Der Showmaster beklagt Innovationsarmut im Unterhaltungsfernsehen und hofft auf ein Format, über das alle am nächsten Tag sprechen - wie einst bei «Wetten, dass..?». Aber ist ein solches Format heute überhaupt noch realistisch?
Frank Elstners Karriere
- erste Medienerfahrungen im Jugendradio, später verantwortlich bei Radio Luxemburg
- Durchbruch im TV mit der Show «Die Montagsmaler»
- Erfinder von «Wetten, dass..?», das er sechs Jahre bis 1987 moderiert
- Zweite Showkarriere bei RTL, u.a. mit «Jeopardy!»
- spätes Engagement bei der ARD, ab 2002 mit Talkshow «Menschen der Woche» (SWR), «Verstehen Sie Spaß?» und «Die große Show der Naturwunder» (beide Das Erste)
„Niemals wieder hatte ich in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun“, schrieb Florian Illies über seine Ferhsehmomente mit «Wetten, dass..?». Die Worte entstammen seinem Roman „Generation Golf“, dieser beschreibt das Denken, das Leben einer Generation, die in den 80er Jahren aufgewachsen ist – mit den großen Show-Urgesteinen, mit «Wetten, dass...?», eben mit Frank Elstner. Am Samstagabend war Elstner Pflichtprogramm, und die Kinder der damaligen Generation saßen ganz selbstverständlich vor den Bildschirmen. Es waren die Zeiten, in denen «Wetten, dass..?» mehr als 20 Millionen Zuschauer anlockte, auch viele andere Fernsehshows waren erfolgreich.
Frank Elstner, Erfinder und erster Moderator der Wett-Show, war schon immer Pionier deutscher TV-Unterhaltung. In der Branche kennt man ihn als jemanden, der süchtig nach neuen Bildschirm-Ideen ist, der sich weltweit auf die Suche begibt nach neuen Formaten. Seine Worte haben Gewicht. Es ist wenig überraschend, dass ein Interview in der Zeitschrift „Fernsehwoche“ zuletzt so viele Schlagzeilen machte: „Moderator rechnet mit TV-Showbranche ab“ und „TV-Urgestein Frank Elstner klagt über die Showkrise“ waren nur einige der Überschriften, die man lesen konnte. Elstner beklagte vor allem die Risikoarmut der Sender, etwas Neues auszuprobieren: „Um den Nachwuchs an Moderatoren mache ich mir keine Sorgen, aber tatsächlich darüber, dass im Fernsehen die falschen Formate aufgelegt werden.“ In den letzten Jahren sei sehr wenig Überzeugendes auf den Markt gekommen. Shows wie «Let's Dance» oder «The Voice of Germany» hätten zwar Höhepunkte, „aber ein richtig tolles Ding, über das alle Leute am nächsten Tag sprechen, das fehlt“, so Elstner.
Tatsächlich: Über zehn Jahren hat das westliche Fernsehen keine innovativen Showformate mehr erfolgreich entwickelt, geschweige denn ein ganzes Genre begründet. Nach Castingshows (2000) und Promi-Camp-Formaten wie «Ich bin ein Star, holt mich hier raus!» (2004) gab es keinen Quotenhit mehr – sprich: kein neues regelmäßiges Showformat, das zehn Millionen Zuschauer oder mehr erreicht. Und selbst beim RTL-Dschungelcamp ist fraglich, ob dieses noch im Show- oder eher im Reality-Genre zu verorten ist. Unabhängig davon lebt die deutsche – und zum Teil die gesamte westliche Fernsehlandschaft – von genannten Konzepten, die immer wieder mit einigen frischen Elementen verjüngt werden, aber letztlich doch immer nach dem gleichen Mechanismus funktionieren. Zuletzt klappte eine solche Verjüngungskur mit «The Voice» im Casting-Genre, neuere Versuche wie «Rising Star» oder «Keep Your Light Shining» dagegen weniger. Die Sender ruhen sich derzeit auf alten Erfolgen aus und hoffen, dass das Publikum dasselbe Essen weiter konsumiert – sprich: weitere zehn Jahre «DSDS» und Co. zu guten Quoten verhilft. Es wäre jedoch fatal, sich nicht mit dem Ernstfall zu beschäftigen: Was, wenn diesem Publikum das Essen irgendwann doch wieder hochkommt?
Es gibt zwei mögliche Szenarien, die in Frage kommen: Entweder befindet sich das Show-Fernsehen tatsächlich nur in einer temporären Krise. Das hieße, dass bei einem entsprechenden innovativen Hit-Format auch wieder Traumquoten erreicht werden könnten. Und damit sind nicht «Schlag den Raab»-Quoten gemeint – sondern solche, die Straßenfeger-Qualität haben. Oder aber die Fernsehlandschaft verändert sich derzeit so stark, dass Show-Unterhaltung mehr und mehr zur Nebensache oder gar überflüssig wird. Um Elstners Gedankengang aufzugreifen: Ein Ding, über das die Leute am nächsten Tag sprechen, müsste man dann gar nicht mehr erwarten. Und auch nicht forcieren. Es wird ein solches Ding nicht mehr geben.
