Christian Sievers: 'Alles kann sich schlagartig ändern'

Wir sprachen mit «heute-journal»-Moderator Christian Sievers über seine Zeit als Korrespondent im Nahen Osten, Glaubwürdigkeit von Nachrichtensendungen und den Unterschied zu Privatsendern.

Zur Person

Christian Sievers wurde 1969 in Offenbach am Main geboren. Vor allem für seine Tätigkeit als Auslands-Korrespondent im Dienste des ZDF erlangte Sievers Bekanntheit, zwischen 2009 und August 2014 leitete er in Tel Aviv das ZDF-Auslandsstudio. Bereits zu Beginn seines Studiums der Rechtswissenschaften 1989 arbeitete er bis 1991 als Reporter beim RIAS Berlin. Es folgten Engagements beim Südwestfunk in Freiburg, dem SWF3 in Baden-Baden und ABC in Connecticut im Rahmen eines Stipendiats. 1997 wechselte Sievers als Moderator und Redakteur zum ZDF. Als Korrespondent berichtete er aus dem Kosovo, Bosnien, anlässlich der Terroranschläge am 11. September und dem Tsunami in Südostasien.
Sie waren für die Berichterstattung im ZDF unter anderem in Israel, im Kosovo oder anlässlich der Anschläge am 11. September 2001 live vor Ort. Worauf kommt es denn dabei am meisten an, wenn Sie den Zuschauern als Reporter live zugeschaltet sind?
Berichten, was passiert. Beschreiben, was man selbst gesehen und erlebt hat. Und all das verständlich und interessant an die Menschen in Deutschland weitergeben.

Sie haben ja selbst teilweise in solchen Krisengebieten gelebt. Wie sind denn beispielsweise in Tel Aviv die Lebensumstände und was kann man sich unter ihrem Alltag dort vorstellen?
Darüber könnte ich jetzt stundenlang reden. Der Arbeitsalltag ist sehr von der aktuellen Lage abhängig. Das heißt, man kann auch in Krisengebieten wie dem Nahen Osten relativ normal leben. Es gibt dort durchaus Alltag und auch Phasen, in denen es sehr ruhig ist. Ich denke der entscheidende Unterschied ist: Alles kann sich schlagartig ändern. Das ist der große Unterschied. Wenn Sie in der friedlichen Schweiz leben oder in Deutschland, dann gehen Sie davon aus, dass es natürlich auch absolut friedlich bleibt. Das ist im Nahen Osten anders. Man muss sich darauf einstellen, dass immer etwas passieren kann. Arbeitsalltag eines Auslandskorrespondenten in Israel, das heißt: Ständig auf alles gefasst sein, ständig erreichbar, ständig vernetzt. Das Handy immer angeschaltet lassen und darauf achten, dass der Akku hält. Das ist sehr wichtig. Man kann nicht mal eben ein paar Tage komplett abschalten und hoffen, dass nichts geschieht.

Gab es denn auch Situationen, in denen die Lage für sie richtig heikel wurde? Und wie gefährlich ist der Job eines Korrespondenten, beispielsweise im Nahen Osten, generell?
Das hängt immer davon ab, was man macht und wo man ist. Grundsätzlich ist der Job nicht übermäßig gefährlich, aber es gibt immer wieder Momente, da biegt man einmal falsch ab und denkt sich: „Oh, das ist jetzt doch eine Situation, in der man lieber nicht sein will“. Oder man gerät zwischen die Fronten, es fliegen plötzlich Raketen und man muss in Deckung gehen. Das sind mulmige Momente. Man kann das mit Erfahrung und Routine abschätzen, aber es bleibt immer ein Risiko.

Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen dem Job als Korrespondent und dem des Nachrichtensprechers?
Ich bin Journalist und keiner, der einfach nur Texte vorliest, deshalb ist der Unterschied gar nicht so groß. Aber es ist natürlich eine andere Arbeitsumgebung in der Welt draußen im Vergleich zum Studio in Mainz. Ich glaube, es hilft, wenn man beide Seiten erlebt hat. Und wenn auch der Zuschauer weiß, da ist einer, der selbst als Reporter vor Ort war, der nicht nur das warme Studio kennt.

