Denis Moschitto: 'Haben wir in Deutschland keine eigenen Ideen?'

Vor dem Start von «Im Knast» bei ZDFneo sprachen wir mit Darsteller Denis Moschitto über Typecasting, den deutschen Serien- und Kinomarkt und die Anforderungen an eine Comedy-Serie.

Zur Person

Denis Moschitto wurde am 22. Juni 1977 in Köln als Sohn eines Italieners und einer Türkin geboren. Nach ersten Erfahrungen im Theater veröffentlichte er zusammen mit William Sen zwei Bücher über Hacker, bevor er sich ganz auf seinen Beruf als Schauspieler konzentrierte. Durch Engagements in Filmen wie «Verschwende deine Jugend», «Süperseks» und «Kebap Connection» machte sich Moschitto als Darsteller einen Namen. Seine wohl bekannteste Rolle war die des titelgebenden Gangsters im Kinofilm «Chiko» von 2008. Zuletzt sah man ihn beispielsweise im «Tatort: Tükischer Honig», «Coming In» oder in «Verbrechen nach Ferdinand von Schirach».
Denis, du wurdest bereits oft für die Rolle eines Kriminellen gecastet, zuletzt zum Beispiel im «Tatort: Türkischer Honig» oder in «Verbrechen», aber natürlich auch für deine vielleicht bekannteste Figur in «Chiko». Nun verkörperst du in «Im Knast» einen Gefängnisinsassen. Warum scheinen Filme- und Serienmacher oft an Verbrecher zu denken, wenn sie dich sehen?
Das weiß ich gar nicht. Die Verbrecher und Gangster, die ich bisher gespielt habe, hatten immer eine Seite, die sympathisch sein sollte. Bei mir scheint es ganz gut zu funktionieren, dass man mir einen Kriminellen abnimmt, der noch einen Funken Herz hat. Das zum einen. Und zum anderen liegt das natürlich auch an der Einfallslosigkeit der Leute, die mich besetzen (lacht).

Inwiefern leidest du unter Typecasting? Neben oft kriminellen Charakteren hat man dich auch häufig für Figuren türkischer Herkunft besetzt – deine Rolle in «Im Knast» vereint beides. Wie bewertest du dieses Muster in deiner Vita? Sind das die Rollen, die dir am besten liegen und die dich am meisten reizen oder würdest du gerne mal aus diesem Muster ausbrechen?
Einerseits sind das natürlich Rollen, die mir Spaß machen, ganz klar, aber auch die Rollen, die am meisten Aufmerksamkeit bekommen haben, wie zum Beispiel «Chiko». Das ist aber nicht durchgehend so. Wenn man sich anschaut, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, sieht man, dass ich nicht ausschließlich Gangster gespielt habe. Ich leide da aber genauso drunter, wie jeder andere Schauspieler, der in eine Schublade gesteckt wird. Das ist nun mal die Nische, die ich bediene, aber davon lebe ich ja auch auf eine Art und Weise. Ich hatte bisher immer das Gefühl, noch ausreichend andere Rollen spielen zu können. Natürlich suche ich mir die Sachen auch aus und spiele das nicht, weil ich keine andere Möglichkeit habe (lacht). Das funktioniert dann nach dem Lustprinzip.

Du hast mal gesagt, dass du dir in deiner Jugend einen Korken zwischen die Zähne geklemmt hast, um damit für deine Schauspielkarriere eine deutlichere Aussprache zu trainieren und dir deinen Straßen-Slang abzugewöhnen. Findest du es ironisch, dass nun für Rollen wie in «Im Knast» genau so ein Sprachweise erwünscht ist?
Ironisch nicht. Dadurch, dass ich mit sehr vielen Leuten zu tun hatte, die eben genau so sprechen, wie Erdem in «Im Knast» spricht, kenne ich einfach den Jargon. Wenn man die Figur Erdem betrachtet und solche Menschen nicht kennt, könnte man durchaus davon ausgehen, dass er eine Karikatur ist und natürlich ist er auch überzogen. Aber gar nicht so sehr wie man meinen mag. Ich kannte wirklich Leute, die sehr nah dran waren an dem, was ich da mache. Das ist eine Art zu sprechen, an der ich auch Freude habe, es macht Spaß. Das war für mich sowieso der Hauptgrund Erdem zu spielen und daraus die Person zu machen, die letzten Endes auch herausgekommen ist. Aber ironisch… Ne. Das ist halt etwas, das mir liegt und wenn ich das bedienen kann und es mir Freude macht, dann mache ich es auch gerne.

