HBO: Game of Clones

HBO, einst fast alleiniger Herrscher über die Qualitätsserien, muss sich neu am Markt beweisen. Junge Stars wie Netflix machen Konkurrenz, und außer «Game of Thrones» hat das Unternehmen derzeit keine große Dramaserie. Was bringt 2015?

Am 6. August schrieb Netflix-Chef Reed Hastings einen Eintrag bei Facebook, für alle öffentlich sichtbar, knapp 1500 Mal favorisiert. Er schrieb über die Quartalszahlen, und darüber, wie man sich gegen den Mitbewerber HBO behauptet: „Im letzten Quartal haben wir HBO in Sachen Abonnentenumsatz übertroffen. Sie schlagen uns immer noch beim Gewinn und bei den Emmys, aber wir machen Fortschritte. HBO rockt, und wir dürfen stolz sein, in deren Liga zu spielen.“

Die nackten Zahlen beeindrucken: 1,14 Milliarden US-Dollar hat das Pay-TV-Unternehmen HBO im letzten Quartal umgesetzt, gesundes Wachstum ist vorhanden. Auch aufgrund internationaler Erlöse, wo immer mehr Länder auf den Geschmack der hochwertigen HBO-Serie gekommen sind. Dennoch zeigt der Facebook-Eintrag der Konkurrenz, dass HBO sich nicht ausruhen darf. Im Gegenteil: Mit Netflix und Co. mischen Entertainment-Größen den Markt auf, die mittlerweile ähnliche Umsätze machen wie der Pay-TV-Riese. Vor Jahren wäre eine solche Konstellation noch undenkbar gewesen. Schon bald wird Netflix weit vorne liegen – zumindest in Sachen Umsatz: Die Zahlen wachsen derzeit um rund 25 Prozent, während HBO zuletzt vier bis zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zulegte.

HBO für Jedermann?
Hier könnte genau ein langfristiges Problem von HBO liegen: Das bekannte Geschäftsmodell stößt irgendwann an seine Grenzen, auch weil man in wichtigen Märkten – wie dem deutschen – immer wieder von Expansionsplänen abgerückt ist. Weiterhin verkauft HBO seine Inhalte hier an Distributoren wie Sky, die von den Formaten profitieren und eigene Marken aufbauen können (siehe Sky Atlantic). Viele westeuropäische Märkte fehlen, nicht zuletzt deshalb expandiert Netflix genau dort. Der junge Streaming-Riese hat aber noch einen weiteren Vorteil: Er gilt nicht nur als Distributor, sondern hat sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen auch als Produzent gemacht. Mit Serien wie «House of Cards», «Orange is the New Black» und kommenden Marvel-Formaten punktet man dort, wo sonst HBO groß auftrumpft.

Umgekehrt beginnt man bei HBO erst langsam zu realisieren, wie das Geschäftsmodell der Zukunft aussieht: Nicht auf Produzenten- oder Distribtutorenseite, sondern auf beiden. So, wie es Netflix, Amazon oder Sky vormachen. Mit hochwertigen eigenproduzierten Inhalten, aber auch mit einem Streaming-Angebot, das Kinofilme, Fremdserien und ähnliches beinhaltet. Dieses Problem will HBO im kommenden Jahr angehen, dann erscheint – endlich – ein On-Demand-Service, den auch Menschen nutzen können, die kein TV-Abo bei HBO besitzen. Bisher war dieses immer Voraussetzung für die Nutzung aller weiteren Services. Eine solche Unternehmenspolitik sorgte unter anderem für die Schlagzeile, dass «Game of Thrones» sich als am meisten illegal heruntergeladene Serie im Netz bezeichnen darf.

Der Service startet vorerst nur in den USA, ein Erfolg ist nicht zwingend: Schließlich bieten Neflix und Co. nicht nur eigene Inhalte, sondern eine sehr große Auswahl an Kinofilmen und anderen Serien – zu sehr günstigen Preisen. HBO greift zwar auch auf eine Filmbibliothek zurück, die eigenen Inhalte machen aber den Schwerpunkt des Angebots aus. Und der heimische Markt ist gesättigt: Die meisten US-Amerikaner, die jetzt noch kein HBO abonniert haben, werden es wohl auch nur schwerlich in Zukunft tun. Zumal ein Großteil von ihnen bereits ein Pay-TV-Abo bei einem anderen Anbieter besitzt. Kurz: HBO sollte mit seinem On-Demand-Angebot Kampfpreise anbieten. Und viel wichtiger: ins Ausland expandieren. Denn dort liegt das Potenzial für Wachstum, das man über Internetstreaming erreichen kann, ohne eine teure Senderinfrastruktur aufzubauen.