Sie arbeiteten für das ZDF zwischen 2009 und 2014 als Leiter des Auslandsstudios in Tel Aviv und als Korrespondent im Nahen Osten. Worin liegt ihrer Meinung nach der größte Unterschied ihrer Wahrnehmung des Nahostkonflikts mit der der Fernsehzuschauer?
Ich habe mich immer bemüht, dass dieser Unterschied nicht wirklich groß ist. Die Zuschauer sollen möglichst exakt mitbekommen, was vor Ort passiert. Das war mir immer wichtig und ich hoffe, dass es halbwegs gelungen ist. Es gibt ja bei Nachrichten dieses Phänomen, dass fast alle Meldungen „bad news“ sind. Dazu muss man aber wissen: Eine Nachricht ist das Besondere, das Außergewöhnliche. Wenn in den Sendungen nur noch gute Nachrichten laufen, DANN müssen wir uns alle Sorgen machen. Wir berichten über Flugzeugunglücke, weil eben nicht täglich ein Flugzeug abstürzt. Gott sei Dank.
Ich habe mich aber immer bemüht, gerade in Israel und bei den Palästinensern auch vom Alltag zu berichten, von kleinen Geschichten, die nicht immer mit Krieg und Konflikt zu tun haben - Kultur, Sport, Szene- und so versucht, das Verständnis für die Situation der Menschen zu schärfen und klar zu machen, dass dieser Konflikt, den wir in Deutschland häufig als „Spirale der Gewalt“ wahrnehmen, eben kein Automatismus ist. Für jeden Ausbruch eines Konflikts gibt es Gründe, wirtschaftliche, politische, militärische. Diese Gründe muss man als Journalist benennen.

Es ist gut, wenn die Zuschauer all das, was wir tun, kritisch begleiten und hinterfragen. Es arbeiten auch in Redaktionen nur Menschen und es kommt auch zu Fehlern. Umso wichtiger ist es, diese Fehler zu benennen und zu korrigieren.
Christian Sievers über die kritische Betrachtung von Nachrichtensendungen
Sie versuchen ihre Erlebnisse so gut wie möglich zu beschreiben und als Reporter aus solchen Krisengebieten. Wie kommt es dann doch immer wieder zu der Situation, dass Zuschauer die Glaubwürdigkeit von Berichten anzweifeln? Kürzlich erging es ja so der «Tagesschau» mit ihrer Berichterstattung über die Ukraine.
Es ist gut, wenn die Zuschauer all das, was wir tun, kritisch begleiten und hinterfragen. Es arbeiten auch in Redaktionen nur Menschen und es kommt auch zu Fehlern. Umso wichtiger ist es, diese Fehler zu benennen und zu korrigieren. Ich denke, in Ihrem Beispiel ist genau das ja auch geschehen. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass es um Kriege geht. Da ist es ja nicht so, dass man einmal kurz hinschauen muss und die Komplexität sofort erfasst. So ein Krieg ist nicht nur lebensgefährlich für alle Beteiligten, inklusive Journalisten, sondern ganz viele Parteien haben ein Interesse daran, die Wahrheit zu vertuschen und umzudrehen. Das heißt, es ist die schwierigste Situation überhaupt für einen Journalisten, der versucht herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Und in so einer Situation machen wir unseren Job aus meiner Sicht im Großen und Ganzen recht gut. Es hilft immer sich ein Bild vor Ort zu machen und dann aber auch klar zu sagen, was man eben nicht weiß und derzeit leider nicht genau herausfinden kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite Christian Sievers' Antworten zu Unterschieden der News-Sendungen zwischen öffentlich-rechtlichen und Privatsendern und seine Ansicht zu den Entwicklungen in den sozialen Netzwerken.