Es sprechen mehr Aspekte für das zweite Szenario als für das erste. Zwar gibt es Fernsehmärkte, die gute Konzepte entwickeln, aber in jüngerer Zeit funktionierten groß angekündigte Hits selten überall – anders als damals bei «DSDS». Auch Elstner erwähnt Formate aus Italien, „bei denen ich herzhaft gelacht habe. Ich kann mir vorstellen, dass das eine oder andere auch hier ein Erfolg werden könnte.“ Auch der japanische Markt bietet mehr und mehr massenkompatible Ware: Zum Beispiel eine Fernsehshow namens «Fake Reaction», die bereits nach Großbritannien exportiert wurde oder die bei Syfy untergekommene Gameshow «Exit». Beide wurden jedoch bereits abgesetzt. Ein neuer, großer Hit ist derzeit nicht in Sicht. Selbst das vielerwartete Reality-Projekt «Newtopia» (nur im weitesten Sinne als Show zu bezeichnen) macht in Deutschland mit Negativschlagzeilen und schlechten Quoten von sich reden. In den USA ist es gnadenlos gefloppt. Dort befindet sich übrigens keine einzige klassische Spielshow mehr in der Primetime innerhalb der Hauptseason, die einzigen übriggebliebenen großen Showformate sind dort «American Idol», «The Voice» und «Dancing with the Stars». «The Taste» wird höchstwahrscheinlich nach der jüngsten Staffel abgesetzt.
Die Straßenfeger, die Elstner herbeisehnt, sind vermutlich eine Utopie geworden. Generell ist – auch im US-amerikanischen TV-Markt – zu beobachten, dass die erfolgreichsten Formate Serien oder Filme sind. Es ist kein Zufall, dass sich der «Tatort» zum großen Quotenhit bei Jung und Alt aufschwang, während «Wetten, dass..?» gleichzeitig immer mehr Zuschauer verlor. In dieser parallelen Entwicklung wird gern vergessen zu erwähnen, dass der «Tatort» eben nicht immer so erfolgreich war – es sind durchaus signifikante Publikumsgewinne in den vergangenen Jahren verzeichnet worden, vor allem bei den besonders beliebten Ermittlerteams.
Eine weitere deutsche Erfolgsgeschichte in jüngerer Zeit schreibt Sky, das Millionen Kunden gewann. Das Senderkonzept kommt ganz ohne klassische Unterhaltungsshows aus, dieses Genre gehört schlicht nicht zum Portfolio. Warum eigentlich? Es scheint jedenfalls niemand zu vermissen. Gleiches gilt für aufstrebende Abo-Dienste wie Netflix. Kurz: Jüngere Generationen brauchen (oder kennen) die traditionelle Show-Unterhaltung am Abend nicht mehr, ihr Entertainment-Konsum verlagert sich. Zu mehr oder weniger anspruchsvoller Fiction, zu YouTube, zu Sky und seinen großen Sport-Events. Vielleicht will das Publikum auch weniger die glattgegeelten Moderatoren, sondern (vermeintlich) authentische Emotionen. Die finden sie zumindest im Reality-Fernsehen, aber auch bei YouTube. Generell gilt: Das Angebot wird größer, der Unterhaltungskonsum damit fragmentierter. Dies zeigt sich auch generell in der Fernsehlandschaft, die immer zielgruppengenauer arbeitet, sprich: Immer mehr Sender entstehen für ein bestimmtes Publikum, das punktgenau angesprochen werden kann. Auch Shows wie «Schlag den Raab» sind hier zumindest teilweise zu nennen, da diese Formate in einer bestimmten Zielgruppe sehr erfolgreich sind und dort auch große Aufmerksamkeit erhalten. Ein Show-Hit, über den
jeder spricht, ist mit einer solchen Entwicklung vielleicht nicht unmöglich geworden. Aber er wird immer unwahrscheinlicher.
Vor rund zwei Monaten gab Harald Schmidt ein Interview im Schweizer Fernsehen, beim ehemaligen Sat.1-Chef Roger Schawinski. Auf dessen Frage, ob die Wiederbelebung von «Dalli Dalli» nicht die definitive Kapitulation im Unterhaltungsfernsehen sei, antwortete Schmidt: „Ich finde schon. Diese Show, diese Art von Show wiederholen zu wollen, ist eine Bankrotterklärung. Wir leben im digitalen Zeitalter.“ Dennoch – oder wohl eher: gerade deswegen – glaubt Schmidt, dass «Dalli Dalli» stellvertretend für die Zukunft des deutschen Fernsehens steht. „Und ob das jetzt Pflaume, Pilawa oder Opdenhövel macht, ist völlig egal. Da holt man einfach einen aus dem Schrank, der das passend aufsagt, und fertig ist das Format.“ Frank Elstner sieht das wahrscheinlich nicht viel anders.