Varoufake: Von Fakes, Fakefakes und der Frage nach dem Kontext
Jan Böhmermann und das «Neo Magazin Royale» lassen die Journalisten schwitzen: So reagieren unter anderem Varoufakis und i&u TV auf das Stinkefingergate. Und auch Böhmermann selbst bezieht noch einmal Stellung.
Die Grenze ist überschritten
Jan Böhmermanns am Mittwoch veröffentlichter Clip zeigt: Die Grenze in der öffentlichen Griechenland-Debatte ist längst überschritten. Von Talkshow-Machern, von Bild und auch von Böhmermann selbst. Es ist mediale Hetze, das Aufbauen eines Feindbildes und das stetige Bestätigen dieses: Dem armen Griechen, der selbst keine Steuern zahlt und sich nun am Geldbeutel der Deutschen bedienen will. Um dieses Bild zu untermauern, sind alle Mittel recht. De facto geht es aber um viel: Um eine ganze Nation, um die Freundschaften zwischen zweier Länder und um unsere gemeinsame Währung. Platz für Kampagnen, Späße oder PR-Coups ist da nicht. Stand jetzt gibt es viele Verlierer: Varoufakis zum Beispiel, die deutschen Medien. Und es gibt einen Gewinner: Jan Böhmermann, der die öffentliche Debatte nutzte, um sich in die Schlagzeilen zu bringen und vielleicht sogar noch bessere Sendeplätze für seine TV-Show im Zweiten herauszuschlagen. Wann geht es wieder nur um die Sache?
Kurz kommentiert: Contra von Manuel Weis
Vom digitalen Programmrand zum Hauptprogramm in die Schlagzeilen: Jan Böhmermanns Satiresendung «Neo Magazin Royale» dominiert dank seines „Varoufake“-Videos die tagesaktuellen Gespräche. Nachdem Böhmermann in einem Beitrag behauptete, das im Polittalk «Günther Jauch» diskutierte Video, in dem Varoufakis den Deutschen den Stinkefinger zeigt, gefälscht zu haben, kocht nunmehr die Debatte über journalische Sorgfalt hoch. So fordert Varoufakis über Twitter eine Reaktion der «Günther Jauch»-Redaktion: „Steht da eine Entschuldigung bevor? Weil ein manipuliertes Video benutzt wurde, um eine auf Versöhnung ausgerichtete griechische Stimme zum Schweigen zu bringen?“
Die 'BILD'-Zeitung wiederum, die aufgrund des in Jauchs Talk gezeigten Clips ihre negative Berichterstattung über Varoufakis erhärtete, versucht sich in ihrer Reaktion auf das Böhmermann-Video investigativ: „Heute Mittag, so erfuhr 'Bild', will das ZDF bekannt geben, dass Böhmermanns Geschichte vom gefälschten Mittelfinger frei erfunden und als Satire gedacht ist.“ Dabei war dies gar nicht der Punkt des Satirevideos. Medienjournalist Stefan Niggemeier reagierte ebenfalls auf den «Neo Magazin Royale»-Clip und kommt der Sache auf den Grund: Auf seinem Blog vertritt er die Stellung, dass die Frage, was nun im Mittelfingervideo Bildmanipulation sei oder nicht, unbedeutend wäre: „Es ist am Ende eine Frage der Glaubwürdigkeit. Entweder man glaubt Böhmermann. Oder der ganzen deutschen Medienmeute, NDR, Günther Jauch, Ernst Elitz*, 'Bild'-Zeitung. Klare Sache.“
Auch die 'Süddeutsche' vertritt die Meinung, dass die Frage, ob nun das Bildmaterial Fake ist oder nicht, gar nicht von Belang war. „Darum geht es im Kern schon nicht mehr“, heißt es in der Onlineausgabe der überregionalen Tageszeitung. Entscheidender sei „dass die Redaktion die gezeigten Varoufakis-Filmausschnitte aus dem Kontext gerissen und schlecht erklärt hatte - der vorgebliche Stinkefinger-Auftritt war eben bloß ein Fundstück aus dem Netz, mit dem Jauch den Politiker schnell mal konfrontieren wollte. Er machte das Video damit seriöser, als es offensichtlich ist.“
Das wurde auch Zeit!
