Der nächste Neustart am Vorabend des Ersten steht an. Er heißt «Unter Gaunern» und seine Devise lautet klar: More of the same. Zumindest wirkt die Serie flippiger als andere Versuche der jüngeren Vergangenheit...
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Cristina do Rego als Betty Schulz
Jophi Ries als Bruno Schulz
Julia Jäger als Jette Schulz
Peter Franke als Frans Schulz
Moritz von Zeddelmann als Robbie Schulz
Kaya Marie Möller als Carmen
Barbara-Magdalena Ahren als Ida Wolff
Hinter der Kamera:
Produktion: X Filme Creative Pool
Idee und Head-Autor: Christian Jeltsch
Drehbuch: Christian Jeltsch und Sonja Schönemann
Regie: Sophie Allet-Coche und Andreas Menck
Kamera: Christian Paschmann und Markus Hausen
Produzent: Michael PolleIhr Haus in Bremen nennen die Schulzens liebevoll Alcatraz. Das hat Gründe. Denn weite Teile der Familie haben Zeit im Knast verbracht. Manche, wie Opa Frans, wegen schwerer Verbrechen wie Raub und illegalem Waffenbesitz, andere wie Mutter Jette mussten wegen eines totalitären Staatssystems zwei Jahre für Republikflucht absitzen. Wieder andere, wie Sohn Robbie, sind wegen ihrer Drogendelikte noch einmal mit Bewährung davon gekommen.
Nur Hauptfigur Betty Schulz, Robbies Schwester, schlägt aus der Art: Sie ist Polizistin geworden und hat sich extra in die Abteilung für Schwerkriminalität setzen lassen, um ihrer Familie bei ihren kriminellen Machenschaften nicht in die Quere zu kommen. Solange die Schulzens sich an ihren Ehrenkodex („Keine Drogen! Keine Waffen!“) halten, sollten sich ihre beruflichen Wege nicht kreuzen.
Trotzdem hält Betty ihren Job vor ihrer Familie geheim. Kein Bock auf lange Debatten und so. Das birgt gewisse Risiken, wie der Pilot gleich in seiner Eröffnung betonen will: Denn als eines Morgens neun Mannschaftswagen vor ihrem Alcatraz für Arme stehen, schalten die Schulzens mit schnellen Handgriffen in den Krisenmodus – und fast wird Betty vor ihrer Familie als Bulle, vor ihren Kollegen als Verbecherstochter geoutet.
© ARD/Thorsten Jander
Die Schulzens: (v.l.n.r.) Mutter Jette (Julia Jäger), Vater Bruno (Jophi Ries), Tochter Betty (Cristina do Rego), Großvater Frans (Peter Franke) und Bruder Robbie (Moritz von Zeddelmann).
Ganz leicht fällt die – am Vorabend normalerweise recht eindeutig geführte – moralische Einordnung der Schulzens nicht. Raub ist nun nicht gerade ein Kavaliersdelikt und erfordert einiges an krimineller Energie. Und doch wird Opa Frans, der deswegen sieben Jahre hinter Gittern zugebracht hat und noch heute nachts Al Capones schlimmste Zeiten in Chicago romantisiert, als durch und durch positive Figur dargestellt. Auch Bettys Vater Bruno lässt heute die Finger von der Waffenschieberei, verweigert sich dem Drogenhandel und begnügt sich damit, Smartphones über Grenzen zu schmuggeln. Trotzdem wirkt die fast vollständig positive Zeichnung dieser Charaktere manchmal ein wenig unappetitlich. Natürlich: Das hier ist der Vorabend in der ARD. Hier wird nicht reflektiert wie bei den «Sopranos» oder beim «Paten». Das meint das Erste seinen Zuschauern um diese Zeit intellektuell nicht zumuten zu können. Doch gerade bei diesem Thema und Sujet wäre eine solche Reflexion nun einmal notwendig gewesen, wenn man mit Gauner-Figuren arbeitet, deren Straftaten über Trickbetrug und Handtaschendiebstähle hinausgehen und mitunter im Bereich der Schwerkriminalität angesiedelt sind.
Man versucht, so etwas Ähnliches wie Ausgewogenheit zu erreichen, indem man der liebevollen Verbrecherbande die abgebrühte, zynische Law-and-Order Hauptkommissarin Wolff entgegensetzt, die als Bettys Vorgesetzte auftritt. Da wird es ähnlich unappetitlich, nur in die andere Richtung. „Wir sind der Schließmuskel der Gesellschaft, der die Scheiße vor dem Auslaufen hindert, damit die Latte-Macchiato-Muttis weiter das Klima retten können“, lamentiert die ältere Kettenraucherin. Dezidiert, passend zur Figur, aber eben auch streitbar. Doch gestritten wird nicht bei «Unter Gaunern». Zumindest nicht tiefgreifend. „Es gibt Vorschriften!“, beschwert sich Betty an anderer Stelle, als Wolff wieder anfängt, im Dienst rechtsbrüchig zu werden. „Und es gibt die Realität! Ich scheiß‘ auf Vorschriften, wenn ich Leben retten kann!“ So einfach ist die Welt aber nur am Vorabend in der ARD. Fast möchte man sie dazu verpflichten, das als Disclaimer in den Abspann zu schreiben, damit niemand auf die Idee kommt, sich hier mit Argumenten und Haltungen zu versorgen.
Der Rest ist das, was um diese Uhrzeit bei diesem Sender erwartet werden kann: ganz nett, wenig innovativ, unspektakulär. Im Vergleich zum ziemlich erbärmlichen «Dating Daisy» kann «Unter Gaunern» da sogar Boden gut machen. Die Charaktere sind, obwohl die Umstände deutlich absurder ausfallen als in der debilen Krankenhausserie, nahbarer, glaubwürdiger, vielschichtiger, Christina do Rego spielt ihre Hauptrolle charmanter und deutlich weniger aufgesetzt als Tina Amon Amonsen ihre doofe Daisy, die paar Gags, die «Unter Gaunern» nicht bis zum letzten Quentchen Albernheit ausschlachtet, sind immerhin weniger abgestanden als Daisys Klamotten, die in Autotüren hängen bleiben. Doch das sind eher graduelle Verbesserungen, wo eigentlich absolute notwendig wären. Das Urteil lautet: Abführen!
Das Erste zeigt acht Folgen von «Unter Gaunern» ab dem 27. Januar dienstags um 18.50 Uhr.