Einige Sender planen neue Formate, andere ruhen sich auf ihrem Erfolg aus. Und wie steht es um das quotenmäßig angeschlagene «Galileo»? Es rumort am Vorabend – unsere Analyse.
Programmfarben am Vorabend
- Das Erste: Soap / Krimi / Serie
- ZDF: Krimi / Serie / Info
- RTL: Boulevard / Soap
- ProSieben: US-Serie / Infotainment
- Sat.1: Drama Doku / US-Serie
- RTL II: Scripted Reality
- kabel eins: Infotainment / (Scripted) Reality
- VOX: Scripted Reality / Koch-Dokusoap
Nachrichtensendungen nicht berücksichtigt
Selbstversuch am Montag, 19:05 Uhr: Wie steht es eigentlich um ProSiebens Wissenssendung «Galileo»? Nach einer minimalistischen Anmoderation von Stefan Gödde der erste Beitrag über rappende Mönche in der New Yorker Bronx – ein weltmännisches Wohlfühlthema, ein guter und interessanter Film, rund zwölf Minuten lang. Unnützes – aber unterhaltsames – Wissen zum Vergessen gibt’s danach (van Damme und Balletkleidchen, Hundefuttertester), außerdem einen Aufguss zur Samstagabendshow «Das Duell um die Welt» mit Joko und Klaas. Interessant: Die Chance, dass man in jedem Beitrag relevantes Alltagswissen erfährt, ist relativ hoch. In einem Beitrag über Marotten großer Persönlichkeiten erklärt man beispielsweise kurz die Karriere der Margaret Thatcher. Vorläufiges Fazit: «Galileo» ist vergleichsweise gutes Fernsehen und vielleicht besser als sein Ruf. Beiträge dazu, wie Tiefkühlpizza oder Eis gemacht werden, gibt es längst nicht mehr jeden Tag.
Die Infotainmentsendung ist eines der dienstältesten Formate bei ProSieben, gestartet im November 1998 – noch vor Stefan Raabs «TV Total». Neben «taff» und den Nachrichten ist «Galileo» das einzige eigenproduzierte Format in der Daytime, die restliche Zeit füllt ProSieben seit längerem (erfolgreich) mit US-Serienproduktionen. Dass dies auch bald auf dem Platz von «Galileo» passieren könnte, ist zumindest nicht auszuschließen: Die Einschaltquoten des Klassikers sind langsam gefallen, und seit Juli sendet man nicht mehr an jedem Tag. Der Samstags-Sendeplatz wird nun mit «The Big Bang Theory» bespielt. Den Senderschnitt überspringt «Galileo» generell nur noch in Ausnahmefällen, die Durschnittsquote liegt seit zwei Jahren bei rund elf Prozent bei den werberelevanten 14- bis 49-Jährigen. Vor fünf Jahren kam man auf fast 14 Prozent. Immerhin: Nach den schwachen Sommersendungen, die im Schnitt auf 8,8 Prozent kamen, liegt man derzeit wieder bei akzeptablen 10,9 Prozent.
Ein Flop ist die Wissenssendung damit keineswegs, doch sie steht symptomatisch für die Probleme, die einige der großen Sender am Vorabend haben: Es sind starke Marken, die dort über Jahre gewachsen sind und ihr Publikum aufgebaut haben, aber von ihren größten Erfolgen weit entfernt. Für schnelle Experimente oder wöchentliche Programmtests ist auf hier keine Möglichkeit, da der Vorabend extrem wichtig ist: Es entsteht durch mehr Gesamtzuschauer bereits eine größere Reichweite, damit auch höhere potenzielle Werbeeinahmen. Etwas anders als in der Primetime gilt es am Vorabend, die Zuschauer täglich an sich zu binden und ein Stammpublikum aufzubauen. Damit einhergehend birgt der Vorabend ideale Möglichkeiten, für Formate in der eigenen Primetime zu werben – gerade auch weil der Audience Flow zu dieser Zeit eine geringere Rolle spielt als sonst: Um 20.15 Uhr sind die Umschaltimpulse der meisten Fernsehzuschauer groß; umso wichtiger ist gute, möglichst breitenwirksame Promotion im eigenen Programm.
Genau deswegen sind die Sender mit Experimenten vorsichtig – was sich allein daran zeigt, dass mäßig erfolgreiche Formate wie «Galileo» nicht schnell abgesetzt werden, da ansonsten das verbliebene Stammpublikum ebenfalls wegbrechen könnte. Dennoch lohnt manchmal der Mut zum Risiko: RTL II fand viele Jahre lang kein Mittel für den Vorabend abseits von «Big Brother», das für eine durchgehende Ausstrahlung während des gesamten Jahres kaum funktioniert. Die Quoten mit immer neuen Tests blieben schlecht oder katastrophal, bis «Berlin – Tag & Nacht» im Jahr 2011 beim jungen Publikum voll einschlug. «Big Brother» tauchte danach im RTL II-Programm nicht mehr auf.
Mit «Galileo» geht ProSieben einen Mittelweg und setzt auf Themenwochen oder Themensendungen. Im Juli beschäftigte man mit der Überwachung, unter anderem mit einem Selbstexperiment: Ein Journalist verbrachte eine Woche lang, 24 Stunden am Tag sein Leben in einem Glascontainer – in einer Innenstadt, beobachtbar für jeden. Die Sendung selbst live vor Ort und nicht aus dem Studio gesendet. Den Quoten half dies wenig, im Nachklapp der Fußball-WM und trotz Sommerpause kam man nicht über einstellige Marktanteile hinaus. Ähnlich lief es bei der jüngsten Themenwoche „Goldrausch“ im September, im Quotendurchschnitt präsentierten sich die Kontinentreisen mit Stefan Gödde. Erfolgreicher läuft es für einzelne Spezialsendungen: Zwölf Prozent erreichten beispielsweise die „20 spektakulärsten Orte der Welt“, der Reisebericht aus Nordkorea (12.10.) holte mit 16,4 Prozent sogar die höchsten Werte seit langer Zeit. Nur: Permanent sind entsprechend aufwändige, kostenintensive Projekte für eine tägliche Vorabendsendung nicht zu realisieren.