Die Varoufake-Aktion ist ein Segen für den deutschen Journalismus, die deutsche Satirelandschaft, ja, eigentlich sogar für die gesamte Bundesrepublik. Die Rumgezeter-Mentalität vieler Wutbürger musste einfach mal gewaltig veralbert werden. Bei «Günther Jauch» gab es einen Ausschnitt aus dem Jahr 2013 zu sehen, in dem Varoufakis einen Exkurs über vergangene wirtschaftliche Schritte hält und dann auf die Option eingeht, die Griechen sollten sich nicht weiter um die Deutschen scheren. Eine Meinung, die er selber kritisiert. Und dies auf einem Festival für provokative Politdebatten. Jauchs Redaktion verfälschte das Video, indem sie es in einen inkorrekten Zusammenhang setzte. So wie in vielen Medien die gesamte Griechenland-Berichterstattung auf eine dumme, aggressive Ebene runter gebrochen wird. Böhmermann rüttelte nun Deutschland wach. Sicher wird bald wieder der Alltag zurückkehren. Aber wenigstens gab es nun einen kurzen wachen Moment.
Kurz kommentiert von Sidney Schering
Die «Günther Jauch»-Produzenten gehen derweil in einer Stellungnahme nicht auf die sich entfaltende Kontext-Diskussion ein. Stattdessen gehen sie gegenüber dem «Neo Magazin Royale» in die Offensive. i&u TV bezweifelt die Echtheit der von Böhmermann getätigten Aussage und fordert daher ihn und das ZDF auf, „Beweise für diese Behauptung zu liefern“. Die Produktionsfirma hält darüber hinaus „an der Einschätzung verschiedener Experten fest, die das Video als authentisch einstufen.“ Die Einschätzung, dass der in «Günther Jauch» gezeigte Videoausschnitt nicht manipuliert sei, habe sich i&u TV unter anderem bei Thomas Gloe, dem Geschäftsführer von 'Dence, Fälschungserkennung bei digitalen Bildern, Videos und Audio', den Netzanalysten von 'storyful' sowie dem Video-Analysten 'Conflict Reporter' eingeholt.
Des Weiteren beruft sich die Produktionsfirma auf den Twitter-Kanal von Yanis Varoufakis, der ebenfalls auf das laut Böhmermann manipulierte Video verweist. Was i&u TV im Bezug auf Varoufakis' Twitter-Verlinkung jedoch zu beachten versäumt: Der griechische Finanzminister teilte das Video mit dem Kommentar „Und hier ist das von den skrupellosen Medien 'ungefälschte' Video“. Ob sich Varoufakis mit den Ironie kennzeichnenden Gänsefüßchen auf den gestreckten Mittelfinger bezieht, oder eben auf die von i&u TV unkommentierte Kontext-Frage, lässt sich dem Twitter-Kanal des Politikers indes nicht entnehmen. Die Art der Authentifizierung, die das «Günther Jauch»-Team sucht, findet sich in dem Tweet also nicht. Sehr wohl aber lässt sich Twitter entnehmen, dass Varoufakis Böhmermanns Video begrüßt: „Humor, Satire und Selbstironie sind ein großartiges Heilmittel gegen blinden Nationalismus. Wir Politiker brauchen euch dringend.“
Böhmermann wiederum reagiert auf die Diskussion, ob er nun wirklich das Varoufakis-Video fälschte oder nicht, mit einer Mischung aus Humor und Ernst. In einem kurzen YouTube-Statement, das ihn passenderweise vor einer kürzlich ebenfalls medial debattierten Stinkefinger-Fotomontage zeigt, sagt er: „Unser Video ist zu einhundert Prozent echt. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner. Als Entschuldigung und Zeichen des guten Willens gegenüber unseren europäischen Freunden, sollten Günther Jauch und die Redaktion der 'BILD'-Zeitung umgehend, umgehend die Euro-Zone freiwillig verlassen.“ Er führt fort: „Niemals würden wir die notwendige journalistische Debatte um einen zwei Jahre alten, aus dem Zusammenhang gerissenen Stinkefinger und all diejenigen, die diese Debatte ernsthaft öffentlich führen, derart skrupellos der Lächerlichkeit preisgeben.“
ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler scheint indes mit Böhmermann auf einer Wellenlänge zu liegen. Sarkastisch kommentiert er gegenüber 'Spiegel Online': „Wir sehen uns gezwungen, das «Neo Magazin Royale» zukünftig als Satiresendung zu kennzeichnen." Für die Moderation des «heute journals» werde Jan Böhmermann aufgrund seines Handelns übrigens „sicherheitshalber vorerst ausgeschlossen.“