Du hast vor allem in Dramen oder Krimis mitgespielt, zuletzt auch in Komödien. Dein letztes Engagement in einer Comedy-Serie müsste jedoch 2006 in «Pastewka» gewesen sein. Worin liegen deiner Meinung nach die wesentlichen Unterschiede zwischen den Darstelleranforderungen in Comedy-Produktionen und ernsteren Projekten?
Es ist glaube ich sehr viel leichter Menschen zum Weinen zu bringen als sie zum Lachen zu bringen. Man unterschätzt die Komödie noch immer und hält die Tragödie für weitaus wichtiger, stuft sie höher ein. Letzten Endes denke ich aber, dass Menschen zum Lachen zu bringen die Königsdisziplin ist.
Denis Moschitto über die Herausforderung von Comedy-Produktionen
Ich glaube, Comedy ist in Deutschland generell schwierig. Wie viele andere meiner Kollegen finde ich die Sachen nicht lustig, die im deutschen Kino und deutschen Fernsehen passieren. Der große Unterschied beim Spielen ist, dass man eine gewisse ‚Education‘ braucht – mir fällt kein passendes deutsches Wort dazu ein – eben eine Art Erziehung. Ich bin mit ganz viel Zeug aus Großbritannien groß geworden, zum Beispiel mit Monty Python. Ich finde die Sachen, die Ricky Gervais macht großartig, «Seinfeld» und solche Dinge. Das sind die Dinge, die ich geschaut habe und witzig fand. Da stimmt das Timing einfach immer zu 100 Prozent. Und es gibt auch keinen Ballast. Das ist alles wahnsinnig eng und gut gestrickt. Als Schauspieler brauch man ein Gespür für sowas. Man muss viel gesehen haben, um sich so etwas anzutrainieren. Comedy muss einfach aussehen, ist aber letztlich sehr, sehr schwer.

Es ist glaube ich sehr viel leichter Menschen zum Weinen zu bringen als sie zum Lachen zu bringen. Man unterschätzt die Komödie noch immer und hält die Tragödie für weitaus wichtiger, stuft sie höher ein. Letzten Endes denke ich aber, dass Menschen zum Lachen zu bringen die Königsdisziplin ist. Es dann zu machen, mit Leuten zusammenzuarbeiten wie jetzt in «Im Knast» mit Tristan Seith, Manuel Rubey und Marleen Lohse, mit denen ich sehr gut zusammen funktioniert habe - auch auf einem persönlichen, privaten Level - war toll. Wir haben so viel gelacht und es ist so viel dabei entstanden, nur dadurch, dass wir einen sehr ähnlichen Humor hatten. Das macht einfach wahnsinnig Spaß.

