„
Wenn du einwilligst, meine Sklavin zu sein, dann bin ich dir treu ergeben.
”
Einer der qualitativ "gelungeneren" Sätze in «Fifty Shades of Grey»
«Blau ist eine warme Farbe», erkannte 2013 eine französische Comicadaption, die sich einfühlsam der komplizierten Beziehung zwischen einer erfahrenen Lesbe und einer sich gerade selber entdeckenden Bisexuellen annimmt. Die freizügigen Sexszenen sind dramaturgisch sinnvoll eingesetzt und die Figurenzeichnung ist plausibel sowie einnehmend. Kurzum: Es ist ein Film, der eine Daseinsberechtigung hat. Der Hand und Fuß hat. Der eine klare Linie fährt.
Grau wiederum ist eine langweilige, langweilige Farbe. Insofern ist es nur zu passend, dass Sam Taylor-Johnson mit «Fifty Shades of Grey» den langweiligsten Mainstreamfilm des bisherigen Jahrhunderts ablieferte.
Dies bedeutet jedoch auch, dass die einzige Daseinsberechtigung dieses 125-minütigen Schnarchfestes der ebenso unerklärliche wie immense Erfolg der Buchvorlage ist, den Universal Pictures im Kino wiederholen möchte. Eine klare Linie fehlt der Romanverfilmung dagegen. Die einzelnen, wahllos auf die Leinwand gepfefferten Ansätze verknoten sich stattdessen zu einem grau-grauen Wust, der den Sexappeal einer ausgeblichenen Baumarkt-Quittung hat. Dieses Machwerk hat weder Hand noch Fuß, auch nicht Herz und Verstand, es hat nicht einmal eine funktionierende Libido: Prickelnd ist «Fifty Shades of Grey» nur für Sekundenbruchteile. All zu schnell stellt sich dank der konturlos dargebotenen Sexspielchen Ernüchterung ein, so dass das Stöhnen, Atmen, Reiben, Fesseln, Schlagen nur noch auf einen einprasselt. Und die Charaktere der unter einem verdammt miesen Stern stehenden Liebenden sind so irrsinnig, dass es regelrechten Zorn über das fehlgeleitete Drehbuch entfachen könnte. Wäre da nicht das unsäglich fade Schauspiel, das sämtliche Funken im Keim erstickt, die auf der Leinwand oder im Geist des Publikums zu entstehen drohen.
Seinen Anfang nimmt das Debakel, als die 21-jährige Literaturstudentin Anastasia Steele (Dakota Johnson) für ihre Mitbewohnerin (die unfähigste Journalistin der jüngeren Kinovergangenheit: Eloise Mumford) einspringen muss und ohne jegliche Vorbereitung den millionenschweren Unternehmer Christian Grey (Jamie Dornan) interviewen soll. Ana stolpert ihm zur Begrüßung wortwörtlich vor die Füße, doch keine Sorge: Obwohl sie von der Situation völlig überfordert ist, verlieben sie sich auf Anhieb ineinander. Sie mag mit jeder Faser ihres Daseins ausstrahlen, das grauste Mäuschen der Evolutionsgeschichte zu sein, und er kündigt zwar bereits nach wenigen Sekundenbruchteilen mit der Subtilität eines Schlaghammers an, sich nach gänzlich anderen animalischen Formen zu sehnen, aber wen kümmert das? Wenn zwischen den Schauspieler eine knisternde Anziehungskraft besteht, kann man das noch immer abkaufen!
Doch Fehlanzeige: Zwischen Johnson und Dornan besteht nicht einmal eine sanft raschelnde Anziehungsenergie. Wenn sich die unentwegt auf ihre Unterlippe beißende Johnson und der mit Teddybärblick einen elektrisierenden SM-Oberbonzen zu spielen versuchende Dornan das Bild teilen, tut sich ein Vakuum auf. So bleibt als einziger Antrieb für die sich tumultartig anbahnende Filmromanze das gesprochene Wort beider Akteure übrig.
Anas Worte markieren sie allerdings als sexuell unerfahrenes Mauerblümchen, das sich nach einem verständnisvollen Mann sehnt, der mit ihr das Beziehungspendant zu Vanilleeis führt. Essen gehen, Kinobesuche, über die eigene Biografie reden. Der Standardkram halt. Manche widert es an, andere können nicht ohne. Christians Worte stellen ihn unmissverständlich als Person dar, die dem ersten Schlag angehört. Mehr noch: Er verfolgt seine Mitmenschen, kontrolliert sie unentwegt, befehligt sie, lässt es niemals ungestraft, wenn sich ein noch so kleines Detail seinem Sagen entzieht. Er hat so präsente soziopathische Untertöne, hätte Komponist Danny Elfman nicht einen undefinierten, lustlosen Score hingeschludert, sondern eben diese Untertöne klanglich realisiert, es würde selbst die beste Kino-Soundanlage zerreißen.
