Wenn das Altenheim im Lotto gewinnt – Jörg Pilawa würde weinen

Mit «Die letzten Millionen» zeigt das Erste einen Fernsehfilm mit Anna Loos, der sich liebevoll und emotional dem Alter widmet.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Michael Gwisdek («Jesus liebt mich») als Conrad, Anna Loos («Nacht über Berlin») als Carmen, Ursula Karusseit («In aller Freundschaft») als Rosi, Jutta Wachowiak («Nach all den Jahren») als Karin, Dieter Mann («Der Untergang») als Günter, Ulrich Pleitgen («Stammheim») als Jakob, Joachim Bliese als Otto, Marie Gruber («Rotkäppchen») als Ursula, Judy Winter («Mutter muss weg») als Anegret, Ramona Kunze-Libnow («Stromberg») als Agnieszka


Hinter den Kulissen:
Regie: Udo Witte, Buch: Lo Malinke, Philipp Müller, Musik: Thomas Klemm, Kamera: Christoph Chassée, Schnitt: Trevor Holland, Produktion: UFA Fiction

Was wenn die gemeinsame Tippgemeinschaft tatsächlich Millionen im Lotto gewinnt? Diesem Szenario widmet sich der Fernsehfilm «Die letzten Millionen» im Ersten. Aber von Anfang: Eine Gruppe von Altenheimbewohnern trifft sich in aller Regelmäßigkeit zur Ziehung der Lottozahlen, um etwas Schwung in die Seniorenresidenz zu bringen – und um plötzlich und unerwartet 30 Millionen Euro reicher zu sein. Doch was die Figuren damit machen ist so unterschiedlich, wie es die Charaktere sind.

Lebemann Conrad, gespielt vom unterhaltsam agierenden Michael Gwisdek, verpulvert erst einmal einiges für sein körperliches Vergnügen – kleine blaue Pillen selbstverständlich mit inbegriffen.

Karin (Jutta Wachowiak) will eigentlich nur mal in Urlaub, doch ihr kleinkarierter, kleingeistiger und pedantischer Ehemann Günter (Dieter Mann) möchte lieber nicht.

Rosi (Ursula Karusseit) lässt sich von ihren Kindern übervorteilen, während die eine schicke Villa mit Gästehaus kaufen.

Das schwule Paar Jakob (Ulrich Pleitgen) und Otto (Joachim Bliese) will doch eigentlich nur mit dem eigenen Boot in See stechen.

Und schließlich ist da noch Altenpflegerin (Anna Loos), die zwar kein Geld gewonnen hat, aber ausreichend damit beschäftigt ist, ihre Alten im Zaum zu halten und ihre privaten Probleme zu lösen.

Dass alles nicht einmal halb so einfach ist wie gedacht, braucht man jedem, der schon mehr als einen Film in seinem Leben gesehen hat, wohl kaum zu sagen. Aber nein, es gibt kaum Streit um das Geld als Solches. Weder die Tatsache, dass die Teilnehmer aufgrund unterschiedlicher Einsätze auch unterschiedliche Gewinne bekommen, noch das Verprassen des Geldes wird zum wirklichen Problem. Nur bei Rosi geht es um solcherlei Dinge. Sohn und Schwiegertochter lagern Rosi nämlich kurzerhand ins Gästehaus aus und wollen sie nicht einmal zu einer feierlichen Soirée dabei haben. Bei den anderen Konflikten sieht das Ganze etwas anders aus. Conrads Problem liegt eher darin, dass er erkennt, dass es bis dato mit der Liebe nicht so weit her ist – und er seine Tochter kennen lernt, von der er lange Jahre nichts wusste. Karin setzt hingegen ihre Ehe gegen den fast tyrannischen Gatten aufs Spiel, weil sie sich zu jung und frei fühlt, um in der Residenz zu versauern. Und für Jakob und Otto wird die Altersdemenz zum unumschiffbaren Problem, dass den Segeltörn ins Wasser fallen lässt.

Auch wenn die Handlungsfäden nicht komplex sind und die Figurenkonstellationen nicht besonders vertrackt, die Erzählstruktur ist vielschichtig und interessant, was für einen solchen Film schon einiges Wert ist. Es geht auch darum den Zuschauer ein wenig träumen zu lassen und sich zeitgleich dem Älterwerden zu widmen. Das wird in einigen Momenten durchaus romantisiert, an anderen Stellen aber gibt es auch die volle Breitseite der Probleme aufgetischt. Nicht unkritisch geht der Film auch mit den Schwierigkeiten in der Altenpflege um, selbst wenn die phasenweise dennoch nicht ganz realistisch dargestellt wirken.

Begeisternd ist an einer Stelle der ansonsten weitgehend unauffällige Score: Als Wankelmuts Remix des Reckoning Song von Asaf Avidan mit seiner markanten Zeile „One day baby we'll be old“ spielt. Wer in diesem Moment nicht von der Geschichte mitgerissen ist, dem kann wohl auch ein Kleinkind, das mit einem Katzenbaby kuschelt nichts mehr anhaben.

Dazu kommen, nicht nur in dieser Szene, klasse dargestellte Senioren, denen man ihre Figuren von senil bis rüstig einfach abkauft – irgendwie wirkt es einfach echt, souverän und glaubhaft. In einer solchen Situation gibt es für Anna Loos kaum eine Chance wirklich aufzublühen. Sie spielt die Altenpflegerin grundsolide, aber kommt gegen die Rentner nicht wirklich an.

Ja, es gibt so manch kitschigen Moment in der Geschichte. Und ja, die Story ist in manchen Teilen pathetisch erzählt und trieft in einigen Sekunden von Klischees. Aber sie ist einfach so herzzerreißend, das man darüber ohne weiteres hinwegsehen darf.

Natürlich sollte man nicht den großen Anspruch erwarten und zugleich wäre es hilfreich, so man dazu bereit wäre sich emotional auf die Story einzulassen. Tut man das, ist einschalten definitiv empfohlen. Wer Lust hat ein bisschen zu träumen und dabei die Realität nicht ganz zu verlassen, der ist bei diesem Film richtig. Es sei denn, er unternimmt ohnehin gerade eine Traumreise oder springt vom nächsten Bungee-Turm. Ohne an dieser Stelle zu popkulturell zu werden und, um den Kreis zu Wankelmut zu schließen: Dieser Film will beweisen, dass es eigentlich nie zu spät sein muss; dass es genau anders geht als Julia Engelmann dachte. Und ist dabei zugleich auch noch deutlich schöner als der viel verrissene (und zugegebenermaßen auch oft gefeierte) Poetry Slam der jungen Dame. Und deutlich realistischer. Vermutlich würden Jörg Pilawa die Tränen kommen. Chapeau.

«Die letzten Millionen» ist am Freitag, 3.Oktober 2014 um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
02.10.2014 12:10 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/73448