Themenwoche Krieg in den Medien

In dieser Woche dreht sich bei Quotenmeter.de alles um das Thema Krieg in den Medien. Dabei werfen wir einen Blick auf den Umgang und die Berichterstattung mit dem sensiblen Thema. Am Sonntag stellt sich Christian Sievers, Moderator der «heute»-Nachrichten im Interview. Der Montag steht im Zeichen der sozialen Medien. Wie kommt es immer wieder zu Gewaltvideos im Netz und wird damit umgegangen. Ein Quotencheck zur «N24 Zeitreise» mit Stefan Aust steht am Dienstag an. Am Mittwoch analysieren wir die Quoten der «Tagesschau». In einem weiteren Interview ist am Donnerstag Paul Ronzheimer zu Gast. Der Bildreporter steht mit seiner Kamera immer an vorderster Front. Den Abschluss bildet der Freitag mit einem Quotencheck zu den «Brennpunkten».
Ein Großteil der Zuschauer sieht ja die Nachrichten des ZDF und des Ersten. Worin sehen sie denn den großen Unterschied zu den Nachrichten der Privatsender?
Zunächst mal: Wir haben beim ZDF ein großes und großartiges Korrespondentennetz und zwar nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland. Das führt dazu, dass wir versuchen, alle Berichte, die wir senden, von Reportern machen zu lassen, die unmittelbar vor Ort sind. Das ist ein entscheidender Unterscheid. Eigene Bilder, eigene Geschichten. Das müssen wir vielleicht noch stärker herausstellen, das ist aber dennoch jeden Abend im Programm zu sehen. Dann haben wir eine eigene Gewichtung der Nachrichten. Wir versuchen zu erklären und einzuordnen. Und im Nachhinein schauen wir unsere Sendung an und üben auch viel Selbstkritik. Da gibt es auch schon mal Tage, an denen wir sagen: „Die anderen waren besser.“

Wie sehen sie denn die Entwicklung in sozialen Netzwerken? Viele verlassen sich gänzlich auf Twitter. Wie kann es auch für Sie als Bote der Nachrichten wichtig sein, auf dem Laufenden zu bleiben und selbst Nachrichten zu verbreiten?
Twitter hat sich in den letzten Jahren, gerade in Krisensituationen, als ein unheimlich wichtiges Instrument für Journalisten erwiesen. Es gibt so viele Situationen, die sich schlagartig ändern und die auch so lokal sind, dass man bei ihnen eine Unmenge an Informationen in Echtzeit braucht. Dafür ist Twitter ideal. Und insofern gerade in Krisengebieten sehr nützlich. Beim letzten Krieg in Gaza wurde gerade von Journalisten sehr viel getwittert. Wichtig ist aber, dass man genau darauf achtet, von wem die Information kommt und mit welchem Ziel sie gepostet wurde.

Twitter als Medium ist auch deshalb großartig, weil man dort auf Dinge stößt, die man sonst gar nicht entdeckt hätte. Man kann viele Dinge erfahren, zu denen man früher einfach keinen Zugang hatte.
Christian Sievers über den Nutzen von Twitter
Sie setzen also unter anderem auf Twitter. Über welche Medien informieren Sie sich darüber hinaus täglich? Gibt es bestimmte Zeitungen oder News-Portale, die Sie täglich studieren?
Ich bin ein ziemlicher News-Junkie. Ich versuche so viel wie geht mitzunehmen. Das hängt immer davon ab, was ich gerade speziell zu tun habe, aber darüber hinaus gibt es natürlich private Steckenpferde, Themen, für die man sich noch mehr interessiert als für andere. Ich fand es immer schon wichtig, gut informiert zu sein. Ich empfinde das nicht als Arbeit, es ist eine Art Hobby und macht sogar Spaß.
Ich mache das im Netz, aber ich lese auch gerne eine gute, alte Print-Zeitung. Nicht die Seite eins, wo die klassischen Nachrichten stehen, sondern eher längere Reportagen, die man nirgendwo anders findet. Twitter als Medium ist auch deshalb großartig, weil man dort auf Dinge stößt, die man sonst gar nicht entdeckt hätte. Das mag ein kurioser Artikel aus einer Westküstenzeitung in den USA sein oder eine interessante Bildstrecke, die ein Hongkonger Blogger ins Netz gestellt hat. Man kann viele Dinge erfahren, zu denen man früher einfach keinen Zugang hatte. Und dann die klassischen Medien: Ich höre morgens Radio, versuche die wichtigsten Zeitungen durchzuarbeiten und schaue natürlich auch viel Fernsehnachrichten. Das Problem ist, alles irgendwie in einen Tag zu packen.

Gibt es konkrete Beispiele für Medienprodukte, die Sie nutzen? Viele haben schließlich eine tägliche Routine oder ist es bei ihnen ganz unterschiedlich?

Ich mag die großen Reportagen in der „Süddeutschen“, egal ob Print oder App. Ich finde unsere eigene Website „heute.de“ spannend, ich gucke bei „Spiegel Online“ rein. Eine großartige Fundgrube ist das Angebot der „New York Times“. Die Kollegen dort überraschen mich mit Texten und in grafischer Form immer wieder. Und das Titelfoto der gedruckten New York Times ist die Essenz eines Tages.
23.11.2014 10:32 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/74573