Israels Fernsehmacher: Nicht methodisch, nicht systematisch, aber gefragt

Trotz sämtlicher politischer Krisen blüht Israel seit Jahren als Fernsehmarkt auf und versorgt den Rest der Welt mit neuen Showideen.

Die USA hat die Fähigkeit von Keshet und Israel im Fernsehfach erkannt. Unser Ziel ist nicht zu sagen ‚wir brauchen uns für nichts zu schämen‘, unser Ziel ist ein gewichtiger Mitspieler in der Fernsehwelt zu werden. Wir wollen expandieren.“
Avi Nir, israelischer TV-Produzent
Der sich zuspitzende Gaza-Konflikt hat neben den tragischen Auswirkungen auf die Bevölkerung im Mittleren Osten auch Konsequenzen für die Fernsehlandschaft. So brachen die Produzenten der US-Serie «Tyrant» Mitte Juli ihre Dreharbeiten in Israel ab, um die Darsteller und Crew in Sicherheit zu bringen. Die Produktion des politisch aufgeladenen und daher sehr kontroversen Formats wurde bald darauf in der Türkei fortgeführt. Auch die Verantwortlichen der Dramaserie «Dig» zogen wenige Tage später Konsequenz aus den Geschehnissen in Israel. Die vom «Heroes»-Macher Tim Kring erdachte Produktion über einen FBI-Agenten, der in Jerusalem den Mord an einer jungen US-amerikanischen Archäologin untersucht, sollte ursprünglich zu Gunsten einer großen Authentizität zu weiten Teilen an Originalschauplätzen gedreht werden. Aufgrund der wachsenden Opferzahl in der Zivilbevölkerung wurde die bereits geplante Drehpause des Projekts erst in der Hoffnung verlängert, dass sich die Wogen wieder glätten. Da sich die Lage aber nicht besserte, gaben die Produzenten bekannt, vorübergehend im US-Bundesstaat New Mexico zu drehen, dessen Wüstenlandschaften unter anderem bereits in «Breaking Bad» zu sehen waren. Außerdem wird nach neuen exotischen Drehorten gesucht.

Trotz des raschen Endes der «Dig»-Dreharbeiten fanden die Köpfe hinter der Serie nur positive Worte für die Medienprofis in Israel, welche die Produktion ermöglichten: „Unsere Erfahrung in Israel war überaus erfreulich und wir sind sehr dankbar dafür, dass wir die Gelegenheit erhielten, die authentischen Landschaften Israels einzufangen, um Bilder davon in unsere Serie einzupflegen.“ Dass Israel bis zum Abzug der US-Produktionen für reibungslose Dreharbeiten sorgte, dürfte die Serienmacher aber nicht überraschen, denn die 8,19 Millionen Einwohner große Nation ist seit Jahren ein blühender, innovationsfreudiger Fernsehmarkt. Obwohl Israel in der televisionären Entwicklung Westeuropa lange hinterherhinkte (so wurde Farbfernsehen erst in den 80ern eingeführt, erst ab 1986 gab es konkurrierende Sender), hat das krisengerüttelte Land längst aufgeholt und die dortigen Fernsehschaffende überschlagen sich mit Konzepten, die auch international für Furore sorgen.

Der Beginn der TV-Renaissance in Israel lässt sich in etwa auf das Jahr 2005 datieren, als das Fernsehdrama «Be Tipul» Kritiker und Zuschauer begeisterte. Die Serie über einen Psychotherapeuten wurde in mehrere Länder verkauft, darunter in die USA, wo HBO sie als «In Treatment» neu auflegte. Bald darauf erwarb der US-Bezahlsender auch die Rechte an der politisch motivierten Romeo-und-Julia-Geschichte «A Touch Away», bislang kam das US-Remake jedoch nicht zustande. Rasch folgten weitere Studios und Sender dem Vorbild HBOs und sicherten sich die Adaptionsrechte an diversen israelischen Comedy- und Dramaserien. „Es ist fast so, als seien Israels TV-Macher das Farmteam Hollywoods“, kommentierte 2008 der Produzent David Himmelfarb die Goldrausch-Stimmung, mit der amerikanische Serienschaffende Ideen aus Israel für sich beanspruchten.

Während die Dramedy «Loaded» über vier Internetmillionäre und die Romantikkomödie «Mythological X» über eine Frau, die von einer Wahrsagerin erfährt, dass sie einen ihrer Exfreunde heiraten wird, es in den USA bislang nicht über die Pilotphase hinausschafften, gelang 2007 der Castingshow «The Successor» der Weg ins internationale Fernsehen. Uri Gellers Suche nach einem Spitzenillusionisten wurde im Oktober 2007 in den USA als «Phenomenon» adaptiert und im Jahr 2008 in Deutschland als «The Next Uri Geller». Es folgten weitere Versionen in den Niederlanden, Russland, Ungarn, Griechenland, der Türkei und Schweden.