Neue fiktionale Serienformate sind in Deutschland eher eine Seltenheit. Mit «Verbrechen» und «Im Knast» hast du an zwei Produktionen mitgewirkt, die sich in den letzten Jahren wirklich etwas getraut haben. Oft laufen solche Serien bei ZDFneo. Wie beurteilst du den deutschen Serienmarkt?
Ich finde auch das recht schwierig. Was im Moment bei deutschen Serien passiert, ähnelt den Entwicklungen im deutschen Kino. In den Staaten gibt es große Erfolge und die will man dann kopieren, ohne darüber nachzudenken, wie viel Arbeit eigentlich da drinsteckte und was das für eine lange Geschichte war, um überhaupt dort hinzukommen. Ich habe oft das Gefühl, dass dann irgendwelche Redakteure und Produzenten zusammensitzen und sagen: „Ok, wir wollen so etwas machen wie «Lost».“ Dann baut man irgendwo eine schäbige Insel im Studio auf, alles ist halbgar, irgendwelche Schauspieler dackeln im Studio auf und ab und am Ende ist das Produkt schlecht. Alle sagen dann: „Hm, Serien auf einsamen Inseln funktionieren in Deutschland nicht.“ Es ist alles überhastet und man sucht eher den Effekt, als dass man
Was im Moment bei deutschen Serien passiert, ähnelt den Entwicklungen im deutschen Kino. In den Staaten gibt es große Erfolge und die will man dann kopieren, ohne darüber nachzudenken, wie viel Arbeit eigentlich da drinsteckte und was das für eine lange Geschichte war, um überhaupt dort hinzukommen.
Denis Moschitto über den aktuellen deutschen Serienmarkt
wirklich Trends setzt. Das ist mein Eindruck und am Ende ist es oft nicht mutig genug. Man nimmt sich auch nicht viel Zeit.

Ich hoffe sehr, dass wir mit «Im Knast» in eine zweite Staffel gehen können, das ist aber ein recht teures Produkt für ZDFneo. Ich weiß nicht, wie sie sich entscheiden werden. Aber eigentlich muss man sagen: Wenn man wirklich will, dass sich sowas entwickelt und eine Serie Kult-Status erreicht, dann muss man mutig sein und solchen Formaten Zeit geben, um ein Publikum zu gewinnen. Diese Geduld hat in Deutschland irgendwie niemand. Alles wird ganz schnell hochgejubelt und ist ganz großartig, aber wenn man ganz ehrlich ist, ist es im besten Fall mittelmäßig – das reicht ganz oft schon. Wie will man mit Serien wie «House of Cards» konkurrieren? Das geht einfach nicht. Finanziell ist das nicht machbar in Deutschland und ich glaube nicht, dass es die Lösung ist, es dann zu machen wie die Amerikaner. Man muss einfach etwas Eigenes finden, etwas, das in Deutschland funktioniert und das deutsch ist. Das Beste, was den meisten Leuten einfällt, ist die Formate zu kopieren wie bei «Pastewka», was natürlich eine Kopie von «Curb Your Enthusiasm» ist. Das ist einfach, ohne Bastian Pastewka zu nahe zu treten, kilometerweit besser. Oder «Stromberg», eine ziemlich schlechte Kopie von «The Office». Da fragt man sich schon: Haben wir keine eigenen Ideen?

Lesen Sie auf der nächsten Seite alles zu «Im Knast», Denis Moschittos Einschätzungen zu Fairness im Kino, Til Schweiger und Matthias Schweighöfer sowie alles über seine neuen Projekte.


Die Quotenmeter.de-Kritik zu «Im Knast»

"Etwas mehr Tempo dürfte es noch sein, ansonsten gibt es an «Im Knast» aber nicht viel zu bemängeln. Der Cast um Denis Moschitto spielt die absichtlich-stereotypen Figuren mit Spleen hervorragend. Unterhaltsam wird die Serie in den ersten Folgen nach Anfangsschwierigkeiten. Das Suchtpotential mag zwar zunächst ausbleiben, aber in den verrückten Mikrokosmos der Serie fuchst man sich dennoch schnell und gerne rein – und alleine das geht den meisten deutschen Sitcoms schon ab."
Lesen Sie hier die gesamte, ausführliche Kritik zur Serie.
Quotenmeter-Redakteur Frederic Servatius über «Im Knast»
Abgesehen von der inhaltlichen Armut auf dem deutschen Serienmarkt und der Mutlosigkeit: Was macht denn «Im Knast» auf dem deutschen Fernsehmarkt deiner Ansicht nach so besonders?
Ich glaube, das Besondere daran ist, dass es ein wahnsinnig guter Cast ist. Alleine schon mit Tristan, Manuel und Marleen, ich möchte mich da gar nicht mit einschließen – das funktioniert einfach wahnsinnig gut. Wir haben noch nicht wirklich alle Möglichkeiten gehabt uns zu entfalten in dieser ersten Staffel, aber ich glaube, dass da noch wahnsinnig viel Potenzial drinsteckt. Man muss irgendwie von den geschriebenen Gags wegkommen, Figuren leben lassen. Das ist uns meiner Meinung nach in manchen Momenten der Serie, sehr, sehr gut gelungen. Es war sehr befriedigend zu sehen, dass das funktionieren kann. Wir kannten alle unsere Figuren auf Anhieb und letzten Endes haben wir um ehrlich zu sein keinen Text gebraucht. Das hätte auch von alleine funktioniert und wir haben uns auch oft genug nicht an den Text gehalten. Die Momente, die mir am besten gefallen in der Serie, sind die, die nicht im Buch standen.

