Themaverfehlung

Die ARD hat sich mit ihrer Kampagne zur Themenwoche über Toleranz einen Shitstorm eingefangen. Ein Kommentar von Julian Miller.

So sieht das also aus, wenn die ARD für ihre Themenwoche über Toleranz Werbung macht:

Verständlich, dass da vielen die Galle hochkam. Denn diese lächerliche Kampagne ist an Dreistigkeit, Ignoranz und Überkommenheit schwer zu überbieten.

So sehen das offensichtlich auch einige Redakteure, die besagte Themenwoche mitvorbereitet haben. Die Raison d’être dieser völlig missglückten Poster machen die anonymen Mitarbeiter dabei nicht in der Unfähigkeit ihrer Kollegen aus, die Entrüstung kommen zu sehen. Der Shitstorm sei vielmehr „eiskalt einkalkuliert“ gewesen. Provokation um ihrer selbst willen, um in die Schlagzeilen zu kommen. Und das ist noch das freundlichste Erklärungsmodell. Vor einigen Jahren hätte man sich bei der ARD wohl beim bloßen Gedanken an derartige Boulevard-Abgründe noch reihenweise übergeben.

Aber einmal weg von den billigen Taschenspielertricks schlecht bis perfide geplanter PR-Kampagnen. Die Sache wird noch unappetitlicher, noch dümmer, noch dreister. Nämlich dann, wenn man bedenkt, was die ARD für ein paar Schlagzeilen so für Abgründe in Kauf nimmt, indem sie über das Gesicht eines schwarzen Mannes „Belastung oder Bereicherung?“ schreibt. Das ist aus vielen Gründen abartig: Erstens, weil sofort die Assoziation „Schwarz gleich Ausländer“ in Gang gesetzt wird, was unserer heutigen pluralistischen Gesellschaft schon lange nicht mehr entspricht, sich aber wohl noch nicht bis zur ARD herumgesprochen hat. Zweitens weil diese Frage von jedem, der intellektuell und menschlich noch halbwegs bei Sinnen ist, als Zumutung aufgefasst wird. Drittens, weil sie die am rechten Rand bestehenden Ressentiments eher noch bestärkt, durch die Frageform ernsthaft in den Diskurs einbeziehen will, anstatt sie konsequent abzulehnen, wie sich das für eine Anstalt des öffentlichen Rechts gehören würde. Und viertens, weil sie eher in die Toleranz-Diskussion der 50er Jahre passen würde als in die heutige Akzeptanz-Debatte.

Aber für den Fall, dass die ARD nicht nur in ihren Strukturen, sondern auch in ihrer Wahrnehmung der Gesellschaft vor einigen Jahrzehnten stehen geblieben ist: Ich helfe gerne weiter: Die Hot-Spots der aktuellen Debatten sind nicht „Belastung oder Bereicherung?“. Wer Ausländer oder Mitbürger mit Migrationshintergrund ernsthaft als Belastung sieht, ist schon lange weg aus der politischen Mitte und gesellschaftlich so irrelevant wie untragbar. Die Debatten drehen sich heute hauptsächlich um die oftmals (vornehmlich von der rechten Ecke) als Widerspruch wahrgenommene Verbindung der Eigenschaften „deutsch“ und „schwarz“, um Racial Profiling, um die lange nur stümperhafte Aufarbeitung der NSU-Morde. Nicht darum, ob wir überhaupt Ausländer ins Land lassen sollen, wie das dumme Plakat der ARD suggeriert.

Ähnlich verstörend liest sich ein Text, der eine Sendung im Hessischen Rundfunk im Rahmen der Themenwoche ankündigt. Er klingt, als hätte ihn Franz Josef Wagner an einem seiner schlechteren Tage verfasst: „Der Tag könnte so schön beginnen, wenn nicht der Nachbar laut auf dem Balkon telefonieren würde. Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz es seinen Mitreisenden abverlangt?“, heißt es da. Ja, diese Schwulen, die fordern unsere Gesellschaft bis aufs Äußerste heraus. Fast so schlimm wie die Behinderten.

Das zentrale Problem an dieser Kampagne liegt darin, dass sie suggeriert, dass Intoleranz oder Inakzeptanz von Minderheiten, seien sie schwul, schwarz, behindert oder Ausländer oder alles zusammen, grundsätzlich erst einmal eine valide Position ist, mit mehr oder weniger vertretbaren Argumenten. Dass so ein Unfug nicht in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehört, sollte sich von selbst verstehen. Und all das um der Provokation willen?

Würde man diese Themenwoche boykottieren, bekäme die ARD genau das, was sie verdient.
14.11.2014 12:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/74432