Gegensätze mögen sich anziehen, nur sind Ana und Christian keine oppositionellen Persönlichkeiten, sondern irgendwo in zwei weit voneinander entfernten charakterlichen Spektren angesiedelt, zwischen denen sich keinerlei Verbindung aufbauen lässt. Aber, hey! Sie ist wie geschaffen dafür, völlig erniedrigt zu werden, und er zehrt all seine Energie daraus, jemanden seinem Willen zu unterwerfen. Und dies ist eine SM-Kitschromanze, das geht doch auf ..! Abgesehen davon, dass dem eben nicht so ist. Nicht umsonst liefen diverse BDSM-Vereinigungen Sturm gegen das Geschreibsel der Buchautorin E. L. James, deren Recherche zu dieser Thematik noch oberflächlicher gewesen sein muss, als Anas im Laufe des Films angerissene Informationssuche.
Wenigstens lässt sich dem von einem auf künstlerischer Sparflamme handelnden Seamus McGarvey (Kamera: «Anna Karenina» und «Marvel's The Avengers») in lasche Farben gekleideten Streifen eins nicht vorwerfen: Regisseurin Sam Taylor-Johnson, Drehbuchautorin Kelly Marcel und Ghostwriter Patrick Marber haben mindestens die hirnrissigsten Einfälle E. L. James' aus dem Handlungsverlauf getilgt. Kein verkitscht dargestellter Menstruationssex, keine durch Anas Romantisierung ihres ersten Lovers entschuldigte Vergewaltigung. Wer einen Schritt zurückgeht und die Filmversion von «Fifty Shades of Grey» kritisch beäugt (und dank des vielen Leerlaufs fällt es wahrlich nicht schwer, diesen Schritt zu tätigen), sieht keinen Frauenschänder, der sein Handeln damit entschuldigt, dass er ja BDSM praktiziere und sein Handeln ein Teil dessen sei. Zwar pfeift Christian genau wie im Buch auf die genaue Einhaltung des Grundsatzes „Safe, Sane, Consensual“, durch das etwas gezügeltere Filmskript ist Christian aber „nur“ manisch, herrisch und kurz davor, sich berechtigten juristischen Ärger mit Ana einzuhandeln. Charming!
Dass der Film Christians ununterbrochenes Gängeln Anas, sie solle sich schneller und offener „seiner“ Welt hingeben, trotzdem derart besingt, als hätte das noch junge Paar bloß eines der üblichen Romantic-Comedy-Missverständnisse, ist Schuld der Buchautorin und des Filmverleihs. Als Universal die Adaptionsrechte erwarb, räumte das Studio der durch den schwindelerregenden Erfolg ihrer Bücher einen Höhenflug erleidenden Autorin ein Mitspracherecht ein, dessen Umfang in Hollywood sonst unerhört ist. So kam es zu zahllosen, hitzigen Debatten zwischen Taylor-Johnson und James, die laut diversen Berichten nahezu durchweg damit endeten, dass James ihren Willen durchprügelte. Deswegen bleibt die im Buch innewohnende Diskrepanz zwischen intendierter Wirkung und tatsächlicher Figurenzeichnung auch auf der Leinwand erhalten: Purer Romantikkitsch inklusive als pikant verkauftem Einsteiger-BDSM kollidiert hier mit einer Figurenkonstellation, die sich eher für eine komplexe Charakterstudie anbietet.
Christian wäre eine hoch faszinierende Figur, hätte «Fifty Shades of Grey» nur ansatzweise solch einen Selbstanspruch wie Pedro Almodóvars «Fessle mich!». In der dargebotenen Form bricht die hauchdünne Illusion des Films dagegen beim leisesten Aufmucken des Publikums in sich zusammen. Dieses fragile Konstrukt könnte ja noch halbwegs bestehen, würde es denn seiner Thematik alle Ehre machen und einen fesseln. Aber die Softcore-Sexszenen sind kühl, mit fast schon beleidigend unerotischer Musik unterlegt und zudem unrhythmisch geschnitten. Die Gespräche zwischen den Hauptfiguren sind dermaßen häufig mit Wiederholungen ihrer Namen gespickt, dass selbst die allerletzten Versuche scheitern, Sinnlichkeit aufzubauen. Und die vom Film gewollten Pointen werden so überdeutlich telegrafiert, dass sich zwischen dem Schmunzeln beim Erahnen des Witzes und dem eigentlichen Gag im Kino locker ein Quickie schieben lassen könnte. Wäre aufgrund tödlicher Langeweile untenrum nicht schon alles abgestorben.
Nur gelegentlich schlägt «Fifty Shades of Grey» nicht ins Leere. Dann und wann gleitet Taylor-Johnsons Inszenierung nämlich ins Selbstparodistische ab. So tut sich unter anderem nach dem ach-so-heißen Kennenlernen der Hauptfiguren ein orgasmischer Regenschauer auf. Leider sind diese vitalisierenden Oasen des unfreiwilligen Humors, die auch teils wegen all zu monotoner Dialogpassagen oder auffällig-keuchen Schnittfolgen entstehen, äußerst rar gesät. Und so empfiehlt sich «Fifty Shades of Grey» nicht einmal als Trashperle der Marke «Showgirls». Selbst wenn das an Arbeitsverweigerung und künstlerischer Verzweiflung grenzende Ende durchaus Etwas ist, das man am eigenen Leibe erlebt haben muss.
Fazit: So prickelnd und authentisch wie der Geschmack eines aromatisierten Billigkondoms: «Fifty Shades of Grey» ist weder romantisch, noch provokant, noch sinnlich oder lustig. Dieser Film ist einfach nur „50 Facetten von abgefucked“. Und leider selbst das nicht im fesselnden Sinne.