Drama-Ebbe
Mit dem Durchbruch hochwertiger Fernsehunterhaltung – vor allem im Serienbereich – hat sich HBO Mitte der 2000er seine Konkurrenz selbst herangezüchtet. Es ist fast schon ein „Game of Clones“, in dem ähnliche Angebote um einen Markt kämpfen, der sich immer schneller sättigt. Den Unterschied machen besagte eigene Exklusivinhalte. Hier hat HBO mit seinem über Jahre gewachsenen Premium-Image einen Vorteil gegenüber den Mitbewerbern. Noch. Denn hier liegt das zweite Problem des Unternehmens: Es fehlt die Aussicht auf neue, große Hits. Mit «Game of Thrones» hat man einen Dauerbrenner im Programm, der extrem viele Kunden bringt – oder bei der Stange hält. «True Detective» ist als Anthologie zwar erfolgreich, da es aber keine staffelübergreifenden Handlungen oder Charaktere gibt, ist die potenzielle Zuschauerbindung geringer. Letzte aktuelle HBO-Dramaserie ist «The Leftovers», die in ihrer ersten Season weder bei Kritikern noch Quoten überzeugte. Die großen jüngeren Drama-Hits – «True Blood», «Boardwalk Empire» – wurden beide in diesem Jahr eingestellt, Aaron Sorkins «The Newsroom» endet im Dezember.

Auch hier bekommt HBO die neu aufgekommene Konkurrenz zu spüren: Der Serienmarkt ist extrem gewachsen. Aber es gibt nur eine begrenzte Anzahl guter Produzenten, Autoren etc., die wirkliche Hits liefern können. Wo früher nur wenige Abnehmer wie HBO und Showtime bereit standen, ist die Nachfrage heute deutlich höher – entsprechend schwieriger wird es für den Einzelnen, die beste Idee zu bekommen. Auch HBO ist davon betroffen, und jede Fehlentscheidung kann teuer werden. Wie zum Beispiel im Fall von «Mad Men», das HBO und Showtime ablehnten, während AMC zugriff – und durch die Serie zur erfolgreichen Programmmarke aufstieg.

Für das nächste Jahr sind vor allem weitere Comedys angekündigt, vielleicht ist dies auch eine klare HBO-Strategie: weniger Drama, mehr Komödie. Eine («Togetherness») startet im Januar und ist eine klassische Familiensitcom über junge Eltern. «The Brink» ist eine schwarze Komödie über Politiker, die den dritten Weltkrieg abwenden wollen; unter anderem spielt Jack Black mit. Dwayne Johnson ist der Star von «Ballers», einer Serie über einen gealterten Ex-Sportprofi. Zwei Miniserien gibt es außerdem im Dramabereich, bemerkenswert dort: «Show Me A Hero» von David Simon, der für HBO bereits die vielgelobte Dramaserie «The Wire» schuf. Erst vor wenigen Tagen hat HBO die erste Drama-Serienbestellung für 2015 aufgegeben: «Westworld» ist inspiriert vom gleichnamigen Michael-Crichton-Roman und spielt in einem unorthodoxen Vergnügungspark, in dem Menschen, begleitet von Robotern, durch die Geschichte reisen. Es soll um den „dawn of artificial consciousness“ gehen, um das Erwachen des künstlichen Bewusstseins. In der Romanvorlage wendeten sich die Roboter gegen die Menschen. Mit Anthony Hopkins, Ed Harris, Evan Rachel Wood und Jeffrey Wright werden große Namen in «Westworld» aufspielen. Produzent ist Bad Robot, die Firma von J.J. Abrams.

Die Zukunft ist also nicht so trist, wie man vielleicht auf den ersten Blick glauben mag, auch wenn HBO vor großen Herausforderungen steht. Neben dem hervorragenden Markenimage hat man zwei weitere Vorteile: Erstens liest sich das Portfolio an Comedyserien äußerst gut, mit «Girls», «Veep» und dem hochgelobten Neustart «Silicon Valley». Und zweitens glaubte man schon einmal, dass das Unternehmen in eine düstere Zukunft blickt. Es war um 2007, als «Die Sopranos» endeten, HBO einige Flops landete und keine neue Hitserie in Sicht war. Dann kamen «True Blood», «Boardwalk Empire» und zuletzt «Game of Thrones». Zu der Zeit aber fehlten solche Player wie Amazon Instant Video oder Netflix, vor allem international und mit eigenen Inhalten.

Dass HBO auch langfristig eine Rolle im Entertainment-Geschäft spielen wird, ist unbestritten. Wie groß diese Rolle ist: Das ist die eigentliche Frage.
21.11.2014 11:10 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/74620