Hast du schon «Braunschlag» gesehen, wo Manuel Rubey auch mitspielt? Das ist auch super.
Ja, auch das wieder. Es ist nicht perfekt, aber dennoch – selbst die Österreicher rennen uns davon. Es gibt meines Erachtens keine Serie in Deutschland momentan, die mit «Braunschlag» mithalten kann. So viele schöne Ideen.

Das Erste lehnte ja ab, «Braunschlag» zu senden – aufgrund der authentischen Dialektfassung, die zu Verständnisproblemen beim Zuschauer hätte führen können.
Was für ein Blödsinn.

Wie kamst du zu deiner Rolle in «Im Knast»? Mit Regisseur Torsten Wacker arbeitetest du ja bereits im Rahmen von «Süperseks» zusammen, was mittlerweile ja aber schon sehr lange her ist…
Ich hatte vorher die Bücher gelesen und fand, dass zu dem Zeitpunkt noch einiges zu tun gab, aber ich hatte diese Idee mit Erdem. Erdem ist eine Figur, die ich schon lange Zeit mit mir rumschleppe und ich habe einen Ort gesucht, an dem ich sie ausleben kann.
Denis Moschitto über seine Figur in «Im Knast»
Als ich zu dem Projekt kam, war Torsten Wacker noch gar nicht fest dabei. Regisseur war eigentlich Daniel Siegel, den ich beim Casting kennengelernt und mit dem ich mich auf Anhieb verstanden habe. Dass Torsten dann dabei war, war natürlich noch ein Grund mehr, mich auf das Projekt zu freuen. Ich hatte vorher die Bücher gelesen und fand, dass zu dem Zeitpunkt noch einiges zu tun gab, aber ich hatte diese Idee mit Erdem. Erdem ist eine Figur, die ich schon lange Zeit mit mir rumschleppe und ich habe einen Ort gesucht, an dem ich sie ausleben kann. Da dachte ich, das wäre doch eine Möglichkeit. Also habe ich mit Daniel gesprochen, der drei der sechs Folgen gemacht hat, und habe gesagt: „Ich hab hier diese Figur. Guck sie dir an. Wenn du sie haben willst, dann kannst du sie haben. Meine einzige Bedingung ist, dass ich mich nicht an den Text halten muss“ (lacht). Das war dann kein Problem und das war eigentlich der Hauptgrund. Nach und nach, als dann klar war wie der Cast aussieht, dachte ich mir, dass das insgesamt sehr gut gehen kann.

Dein nächstes Projekt «We are fine» befindet sich gerade in der Post-Produktion und ich habe gehört, dass du demnächst wieder mit Fath Akim drehen wirst. Was kannst du uns darüber verraten?
«We are fine» ist das Projekt von Henri Steinmetz. Den Film habe ich noch nicht gesehen, aber das war eine wahnsinnig spannende Arbeit. Henri kommt eigentlich eher aus der Kunst und so eine Arbeit habe ich noch nie erlebt. Sehr seltsam - ich kann es nicht anders beschreiben – aber wirklich im besten Sinne. Das ist ein ganz besonderer Film, den ich aber leider noch nicht gesehen habe.

Zum Film mit Fatih kann ich jetzt eigentlich gar nichts sagen, weil das gerade so ein Wust von Arbeit ist und Fatih da schon selbst etwas zu sagen müsste.