So sehr diese Shows von der heimischen Presse verrissen wurden, so hat «The Successor» aufgrund seines Einflusses auf die israelische Fernsehlandschaft einigen Respekt verdient. Der am meisten geachtete Export Israels mag zwar «Hatufim» sein, die 2010 etablierte Thrillerserie, die sämtliche Quotenrekorde brach, Kritiker weltweit in Begeisterung versetzte und zahlreiche Adaptionen spendiert bekam (darunter «Homeland»). Dennoch ist Israel längst zur Brutstation für ungewöhnliche Realityformate geworden. Fiktionale Serien wie «Hatufim» können aufgrund ihres aufwändigen Entstehungsprozesses nur alle zwei Jahre fortgeführt werden, Dokusoaps und Castingshows dagegen sind auch ohne US-Budgets in großer Frequenz machbar.

Des Weiteren sind die TV-Verantwortlichen in Israel offener für Experimente, was sich gerade im eingefahrenen Realitygenre bezahlt macht. „Wir sind nicht so geordnet wie amerikanische Produktionsfirmen, und es hat durchaus Vorteile, nicht so methodisch und systematisch vorzugehen“, lobt sich Avi Nir (großes Foto), CEO des Networks Keshet Broadcasting, gegenüber dem US-Portal Forward.

Neben der Vorlage zu «Rising Star» erregt aktuell unter anderem «The Big Picture» Interesse bei Branchenbeobachtern. Die Gameshow, produziert von A Capella, der Firma hinter den israelischen Adaptionen von «Survivor» und «Das Model und der Freak», fordert ihre Kandidaten dazu auf, Fotomotive zu erkennen. Clou des Spiels ist ein interaktives Element, das Zuschauern ermöglicht, via App den Studiokandidaten unter die Arme zu greifen. Dieselbe Produktionsfirma ist zudem mit internationalen Studios und Produzenten im Gespräch, um mit «Hide-O-Mania» ein High-Tech-Realityformat auf die Beine zu stellen, dass im Grunde eine aufwändige TV-Version des Versteckspiels darstellt. Ohne interaktiven Ansatz kommen derweil «Win the Crowd» und «Duel Games» aus. Die von Studio Glam entwickelten Sendungen spielen sich in Innenstädten ab und fordern Straßenkünstler zu einem Wettstreit heraus («Win the Crowd») oder laden Passanten zu einem mehrere spontane Aktionsspiele umfassenden Turnier ein («Duel Games»). Beide Sendungen wurden bereits in die USA und diverse andere Märkte verkauft.

Studio Glams aktuell aufwändigste Showidee hört aber auf den Titel «The Extra Mile»: Zehn geschiedene Paare werden für mehrere Tage auf eine tropische Insel verfrachtet, wo sie mehrere Herausforderungen überstehen müssen, um den Jackpot zu gewinnen. Dieser wird einem Treuhandfonds anvertraut und soll die finanzielle Zukunft der Kinder des Gewinnerpaares sichern. Während diese Sendung bislang nur nach Spanien verkauft wurde, konnte United Studios Israel wiederum einige seiner Showformate in zahlreiche Länder exportieren. Darunter «Deal With It», eine zeitgemäße Antwort auf «Versteckte Kamera», die bereits in den USA, Kanada, Griechenland und anderen Staaten adaptiert wurde. Weitere Konzepte des Studios sind die Paar-Gameshow «Shuttle Battle» und «Can You Face It?», eine Show, in der Kandidaten mit harscher, aber wahrer Kritik an ihnen leben müssen.

A-Cappella-Produzent Tal Shaked erklärt gegenüber dem US-Branchenblog 'Deadline' die Innovationsflut in Israel wie folgt: „Wir leben in einem kleinen Land im Mittleren Osten und um uns herum geschieht jede Menge. Bei uns gibt es Juden, Russen, Araber und Äthiopier, Gläubige und Ungläubige. Bei uns wird es nie langweilig, denn unser Land befindet sich in ständiger Bedrohung und wird immer von Gegnern umzingelt. Das macht die Leute hier extrem erfinderisch.“ Ein Fazit, das politisch so betrüblich ist, wie es aus kreativer Sicht inspirierend wirkt – der Schöpfungsgeist des Menschen lässt sich einfach nicht unterkriegen.
02.08.2014 11:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/72147