Metafiktionales Burnout

Lena Odenthal hat Burnout. Inhaltlich hat ihr «Tatort» das schon lange. Und doch ändert sich seit Jahren nichts Wesentliches an dieser rückständigen Reihe. Auch nicht in der neuen Folge.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Ulrike Folkerts als Lena Odenthal
Andreas Hoppe als Mario Kopper
Lisa Bitter als Johanna Stern
Peter Espeloer als Peter Becker
Annalena Schmidt als Edith Keller
Ben Münchow als Gerd Holler
Lisa Charlotte Friederich als Paula Bender

Hinter der Kamera:
Produktion: Maran Film GmbH und SWR
Drehbuch: Harald Göckeritz
Regie: Patrick Winczewski
Kamera: Andreas Schäfauer
Produzenten: Nils Reinhardt und Sabine Tettenborn
Es ist immer schwer, aus jahrelangem Dahinsiechen auszubrechen. Das deutsche Fernsehen verdeutlicht das an vielen Stellen, besonders gut aber am Beispiel Lena Odenthal. Seit gefühlt einem Jahrzehnt hat ihre «Tatort»-Reihe keinerlei Variation mehr erfahren, jeden Trend verschlafen, sich nie erneuert, sondern stur im alten Trott weiter vor sich hin erzählt, bis Ludwigshafen zur antiquiertesten, altmodischsten «Tatort»-Stadt Europas wurde, wo es dramaturgisch so zugeht, als läge die Jahrtausendwende noch meilenweit vor uns.

Die letzte Folge, “Blackout“, war ein erster, zaghafter Versuch, aus den angestaubten Gepflogenheiten auszubrechen. Mit Johanna Stern wurde eine neue Figur eingeführt, die einen distanzierteren, nüchternen Kontrapunkt zu Odenthals theatralischem überkandideltem Mitfühlen setzen sollte, und mit Lisa Bitter gleich noch mit einer sehr talentierten Schauspielerin besetzt. Lena Odenthal stand derweil mit einem Bein im Burnout. Was man gerne auch metafiktional deuten kann.

„Die Sonne stirbt wie ein Tier“ will diesen Weg weiter gehen. Lena Odenthal ist gerade in der Reha, um vom ständigen Empathisieren mit ihren Mördern und Mordopfern wegzukommen. Aber auch in der Idylle, unweit vom heimischen Ludwigshafen, werden Menschen niedergemetzelt. Und Lena kann das Kriminalisieren nicht lassen. Fast denkt man da kurz an «Pfarrer Braun». Doch dieser Vergleich wäre sogar für die ewiggestrige Odenthal eine Beleidigung.

Jedenfalls geht in der Pfalz ein Pferderipper um, der in den vergangenen Wochen reihenweise Tiere aufgeschlitzt und qualvoll verenden lassen hat. Der Täter soll Gerd Holler sein. Die örtliche Polizei hat ihn der Taten schon länger in Verdacht, konnte ihm aber bisher nichts Handfestes nachweisen. Als nun auf einem Gestüt mit dem Pferd auch noch ein Mitarbeiter abgestochen wurde, werden Lena und ihre jüngere Kollegin Johanna Stern auf den Plan gerufen und knöpfen sich als erstes diesen sonderbaren Holler vor. Arbeitsteilung: Lena fühlt mit und guckt manchmal ein bisschen entgeistert, Johanna liefert die Ergebnisse: Der stotternde Außenseiter hat wahrscheinlich ein gestörtes Verhältnis zu Frauen und lebt seine abartigen sexuellen Phantasien beim Abschlachten von Nutztieren aus. Kleine Vorwarnung am Rande: Psychologisch vielschichtiger wird es nicht werden!

Um aber noch ein bisschen „einfacheres“ Drama in den Plot einzuflechten, geraten auch der Hofbesitzer, ein ebenso erfolgreicher wie geschniegelter Rechtsanwalt und seine Verlobte in Verdacht, ihren Angestellten erdolcht zu haben. Anwalt Yildiz hatte kurz vor dessen Tod nämlich einen Privatdetektiv auf das spätere Opfer angesetzt.

Es ist durchaus beachtlich, wie wenig Penetranz von „Die Sonne stirbt wie ein Tier“ ausgeht, wie wenig hier im Close-up in die Kamera geheult und lautstark durch die Gegend gepoltert werden muss, um so zu tun, als erzähle man emotional mitreißend. Für Ludwigshafener Verhältnisse zumindest. Und doch: Ein Befreiungsschlag ist diese Folge wahrlich nicht, genauso wenig wie es „Blackout“ war. Denn der Duktus ist immer noch in gewohnter Weise antiquiert, Lena Odenthal als Figur seit langem zu arm an Facetten, die Versuche, den Plot psychologisch interessant zu unterfüttern, sind viel zu oberflächlich, die symbolistischen Tendenzen nicht zu Ende gedacht: Odenthal darf ewig von ihren Träumen erzählen, in denen sie sich selbst mit einer Drahtschlinge erdrosselt, doch das führt nirgendwohin außer ins Offensichtliche.

Und psychologisch? Ein junger Mann mit leichtem Sprachfehler tut sich schwer in sozialen Situationen, speziell mit Frauen, ist (das wird zumindest suggeriert) dadurch zum Stalker und Perversen geworden, der in die Wohnungen von Frauen einbricht und Pferde absticht, um sich sexuell zu befriedigen. Man muss kein Genie sein, um vorhersagen zu können, wohin das in einem Ludwigshafener «Tatort» wohl führen wird. Es reicht, wenn man in den letzten zwanzig Jahren mal eine beliebige Folge aus dieser Stadt gesehen hat.

Das mag in den späten 90ern noch «Tatort»-Niveau gewesen sein. Doch nicht nur die Speerspitze in Dortmund, Wien, Wiesbaden und Frankfurt spielt seit langem in einer ganz anderen Liga. Mit den behutsamen, langsamen Veränderungen, die in „Blackout“ und dieser Folge angedacht sind, wird dem Modergeruch des Altmodischen kaum zu begegnen sein.

Vielmehr scheint Lena Odenthal tatsächlich auch metafiktionales Burnout zu haben. Will sagen: Diese Figur ist auserzählt. Da kommt nichts mehr, außer zu gewolltes Psychologisieren, was außer bei Johanna Stern aber allzu oft im Dilettieren endet. Dieser Burnout scheint untherapierbar.

Das Erste zeigt «Tatort – Die Sonne stirbt wie ein Tier» am Sonntag, den 18. Januar um 20.15 Uhr.
17.01.2015 12:37 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/75745