Pünktlich zum Fest wird es rührselig in den deutschen Kinosälen. In «Die Entdeckung der Unendlichkeit» bringt uns Regisseur James Marsh den weltberühmten Physiker Stephen Hawking ein klein wenig näher.
Filmfacts: «Die Entdeckung der Unendlichkeit»
- Kinostart: 25. Dezember 2014
- Genre: Drama/Biopic
- FSK: o.A.
- Laufzeit: 123 Min.
- Kamera: Benoît Delhomme
- Musik: Jóhann Jóhannsson
- Buch: Anthony McCarten
- Regie: James Marsh
- Darsteller: Eddie Redmayne, Felicity Jones, Tom Prior, Sophie Perry, Harry Lloyd, Alice Orr-Ewing, David Thewlis, Thomas Morrison, Michael Marcus
- OT: The Theory of Everything (UK 2014)
Zwei ganze Jahre gab man ihm nach der Diagnose, als Ärzte im Jahre 1965 die unheilbare Nervenkrankheit ALS bei ihm feststellten. Die Rede ist von Stephen Hawking – bis heute eine der beeindruckendsten Persönlichkeiten der Welt. Seine Arbeiten im Bereich der Astrophysik revolutionieren das logische Denken von Wissenschaftlern rund um den Globus und lassen Physiker vermeintliche Fakten komplett neu überdenken. Von ihm verfasste Fachbücher wie „Eine neue Erklärung des Universums“ und „Die kurze Geschichte der Zeit“ wurden zu Weltbestsellern. 2008 wurde Hawking von Papst Benedikt empfangen, auch die Queen lud ihn eigens zu sich in den britischen Palast. Ausgerechnet auf Basis der von Jane Hawking verfassten Biographie „Die Liebe hat elf Dimensionen – Mein Leben mit Stephen Hawking“ konzipiert Regisseur James Marsh («Shadow Dancer») mit seinem dritten Langspielfilm „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ einen echten Drahtseilakt. Seine Verschmelzung von Drama und Biopic erzählt auf der einen Seite aus dem privaten Tagebuch einer nicht ganz normalen Liebe – auf der anderen Seite verhilft er den vermeintlich trockenen Physiktheorien Hawkings zu ebenso anschaulichen wie greifbaren Dimensionen. Sein Awardanwärter wird dadurch ebenso wenig zur trockenen Schulstunde diverser Naturwissenschaften wie zur gossiplastigen Zerfleischung eines Privatlebens. „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ ist ein schlichtes, dafür umso berührenderes Portrait eines ganz besonderen Mannes, der nicht bloß seiner vorgeblichen Lebenserwartung ein Schnippchen zu schlagen wusste.
Das Schicksal des genialen Physikstudenten Stephen (Eddie Redmayne) scheint besiegelt, als der 21-Jährige mit einer tödlichen Krankheit diagnostiziert und ihm eine Lebenserwartung von zwei Jahren gegeben wird. Doch die Liebe zu seiner Cambridge-Kommilitonin Jane Wilde (Felicity Jones) gibt ihm neuen Lebensmut – die beiden heiraten, bekommen drei Kinder und bald nennt man ihn Einsteins legitimen Nachfolger. In dem Maße, wie Stephens Körper durch seine Krankheit geschwächt wird, schwingt sich sein Geist zu immer neuen Höhenflügen auf. Doch sein Schicksal erweist sich auch für die Ehe mit Jane als dramatische Zerreißprobe, die beider Leben nachhaltig verändert…
Womit «The Theory of Everything» – so der Originaltitel des Dramas – vor allem besticht, ist die Tatsache, dass Filmemacher James Marsh sein wohl größtes Augenmerk auf die Ausgewogenheit der Geschichte legt. Oberflächlich ließe sich «Die Entdeckung der Unendlichkeit» grob in mehrere Abschnitte gliedern. Da wäre zum einen die Etablierung der Figur Stephen Hawking als aufstrebendes Genie, zum anderen aber auch der vermeintliche Zerfall des von der Krankheit gezeichneten Mannes. Darüber hinaus skizziert das Biopic die Liebe zwischen ihm und seiner Traumfrau; vom Kennenlernen über das schwierige Zusammenleben einer jungen, attraktiven Frau und einem Mann, der jeden Tag ein Stück seiner Selbstständigkeit verliert. Des Weiteren zeichnet Marsh ein Bild des über alle Maße raffinierten und klugen Geistes Hawkings und reißt immer wieder die Gedankengänge des genialen Wissenschaftlers an, ohne dabei allzu tief in die für die meisten Zuschauer durch und durch fremde Materie einzudringen. Ziemlich viel Stoff, den in einen einzigen und mit 123 Minuten nicht mal allzu langen Film unterzubringen nicht Jedermann gelingen kann. Doch offenkundig erhebt Marsh nicht den Anspruch darauf, die Stationen von Stephen Hawkings Lebensweg im Stile penibler Aufklärungsarbeit abzuhaken. Der Regisseur konzentriert sich darauf, dass sein Film einen roten Faden erhält, der ohne Effekthascherei zu einer mitreißenden Dynamik führt. Mit einer genauen Beobachtungsgabe für das innere seiner Hauptfigur legt Marsh seinem Protagonisten keine ungeprüften Worte in den Mund, sondern umschreibt Hawking als faszinierendes Gesamtkunstwerk, dessen Gedanke und Gefühle nicht immer offensichtlich sind. Drehbuchautor Anthony McCarten, dessen letzte Arbeit «Am Ende eines viel zu kurzen Tages» eben nicht so ausgegoren wie nötig daherkam, macht sein weniger geglücktes Vorwerk vergessen und erhält mit der teils nur grob umrissenen Zeichnung Stephen Hawkings einen gewissen Mythos dieser Person aufrecht.
