The Honourable Successor...

Alle suchen nach einem neuen «Homeland». Julian Miller meint, einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben. Im englischen Fernsehen.

«Homeland» ist schon länger kein Kritikerliebling mehr. Während in Südafrika gerade die Dreharbeiten für eine vierte Staffel laufen, mit der man das Ruder wieder rumreißen will, ging im Sommer beim Konkurrenzsender FX mit «Tyrant» eine Serie on air, die mit Nahost-Setting und Terror-Thema die Zuschauer einsammeln wollte, die «Homeland» nach der zunehmenden Banalisierung den Rücken gekehrt haben. Der Schuss ging nach hinten los, denn «Tyrant» entpuppte sich inhaltlich als kolossaler Fehlschlag.

Es lohnt ein Blick ins Vereinigte Königreich, wo die BBC in den letzten beiden Monaten ein Format zeigte, das all die Ansprüche an einen (inoffiziellen) «Homeland»-Nachfolger erfüllen konnte. «The Honourable Woman» heißt die Serie – und ausnahmsweise sind hier einmal die Amerikaner die Nachzügler. Mit einigen Wochen Verspätung wird sie in den USA gerade beim Sundance-Channel ausgestrahlt.

In der Hauptrolle spielt Maggie Gyllenhall die Geschäftsführerin Nessa Stein. Sie steht der Stein Group vor, einem Konzern, der die nicht weniger erreichen will als die Befriedung des Nahen Ostens. Die Stein Group hat dort in den vergangenen Jahren zahlreiche Universitäten gegründet und finanziert derzeit den Ausbau des Kommunikationsnetzes, um so allen Einwohnern in der West Bank Zugang zu Internet und stabilen Telefonnetzen zu ermöglichen. Die Familie Stein ist eng mit der Region verbunden: Nessas Vater wurde von Terroristen ermordet, als sie noch ein kleines Mädchen war. Er hatte ein Vermögen damit gemacht, Kriegsgerät für die israelische Armee herzustellen. Wo der Patriarch Frieden durch Mauern und Waffen erreichen wollte, sucht die nächste Generation eine Lösung durch Bildung, Handel und Austausch.

Doch im Nahen Osten steht man immer zwischen den Fronten. Nessas oberstes Gebot ist es, die Stein Group frei von jeglichen kompromittierenden Einflüssen zu halten. Das wird zunehmend schwerer: Shlomo Zahary, ein langjähriger Geschäftspartner, steht im Verdacht, Geld für die Hezbollah gewaschen zu haben, und der Sohn der palästinensischen Haushälterin der Steins, einer ehemaligen Übersetzerin, ist gekidnappt worden. Die sich überschlagenden Ereignisse stehen in Verbindung mit der Entführung von Nessa bei ihrem letzten Aufenthalt im Gaza-Streifen vor acht Jahren – und damit auch mit den zahlreichen klandestinen Kanälen zwischen der PLO, Israel, dem UK und den Vereinigten Staaten.

Über acht Folgen entspinnt sich ein langsam, aber packend inszeniertes Gewirr aus internationalen und hoch persönlichen Intrigen, die in all ihren zahlreichen, aber zumeist vollumfänglich glaubwürdigen dramaturgischen Verrenkungen die Ausweglosigkeit der politischen Realitäten im Nahen Osten so gekonnt darstellen, wie man das im Fernsehen noch nicht gesehen hat. «The Honourable Woman» vermeidet konsequent Plattitüden, sondern setzt auf Ambivalenzen und Zwischentöne, ohne Haltung einzubüßen. Acht Stunden Laufzeit erlauben Komplexität – die bahnbrechende Vision der Macher erlaubt Anspruch.

Ob sich ein deutscher Sender finden wird, der diese großartige Serie zu einer vernünftigen Sendezeit ausstrahlen wird? Aufgrund ihrer Thematik und ihrer damit einhergehenden politischen Relevanz sowie wegen ihrer inhaltlichen Qualität wäre sie eigentlich Teil der Grundversorgung. Von diesem Begriff scheinen die Verantwortlichen bei ARD und ZDF aber ein andere Vorstellung zu haben als ihre Kollegen bei der BBC.
29.08.2014 12:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/72757