Vor Jahren sorgte Roman Polanskis Bühnenstück-Adaption «Der Gott des Gemetzels» für großes Aufsehen in den internationalen Kinos. So komisch und zugleich bitterböse hatte man schon lange keinen mehr streiten sehen. Nun legt Sönke Wortmann eine Art Verneigung vor dem grotesken Kammerspiel vor.
Filmfacts «Frau Müller muss weg»
- Kinostart: 15. Januar 2015
- Genre: Komödie
- FSK: 6
- Laufzeit: 84 Min.
- Kamera: Tom Fährmann
- Musik: Martin Todsharow
- Buch: Lutz Hübner, Sarah Nemitz, Oliver Ziegenbalg
- Regie: Sönke Wortmann
- Darsteller: Gabriela Maria Schmeide, Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Ken Duken, Mina Tander, Alwara Höfels, Rainer Galke
- OT: Frau Müller muss weg (D 2015)
Nach dem überwältigenden Erfolg der 2013 in den Kinos angelaufenen Pennäler-Komödie «Fack ju Göhte», dessen direkte Fortsetzung im September dieses Jahres auf den Leinwänden erscheinen wird, war es nur eine Frage der Zeit, ehe sich auch andere Regisseure an dem erfolgversprechenden Konzept der Schulcomedy versuchen würden. Bei «Frau Müller muss weg» verhält es sich zwar ein wenig anders – immerhin existiert die gleichnamige Bühnenvorlage von Lutz Hübner schon wesentlich länger als die eigentliche Idee, das Kammerspiel nun auch fürs Lichtspielhaus zu adaptieren – doch der zuständige Verleih Constantin dürfte nach dem Kassenschlager von Bora Dagtekin durchaus leichteres Spiel bei der Durchsetzung des Projekts gehabt haben. Für die Regie verpflichtete man Sönke Wortmann, der zuletzt auch die Romanverfilmung von Charlotte Roches «Schoßgebete» realisierte. Vor der Kamera agiert der übersichtliche Cast aus Anke Engelke («Der Wixxer»), Alwara Höfels («KeinOhrHasen»), Justus von Dohnányi («Männerherzen»), Ken Duken («Coming In») sowie Mina Tander («Männerherzen… und die ganz ganz ganz große Liebe») auf der einen und Gabriela Maria Schmeide («Die Friseuse») auf der anderen Seite. Diese bereits zu Beginn erwähnte Aufteilung des Ensembles ist auch notwendig, um den Charakter der schlicht urkomischen Komödie «Frau Müller muss weg» zu verdeutlichen. In dieser, mit reichlich Kritik am Schulsystem angereicherten Groteske liefern sich zwei Parteien ganz unterschiedlichen Kalibers eine Schlammschlacht der Extraklasse, wie es sie zuletzt wohl nur in Roman Polanskis «Der Gott des Gemetzels» zu sehen gab.
Frau Müller muss weg! Soviel steht fest, als sich eine Gesandtschaft besorgte Eltern zu einem außerplanmäßigen Termin mit der Klassenlehrerin Frau Müller (Gabriela Maria Schmeide) zusammenfindet. Weil die Noten schlecht sind und am Schuljahresende die Entscheidung fällt, ob die Kinder den Sprung aufs Gymnasium schaffen, sind die Eltern (Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Ken Duken, Mina Tander, Alwara Höfels) fest entschlossen, mit der Absetzung der Lehrerin zu retten, was noch zu retten ist – koste es, was es wolle! Doch Frau Müller spielt nicht mit. Mit einem Mal brechen bei den doch so perfekten Müttern und Vätern alle Vorbehalte und Ressentiments, Zweifel und Sorgen, Gehässigkeiten und Ängste hervor. Die wahre Schlacht, die beginnt jetzt…
Aktuell kann man das Stück über einen aus dem Ruder laufenden Elternabend nicht bloß auf der Leinwand, sondern – wie ursprünglich angedacht – auch auf der Theaterbühne erleben. Momentan gastiert «Frau Müller muss weg» im Winterhuder Fährhaus in Hamburg und bietet dort, so möchte man meinen, das perfekte Kontrastprogramm für all jene, die mit dem „Schneller-Höher-Weiter“-Gedanken des Kinos nicht viel anfangen können. Doch schon an dieser Stelle sei bezüglich der Leinwandadaption Entwarnung gegeben: Anders als es derzeit Liv Ullmanns Kinovariante des berühmten Drei-Personen-Stücks «Fräulein Julie» vormacht, kann ein televisionäres Theaterspiel in den richtigen Händen dieselbe Atmosphäre versprühen, wie seine handgemachte Vorlage. Sönke Wortmann nutzt die automatisch vielfältigeren Möglichkeiten, die ihm aufgrund des höheren Budgets zwangsläufig gegeben sind, für ein schlichtes aber hochwertiges Produktionsdesign. Als Kulisse dienen einzig ein leeres Schulgebäude sowie die darin befindlichen Räume mehrerer Klassenzimmer, eines Schwimmbades und der Sporthalle. Von dem Pool einmal abgesehen – denn welche Schule kann sich heutzutage schon ein eigenes Schwimmbad leisten? – sind all diese Szenerien frei von jedwedem Schnickschnack. So fokussiert sich «Frau Müller muss weg» zwangsläufig auf die Interaktion der Darsteller und der immer hitziger werdenden Dialoge.
