Die neue ABC-Marvel-Serie «Agent Carter» kam bei den amerikanischen Kritikern hervorragend an. Julian Miller pflichtet bei.
Cast & Crew
- Produktion: ABC Studios, Marvel Television und F&B Fazekas and Butters
- Schöpfer: Christopher Markus und Stephen McFeely
- Darsteller: Hayley Atwell, James D'Arcy, Chad Michael Murray, Enver Gjokay, Shea Whigham u.v.a.
- Executive Producer: Tara Butters, Michele Fazekas, Christopher Markus, Stephen McFeely, Chris Dingess, Kevin Feige, Louis D'Esposito, Alan Fine, Joe Quesada, Stan Lee und Jeph Loeb
Im Krieg hat Peggy Carter Seite an Seite mit Captain America (bürgerlich Steve Rogers) gekämpft und war eine wichtige nachrichtendienstliche Kontaktperson der britischen Aufklärungsbehörden mit der US Army. Doch 1946 ist vieles anders: Rogers soll tot sein und Carter trägt zwar nach wie vor den Titel „Agent“, ihr Aufgabenbereich bei der Strategic Scientific Reserve, kurz SSR, ist ihren Talenten und ihrer Erfahrung aber nicht einmal im Ansatz würdig: Offiziell ist sie primär mit dem Sortieren von Akten, dem Kochen von Kaffee und dem Bedienen des Telefons beschäftigt. Ein Ausfluss der misogynen vierziger Jahre, wo man mit Frauen in gehobenen Berufen noch so seine Probleme hat.
Zum Glück gibt es Howard Stark. Sonst müsste Peggys Leben so ganz ohne Action auskommen. Stark ist nicht nur ein berühmter Playboy, sondern auch ein brillanter Erfinder, dessen primäres Talent aber in der Entwicklung von Gerätschaften liegt, die ganze Metropolen auslöschen könnten. Die gefährlichsten Maschinen, bzw. ihre Baupläne hatte er deshalb in einem geheimen Versteck in seinem Büro aufbewahrt. Gebracht hat das nichts: Sie sind allesamt verschwunden und tauchen seit einiger Zeit nach und nach auf dem Schwarzmarkt, respektive im Rüstungsbestand der Feinde der Vereinigten Staaten auf. Deswegen hat der Kongress auch schon einen Untersuchungsausschuss gegen ihn eingerichtet. In den Anhörungen flüchtet er sich in Phrasen, schließlich wäre das Verschwinden all dieser tödlichen Erfindungen ohnehin kaum glaubhaft zu erklären. Als sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zuzieht, entschließt er sich zum Untertauchen. Er beauftragt Peggy damit, die Hintermänner ausfindig zu machen und größeres Unheil zu verhindern, und stellt ihr seinen Butler Edwin Jarvis zur Seite.
Obwohl die Zuschauerzahlen bisher
verhalten ausfielen, sind sich die amerikanischen Kritiker einig: «Agent Carter» ist einer der besten Neustarts der aktuellen Season.
Denn anders als «Agents of SHIELD» geht «Agent Carter» weit über die Ansprüche an eine Superhelden-Serie hinaus und erzählt eine relevante, spannende Geschichte über eine sehr interessante Hauptfigur, die in einer ebenso spannenden Zeit lebt: Peggy Carter ist eine emanzipierte Frau, die im Krieg wie
Rosie the Riveter aus den Fesseln der festzementierten Geschlechterrollen ausbrechen konnte und dabei nur mit vergleichsweise geringen Widerständen zu kämpfen hatte, deren Rolle in der Gesellschaft nach dem Sieg über Nazi-Deutschland und Japan aber wieder in Frage gestellt wird. Anstatt ihre intellektuellen Fähigkeiten und Talente einbringen zu können (Ihre männlichen Kollegen bei der SSR können ihr allesamt nicht das Wasser reichen), muss Peggy Carter sich dort mit Sekretärinnenaufgaben begnügen, während sich der misogyne Haufen entweder daneben benimmt oder sie gönnerhaft aus ihrem Zirkel ausschließt, wenn es die „guten Sitten“ verlangen. „Ladies shouldn’t be seeing this“, wird sie etwa von ihrem Vorgesetzten aus einem Verhörraum hinauskomplimentiert, nachdem einer ihrer Kollegen angefangen hat, den Verdächtigen mit Faustschlägen zu malträtieren.
«Agent Carter» reiht sich allein schon wegen seines Settings auch in den Trend der „Period Pieces“ im amerikanischen Fernsehen («Mad Men», «Boardwalk Empire») ein. Doch die 40er Jahre sind hier nicht nur Kulisse, sondern gleichsam dramaturgisches Untersuchungsfeld. Natürlich mögen jene Serien bei AMC und HBO relevanter erzählen und die Zeiträume, in denen sie spielen, historisch fundierter, intellektuell anspruchsvoller und analytisch vielschichtiger reflektieren. Doch «Agent Carter» leistet für eine Networkproduktion, die tendenziell ohnehin eher dem Action-Segment zugeordnet werden will, erstaunlich viel.
Ihre narrativen Hintergründe im
Intelligence-Milieu sind dem sogar sehr zuträglich. Denn manchmal wirkt «Agent Carter» nicht nur ästhetisch ein bisschen wie ein Film noir in Farbe und mit modernen Mitteln. Denn die Serie erzählt – trotz ihrer starken Betrachtungsebene und ihrer psychologisch durchaus komplexen Charaktere – sehr plotgetrieben, mit einer hohen erzählerischen Dichte. Dabei hat jede Folge einen eigenen starken Spannungsbogen, während sich ein weiterer durch die gesamten acht Episoden der ersten Staffel zieht.
«Agent Carter» ist also nicht nur eine weitere Inkarnation des Marvel-Universums, sondern kann auch jenseits all seiner (gut umgesetzten) Action- und Superhelden-Elemente überzeugen, und erzählt in erster Linie eine spannende Geschichte über sehr spannende Figuren. Und gerade das macht diese Serie zu einem Must-See-Event.