Mit einer voyeuristischen Nabelschau hat «Die Entdeckung der Unendlichkeit» entsprechend nichts zu tun. Trotzdem generieren die Macher eine berührende Intimität innerhalb ihrer Erzählung. Jane Hawking, die viele Jahrzehnte an der Seite des Astrophysikers verbrachte, bewahrt sich im Rahmen ihrer Biographie stets einen gewissen Abstand zum Leser; gewährt nur so viel Einblick in ihr ungewöhnliches Leben, dass sie es im Hinblick auf ihre Privatsphäre noch vertreten kann. Anthony McCarten nähert sich mit viel Respekt diesem Grundsatz in James Hawkings Werk und konzentriert sich ganz gezielt auf nur wenige Lebensabschnitte. Diese werden von einem Cast mit Leben gefüllt, den man sich für die Einfühlsamkeit der Prämisse nicht besser hätte vorstellen können. In die Rolle von Stephen Hawking schlüpft Eddie Redmayne. In Deutschland ist der 32-jährige Brite bislang nur wenigen bekannt. In Filmen wie «Les Misérables» und «My Week with Marilyn» war er jedoch in beachtenswerten Nebenrollen zu sehen. Mit einer gewissen optischen Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem filmischen Vorbild ausgestattet, verschmilzt Redmayne in «Die Entdeckung der Unendlichkeit» mit seiner Rolle und macht Stephen Hawking nicht zu einer bemitleidenswerten Figur, sondern bewahrt ihm trotz der gegebenen, körperlichen Umstände eine enorme Würde. Auch den von der Krankheit geformten Duktus eignet er sich an und ist in der Originalfassung entsprechend nicht immer vollends zu verstehen. Doch trotz des immer eingeschränkter werdenden Bewegungsapparates sowie der Tatsache, dass er irgendwann überhaupt keinen Laut mehr von sich geben kann, ist Redmayne voller Energie und schafft es teilweise ohne viele Worte und Taten, das Publikum in seinen Bann zu ziehen.
Zweiter wichtiger Bestandteil des Hauptdarstellerduos ist Felicity Jones («The Amazing Spider-Man: Rise of Electro»). In der Rolle der nicht minder bedeutungsvollen Jane Hawking gibt Jones eine ambivalente Leistung zum Besten. Einerseits überzeugt ihr zurückhaltendes Spiel an der Seite des Protagonisten und hebt die charakterlichen Unterschiede des Charismatikers und der zurückhaltenden Frau hervor. Andererseits wird das Drehbuch selbst der eigentlich so interessanten Figur nicht gerecht. Trotz ganz unterschiedlicher und äußerst eindringlicher Szenerien, die Jane einmal als aufopferungsvolle Ehefrau und Mutter zeigen, andererseits aber auch ihr Sehnen nach Körperlichkeit verdeutlichen, beleuchtet das Skript die innere Zerrissenheit der Frau anfangs nur oberflächlich. Das hebt die Wichtigkeit Stephen Hawkings auch im Film noch einmal deutlich hervor. Andererseits könnten die dramatischen Fallhöhen innerhalb der Erzählung durch eine stärkere Fokussierung auf das Innenlebens Jane Hawkings noch ausladender sein. Erst mit dem Eintreffen von Jonathan Hellyer Jones (Charlie Cox, «Boardwalk Empire»), mit dem sich Jane mehrere Jahre die Pflege ihres Mannes teilte und zu welchem sie eine romantische Beziehung einging, widmet sich „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ auch dem weiblichen Teil der Hawking-Familie zur Genüge.
Aus technischer Sicht gibt sich die Produktion zurückhaltend und so gar nicht im Stile gängiger Hollywood-Biopics. Kein Wunder: Mit seinem Entstehungsland Großbritannien stammt die Nacherzählung von Stephen Hawkings Leben nicht aus der Traumfabrik Amerikas und lässt etwaige epische Ausmaße der Marke «Lincoln» vermissen. Im Falle von «Die Entdeckung der Unendlichkeit» ist dies allerdings nur förderlich. Die eingangs schon einmal aufgegriffene Intimität kommt durch die unaufgeregt zurückhaltenden Aufnahmen von Benoît Delhomme besonders zur Geltung, der auch zuletzt den minimalistisch inszenierten Spionagethriller «A Most Wanted Man» mit seinen Bildern bestückte. Immer wieder begibt sich Delhomme mit seiner Kamera ganz dicht an die Protagonisten, sodass eine einfühlsame Nähe zwischen den Figuren und dem Publikum entsteht. Untermalt wird das berührende Biopic von den eindringlichen Klängen von Jóhann Jóhannsson, dessen hauptsächlich von Pianoklängen getragener Score sich mal verspielt, mal melancholisch um das Geschehen legt. Der Komponist des «Prisoners»-Soundtracks gibt in «Die Entdeckung der Unendlichkeit» nicht viel auf Zurückhaltung. Stattdessen polarisiert seine traumhafte Musik, die den Zuschauer immer wieder an klassische Märchenproduktionen erinnert. Ein heißer Anwärter auf eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester Score“.
Fazit: «Die Entdeckung der Unendlichkeit» ist klassischer Oscar-Stoff, der in seiner überraschend leichtfüßigen Inszenierung beeindruckt und mit einem Hauptdarsteller aufwartet, der in Stephen Hawking die Rolle seines Lebens gefunden hat. Ein Film, der – ebenso wie die Hauptfigur – nicht nur lange nachwirkt, sondern uns alle inspirieren sollte!
«Die Entdeckung der Unendlichkeit» ist ab dem 25. Dezember bundesweit in ausgewählten Kinos zu sehen.