Das Skript, an dessen Übertragung auf Leinwandverhältnisse auch der Verfasser des Theaterstücks selbst zuständig war, kombiniert die Spleens der einzelnen Figuren, von denen Frau Müller selbst noch die bodenständigste ist, mit treffenden Spitzen gegen das kränkelnde Schulsystem in Deutschland. Ob es darum geht, Vorurteile über überforderte LehrerInnen zu schüren, gängige Pennäler-(Stereo)typen zu karikieren, um diese anschließend zu unterwandern, oder den sich ändernden Zeitgeist zu Gunsten von Patchwork-Familien und ihre Kinder dreisprachig erziehenden Hipster-Mutties in den Mittelpunkt zu rücken: «Frau Müller muss weg» entlarvt treffsicher jedes noch so kleine Klischee, um dieses entweder augenzwinkernd zu unterstreichen, oder es frech durch ein anderes zu ersetzen. Dabei verkommt Sönke Wortmanns Film jedoch nie zum Schaulaufen billiger Ironie. Sein nur rund 80-minütiges Lustspiel reiht einen gekonnt satirischen Höhepunkt an den nächsten und lässt seine Darsteller zur Höchstform auflaufen.
Das bekannteste Gesicht trägt dabei wohl «Ladykracher»-Star Anke Engelke, die sich auf der Leinwand eher selten die Ehre gibt, hier jedoch ideal besetzt ist. Als unterkühlte Gesprächsführerin mit streng zurückgebundenen Haaren repräsentiert sie ebenjenen Elterntypus, der in Lehrergesprächen von seiner eigenen Kompetenz wesentlich überzeugter ist, denn von jener des Lehrers. Ihr zur Seite steht mit Justus von Dohnányi ein ähnlich eingestellter Mann, weshalb sich beide auch alsbald miteinander verbünden. Von Dohnányis Figur kommt weitaus labiler daher und hat nicht – mit Verlaub – „die Eier“, mit denen seine weibliche Kollegin gesegnet ist. Gleichwohl eint beide der bedingungslose Glaube an die Fähigkeiten des eigenen Kindes. Mina Tander und Ken Duken mimen das vermeintlich fortschrittlichste Paar in dieser Runde, lassen ihrem Sohn alles durchgehen und verlassen sich ohnehin lieber auf ihre Art der antiautoritären Erziehung; der ideale Gegenpol zu Engelke und Von Dohnányi also. Zwischen den Fronten findet sich die toughe Alwara Höfels wieder, die auch in «Frau Müller muss weg» einmal mehr ob ihrer herrlich ungekünstelten Attitüde zu gefallen weiß. Das Wohl ihres Kindes steht auch für ihren Charakter über allem. Gleichsam hält sie sich darin zurück, die Augen vor der Realität zu verschließen und lässt sich am konstruktivsten auf etwaige Verhandlungen und Diskussionen ein.
Diesem Quintett, dem ohne Zweifel eine gewisse Unberechenbarkeit innewohnt, steht mit der gelernten Theaterakteurin Gabriela Maria Schmeide eine absolute Sympathieträgerin gegenüber, der man ihre ehemaligen Arrangements an diversen Schauspielhäusern zu jeder Sekunde ansieht. Derweil agiert sie vor der Kamera wesentlich zurückhaltender, ist sich des näheren Fokus‘ seitens der Kamera bewusst und vermeidet stets ein unangenehmes Overacting. Ihre Figur der Frau Müller dient zunächst als Katalysator all der Ängste, die sämtliche Eltern an diesem Abend zusammenhält. Gleichwohl ist sie all jenen haushoch überlegen und schafft es nach etwa der Hälfte der Laufzeit, den moralischen Spieß umzudrehen. So lässt sich «Frau Müller muss weg» in zwei Episoden teilen: Stilsicher baut Sönke Wortmann sämtliche Konflikte sukzessive auf, bis diese auf dem Höhepunkt bersten und ins Gegenteil umschlagen. So ganz können beide Teile das starke Niveau der Anfangsphase nicht halten: So lange sich die Handlung auf die gewitzten Wortgefechte beschränkt, die nach und nach allerhand Kurioses zutage fördern, hat der Streifen aufgrund seiner hohen Gagdichte und treffsicheren Satirespitzen das Zeug eines inoffiziellen «Der Gott des Gemetzels»-Nachfolgers. In der zweiten Hälfte lässt Wortmann seinen Cast allerdings für einige kurze Szenen aus diesem Storygerüst heraustreten und erzählt gen Ende gar von einer missglückten Liebelei. Das ist schade, hat unnötige Längen und nimmt «Frau Müller muss weg» den anfangs aufgebauten Flow. Gleichwohl können selbst derlei kleine Mängel nichts daran ändern, dass der Streifen zu den zugleich witzigsten wie intelligentesten, deutschen Komödien des Jahres gehört.
Fazit: «Der Gott des Gemetzels» goes Schule. Das einst als Theaterstück konzipierte Kammerspiel «Frau Müller muss weg» brilliert mit gewieften Dialogen sowie passionierten Darstellern und verzettelt sich auf der Zielgeraden leider ein wenig in der Idee, noch mehr aus der schlichten Prämisse herauszuholen. Das wäre jedoch gar nicht nötig: Auch ohne diese Ansätze wäre «Frau Müller muss weg» ebenjenes Comedyhighlight, das der Streifen nun geworden ist.
«Frau Müller muss weg» ist ab dem 15. Januar bundesweit in den Kinos zu sehen!