RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff spricht mit uns über die Grenzen seiner TV-Selbstversuche und warum bei seinen Übernachtungsreportagen abends die Masken fallen…
Zur Person: Jenke von Wilmsdorff
Seit 2001 arbeitet Jenke von Wilmsdorff als Reporter, Autor und Redakteur für RTL – zunächst für das Magazin «Extra». Sein TV-Selbstversuch «Das Jenke-Experiment» erhielt 2012 den Juliane-Bartel-Medienpreis. Zudem wurde der heute 48-Jährige für seine Reportage „Das gnadenlose Geschäft mit der Flucht aus Afrika“ für den weltweit renommierten „Emmy“-Fernsehpreis nominiert. Mit seinem aktuellen Buch „Wer wagt, gewinnt: Leben als Experiment“ geht er ab November auf bundesweite Lesetour.Jenke von Wilmsdorff, wie kommen Sie auf passende Themen für Ihre Sendungen?
Ich halte Ohren und Augen auf. Die spannendsten Geschichten habe ich nicht irgendwo gelesen, sondern durch Gespräche erfahren. Neben dem täglichen Studieren der Tages- und Internetpresse habe ich durch meine Reisen immer wieder Menschen kennengelernt, die mich auf Außergewöhnliches in ihrem Umfeld hinweisen. Es kommt auch vor, dass ich einen Anruf aus Indien oder Afrika bekomme, weil ich inzwischen in fast jedem Land jemanden kenne. Auch bei meinen Experimenten schaue ich, worüber die Leute sprechen. Was ist gesellschaftlich relevant? Da lese ich dann Meldungen wie: Wir Deutsche haben ein Alkoholproblem, wir Deutsche sind zu dick etc. - Automatisch habe ich dann das Thema, was uns alle interessiert, die Zuschauer und auch mich. So kann ich mit voller Überzeugung die Experimente angehen.
«Das Jenke Experiment» erfordert vollen Körpereinsatz – im wahrsten Sinne des Wortes. Warum tun Sie sich das an, es ginge journalistisch ja auch anders?
Ich habe den größten Respekt vor den Kollegen, die Themen auf die klassische Art angehen. Ich will nur einen Schritt näher ran. Ich betrachte meine Herangehensweise als eine andere Art des Journalismus, die im Übrigen nicht neu ist. Mein Ansatz ist es, für eine begrenzte Zeit tiefer einzutauchen, um auch andere Perspektiven zu entdecken. Dabei bin ich immer bestens vorbereitet und werde, wenn nötig, medizinisch begleitet. Denn auch ich habe meine Grenzen. So würde ich nichts machen, was mich und meine Liebsten langfristig physisch oder psychisch schädigen könnte. Und doch will ich aber mehr! Das war immer das, was mich am Journalismus interessiert hat. Ich will so nah ran wie möglich – auch körperlich.
«Das Jenke Experiment» läuft rund um die Uhr – also auch, wenn Sie zu Hause sind. Ernsthaften Streit mit der Lebensgefährtin gab es aber nie?
Nein! Natürlich hat sie bei manchen Geschichten oder Experimenten, die sehr intensiv sind, Bedenken. Doch sie kennt mich und weiß, wie ich die Dinge angehe. Sie vertraut meinem Sachverstand und meiner Selbsteinschätzung und ist doch meine wichtigste Kritikerin und Beraterin. Zudem stimme ich meine Experimente mit ihr im Vorfeld ab. Hätte ich dabei das Gefühl, ein Experiment könnte zu einer ernsthaften Krise in unserer Beziehung führen, würde ich es nicht angehen.
Bei Sat.1 gab es von den «akte»-Kollegen ein ähnliches Format, das nach starker Kritik sogar personelle Konsequenzen nach sich zog…
Was erfolgreich ist, wird von anderen adaptiert. Das war schon immer so. Da koppelt man sich gerne an. Ich betrachte das als Kompliment und Bestätigung. Und hin und wieder schaue ich mir auch an, wie die entsprechenden Kollegen die Themen angehen. Doch zu diesem besonderen Fall kann ich nichts sagen – nur zu mir: Mein Anspruch ist immer Authentizität. Sollte ich bei meinen Experimenten versagen oder an für mich unüberwindbare Grenzen stoßen, dann werde ich dies auch thematisieren. Das gehört zum Leben dazu und wenn ich eintauche in eine Geschichte, dann zeige ich, was passiert. Da wird nichts geschönt.
