen, als sein Sender programmtechnisch noch weitaus schlechter bestückt war als heute. Dennoch: Um den Status Quo weiter zu halten – und sonderlich viel mehr erwartet man vom Sender Sat.1 inzwischen ja nicht mehr – muss in der Chefetage weiter Gas gegeben werden. Dazu muss die Konzernführung aber erst einmal überzeugt werden, dass Programm eben auch Geld kostet und kosten darf. Manchmal sind rote Zahlen und ein gutes Image für einige Zeit sogar besser als fette Gewinne bei einem vor sich hin krebsenden Sender.
28.06.2014 10:33 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/71491