Möglicherweise wird ProSieben im kommenden Jahr den Sendeplatz angehen, sollten sich die Quoten weiter leicht nach unten bewegen. Möglich wäre eine Reduzierung der Sendezeit von «Galileo» zugunsten einer weiteren US-Serie, aber auch eine Verlegung zum geplanten Doku-Sender der ProSiebenSat.1-Gruppe – aufgeben wird man die starke Marke sicherlich nicht. Dass sich gar nichts ändert, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen.
Derweil wird 2015 auch weiter im Ersten am Vorabend experimentiert. Die «Heiter bis tödlich»-Formate entsorgte man nach und nach, nur erfolgreicherer Ersatz ist kaum zu finden. Comedy-Serienexperimente («Türkisch für Anfänger», «Die LottoKönige») funktionierten nicht, dennoch wird im kommenden Jahr eine weitere Comedy mit Cordula Stratmann realisiert. Das oben benannte Risikoproblem hat man derzeit bei «Verbotene Liebe»: Zwar sind die Zahlen mittlerweile zu niedrig für eine langfristige Fortführung, aber das Risiko, noch mehr – vor allem junge – Zuschauer zu vergraulen, ist omnipräsent. Dies erklärt auch die zunächst erklärte Einstellung, die mittlerweile rückgängig gemacht wird: Zumindest einmal wöchentlich geht die Soap 2015 mit neuer Hauptrolle weiter. Den täglichen Sendeplatz nimmt derweil Jörg Pilawas «Quizduell» ein, das beim Test bedingt überzeugte – der Hype um die Quiz-App ist jedoch längst vorbei.
Soap-Probleme hat auch RTL, das ebenfalls damit hadert, Neues am Vorabend auszuprobieren. «Alles was zählt» tauscht in diesen Wochen zahlreiche Darsteller aus und bastelt an den Geschichten, «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» erfährt ebenfalls recht radikale Änderungen beim Cast. Beide Formate verlieren Marktanteile, doch während «GZSZ» noch immer als Erfolg gelten kann, sieht es für «AWZ» düster aus. 2013 lag die Zielgruppen-Quote noch bei 14,7 Prozent im Schnitt, in den vergangenen Monaten erreichte man diese Marke nicht mehr allzu oft – im Gegenteil: Zehnmal unterschritt man im Oktober die 14-Prozent-Marke und liegt damit nicht weit vom (derzeit ohnehin schlechten) RTL-Schnitt entfernt – und im Oktober sogar klar darunter.
Währenddessen hat das ZDF erklärt, mehr auf Familienserien abseits der Krimis setzen zu wollen. Und was dem Ersten nicht gelingen will, schafft man in Mainz auf Anhieb: Die neue Serie mit Christine Urspruch «Dr. Klein» (Foto) startete extrem erfolgreich beim Gesamtpublikum und bei den jüngeren Zuschauern. Wenig Handlungsbedarf hat auch RTL II, das mit seinen Scripted Realitys weiter erfolgreich fährt, auch wenn «Köln 50667» nur noch selten zweistellige Marktanteile einfährt. VOX experimentiert beim «perfekten Dinner» mit Themenwochen und versucht seine Marke dort zu stabilisieren – mittlerweile sind die Zahlen nur noch Durchschnitt. Auch hier bleibt eine weitere Entwicklung abzuwarten. Bei kabel eins läuft es vor allem mit «Abenteuer Leben – täglich neu entdecken» schlecht – überraschende Neuerungen sind hier aber nicht zu erwarten.
Bei Sat.1 hat sich «In Gefahr» halbwegs bewährt und holt teilweise zweistellige Quoten, die x-ten «Navy CIS»-Wiederholungen interessieren dagegen kaum noch. Dort wird man im Frühjahr das Reality-Experiment «Utopia» zeigen; auf diesem Format ruhen alle Hoffnungen. Schlechte Vorzeichen kommen aber aus den USA: Dort kam das Hype-Projekt gar nicht an.
Dennoch ist «Utopia» äußerst interessant für die Entwicklung des Vorabends bei allen Sendern: Derzeit wird viel durchmischt auf diesem Sendeplatz – vor allem mit inhaltlichen Neuausrichtungen oder Spezialsendungen. Dabei hält jedoch fast jeder Sender an seinen etablierten, aber oft nicht übermäßig erfolgreichen Marken fest; noch keiner hat es riskiert, ein Format einzustellen. Die Sat.1-Reality vom «Big Brother»-Erfinder ist das große ambitionierte neue Projekt, an das sich sonst keiner am Vorabend wagt. Dies birgt großes Risiko, aber auch große Chancen. Denn wenn «Utopia» einschlägt, wird dies die Kräfteverhältnisse am Vorabend signifikant ändern – und dann müssen andere Sender zwangsweise reagieren, da ihre Formate dann noch mehr Zuschauer verlieren. Und viele Quotenverluste braucht es bei den meisten Sendungen nicht, um schließlich als klarer Misserfolg zu gelten. Am Vorabend ist es vielleicht die Ruhe vor dem Sturm…