Sie produzieren derzeit wieder…
Ja, ich habe mit den Dreharbeiten für die neuen Folgen von «Das Jenke Experiment» vor vier Wochen in Los Angeles begonnen. Ein Thema wird "Schönheit und Körperkult" sein, mit seinen positiven wie negativen Seiten. Ein sehr aktuelles Thema in einer Zeit, in der nur noch Jugend, und Attraktivität, Belastbarkeit und verkrampfte Individualität zu zählen scheint. Über die weiteren drei Experimente mag ich noch nichts sagen. Zudem produzieren wir gerade weitere Folgen von «Jenke – Ich bleibe über Nacht». Der Pilot mit Kim Dotcom in Neuseeland interessierte die Zuschauer so sehr, dass ich ab dem 15. November, jeweils Sonntag um 19.05 Uhr, bei anderen spannenden Persönlichkeiten über Nacht bleiben werde. Auch diesmal werde ich intensive Gespräche führen, um privatere Einblicke zu bekommen. Das sind diesmal aber nicht nur Prominente, die ich besuche. Es sind vornehmlich Menschen, die eine Geschichte zu erzählen haben oder ein außergewöhnliches Leben führen. Persönlichkeiten, von denen wir feste Bilder im Kopf haben, gute wie schlechte.
Ich versuche in den 24 Stunden, die ich mit ihnen verbringe, vornehmlich die anderen Seiten meiner Gastgeber zu zeigen, Bilder geradezurücken. Kim Schmitz war so ein Beispiel: Da hatten wir alle das Vorurteil des oberflächlichen, lauten Typen im Kopf, der sich über nichts Gedanken zu machen scheint. Doch ich bin sicher, es ist uns gelungen, ein viel differenzierteres Bild von ihm zu zeichnen. Wie jeder Mensch, so hat natürlich auch Kim Schmitz unterschiedliche Facetten und viel mehr zu bieten. Das ist es, was mich an diesem Format so begeistert. In den neuen Folgen besuche ich unter anderen einen Koch, der vor 30 Jahren nach Amerika gegangen ist, um sein Glück zu suchen. Er hat den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Millionär geschafft, besitzt mittlerweile über 90 Restaurants und stattet Hollywood-Filmpremieren und den „Super Bowl“ aus.
Das ist also jemand, der es auf den ersten Blick geschafft hat, mit 10 Millionen Dollar-Anwesen und Luxusautos. Doch privat hat er sein Glück nicht gefunden oder wieder verloren, je nachdem, wie man es betrachtet. Das sind die Kontraste, die mich interessieren. In einer anderen Folge besuche ich Margarethe Schreinemakers, die bekannteste, innovativste und erfolgreichste Fernsehmoderatorin ihrer Zeit. Auch von ihr glauben wir, alles zu wissen, haben unser festes Bild im Kopf. Doch Margarethe überrascht in jedem Gespräch. Selten habe ich einen so offenen, vertrauensvollen und kreativen Menschen getroffen, wie sie.
Stand ein „Experiment“-Dreh schon mal auf der Kippe, weil sie komplett abrechen wollten?
Es gab bisher keinen Moment, in dem ich aus freiem Willen ein Experiment abgebrochen habe. Sollten die Ärzte jedoch einen Abbruch verordnen, wird nicht diskutiert. Bei dem Alkohol- und Blindexperiment gab es jedoch Situationen, in denen ich es nur meinen starken Nerven zu verdanken hatte, dass ich die Nummer durchgezogen habe. Jedes Experiment ist für Körper und Seele so extrem, dass ich natürlich regelmäßig an meine Grenzen stoße. Nur, dass ich mich von ihnen nicht stoppen lasse. Da bin ich sehr robust und angstfrei. Und ich führe Gutes im Schilde, denn mit meiner Herangehensweise will ich eine Brücke zum jeweiligen Thema schlagen. Noch bin ich bereit, durch meine Selbstversuche den Preis dafür zu bezahlen.
Kritiker sagen, der Journalist sitzt nie im selben Boot mit den Protagonisten der Berichterstattung, sondern aus Gründen der Distanz eher im Beiboot. Was entgegnen Sie solchen Kritikern?
Dass ich nicht der bin, der aus dem Beiboot berichtet, sollte doch mittlerweile klar sein. Abgesehen davon, halte ich nichts von solchen Dogmen. 24 Stunden sind zwar mehr Zeit als ein übliches Interview und doch viel zu kurz, um eine Freundschaft zu bilden. Die Distanz verschwindet doch nicht unkontrolliert, nur weil ich näher dran bin. Ich gebe den Menschen, die ich besuche, allerdings die Möglichkeit, ihr Bild geradezurücken und andere Seiten zu zeigen. Wenn ich jeden vorher klassifizieren und vorverurteilen würde und keine Veränderung zuließe, wäre diese Sendung völlig überflüssig und ohne jeden Mehrwert. Ich bin ergebnisoffen und lasse mich auf Menschen ein. Sollte ich ihn trotz allgemeiner Kritik sympathisch finden, dann finde ich ihn sympathisch und berichte darüber. Das ist weit entfernt von einer Verbrüderung. Ich stelle neben freundlichen auch sehr intensive und kritische Fragen. Das hat mir noch kein Gastgeber übel genommen. Und sollte er es tun, würde ich auch das thematisieren.
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Der Journalismus, den wir in diesem Land haben, ist sehr weit gefächert und einzigartig. Und für jeden ist etwas dabei. Ich habe meinen individuellen Ansatz, wie jeder andere Kollege auch. Meine Sendungen sind zum Glück sehr erfolgreich und haben eine hohe Akzeptanz.
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RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff
Wünschen Sie sich denn mehr solche Herangehensweisen im Journalismus?
Der Journalismus, den wir in diesem Land haben, ist sehr weit gefächert und einzigartig. Und für jeden ist etwas dabei. Ich habe meinen individuellen Ansatz, wie jeder andere Kollege auch. Meine Sendungen sind zum Glück sehr erfolgreich und haben eine hohe Akzeptanz. Die Zuschauer scheinen diese Ergänzung zum klassischen Journalismus offenbar zu schätzen. Warum sollte ich da jetzt appellieren? Jede Form hat seinen Anspruch und seine Berechtigung und genau diese Vielfältigkeit macht es abwechslungsreich und lebendig.
Wie lange drehen Sie an Ihren Projekten?
24 Stunden bei «Jenke – Ich bleibe über Nacht» klingele ich zum Beispiel um neun Uhr morgens, dann reise ich auch am nächsten Tag um neun Uhr erst wieder ab. Das sind sehr lange und intensive Drehtage von bis zu 18 Stunden, in denen man nicht mehr als sechs Stunden ohne den anderen ist. Doch nur so fallen die Masken und Schutzschilder und es wird interessant. Wir kennen das ja alle: Je später der Abend, umso intensiver die Gespräche. Tagsüber hat man sich noch mehr unter Kontrolle und zeigt nur das, was man auch zeigen möchte. Aber gegen Abend wird man offenporiger und lässt mehr Emotionen zu. Das Vertrauen gewinnt. Ein klassischer Selbstversuch bei «Das Jenke Experiment» dauert in der Regel vier Wochen. Dazu drehen wir natürlich die weiteren Themenstränge und ich treffe die Protagonisten, die mich in die Geschichte einführen. Insgesamt kommen wir so pro Folge auf eine Produktionszeit von zirka zwei Monaten. Eine Ausnahme bildet schon jetzt mein erstes neues Experiment "Schönheit und Körperkult". Diesmal dauert mein Selbstversuch sogar drei Monate. Die neue Staffel beginnt im Februar 2015.
Vielen Dank für das Gespräch, Jenke von Wilmsdorff.