Wir hatten es schon angesprochen: Deutschen Kino-Produktionen fehlte zuletzt meist entweder der Mut oder der Erfolg. Du hast 2008 die Titelrolle in «Chiko» gespielt, der viele Preise erhielt, wobei der große finanzielle Erfolg ausblieb. Weniger mutige Filme wie «Zweiohrküken» oder «Rubbeldiekatz», in denen du auch mitgespielt hast, wurden dagegen zum Publikumshit, obwohl ihr Erfolg eher Berechnung war. Wie fair ist Kino?
Es ist eben so, wie es ist. Ich glaube, die Frage stimmt nicht. Es ist weder fair noch unfair. Der Filmmarkt unterliegt nun mal gewissen Gesetzen, das ist eine Tatsache. Damit muss man sich irgendwie abfinden. Ich mache Filme nicht, damit sie erfolgreich sind. Es ist schön, wenn das passiert, aber das ist nicht der Hauptgrund. Dass «Chiko» an der Kasse kein großer Erfolg war, das ist mir völlig schnuppe, für mich ändert das nichts. Das ist ein Film, den wahnsinnig viele Leute illegal gesehen haben (lacht). Die meisten Leute, die mich auf der Straße ansprechen und sagen: „Ey, «Chiko». Super Film“, die erzählen mir, dass sie ihn sich aus dem Netz gesaugt haben, wenn ich mit ihnen ins Gespräch komme. Das ist natürlich tragisch für alle Leute, die darin beteiligt waren und auf diese Art und Weise ihr Geld verdienen, aber den Film haben wahnsinnig viele Menschen gesehen und er bedeutet vielen Menschen sehr viel. Warum sollte ich das dann am Kassenerfolg messen?

Ich glaube, dass die Filme von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer absolut wichtig sind für das deutsche Kino. Viele Leute sind vorsichtig das zu kritisieren, weil man das eben nicht macht. Aber ich glaube tatsächlich, dass sie die Kinoindustrie hervorragend bedienen. Und eine weitere Sache machen beide sehr richtig: Die Leute wollen ins Kino gehen und lachen, einen entspannten Abend haben. Das bedienen sie einfach und das muss man respektieren, denn sie machen das gut. Das ist nicht mein Humor und nichts, wofür ich Geld ausgeben würde, aber es gibt genug Leute, die das tun und dann ist es schwachsinnig, das zu kritisieren.

Ich dachte mir, dass du es vielleicht etwas frustrierend findest. Nicht unbedingt, weil deine Filme finanziell weniger erfolgreich sind, sondern weil ein solcher finanzieller Erfolg anspruchsvollerer Filme für mehr Mut unter den Filmemachern sorgen könnte und wir so eventuell künftig mehr deutsches Kino mit Anspruch sehen.
Natürlich schaue ich mir das hin und wieder an und frage mich: Spielt Qualität überhaupt eine Rolle? Ist Qualität überhaupt ein Faktor? Je länger ich darauf schaue, desto mehr merke ich, dass Qualität eigentlich überhaupt keine Rolle spielt.
Denis Moschitto über Qualität im Kino
Ich weiß, was du meinst. Ich glaube aber, das sind zwei Paar Schuhe. Wenn man wirklich Filme machen will, die etwas bedeuten, Filme, die den Menschen im Gedächtnis bleiben, die wertvoll sind, dann darf man das nicht mit Multiplex-Kino vergleichen. Weißt du, ich glaube keiner der Leute, die an «Chiko» beteiligt waren, findet es tragisch, dass der Film kein Kassen-Erfolg wurde. All das, was wir aus dem Film machen wollten, ist der Film auch geworden und der Film hat genau die richtige Aufmerksamkeit bekommen. Natürlich schaue ich mir das hin und wieder an und frage mich: Spielt Qualität überhaupt eine Rolle? Ist Qualität überhaupt ein Faktor? Je länger ich darauf schaue, desto mehr merke ich, dass Qualität eigentlich überhaupt keine Rolle spielt. Es gibt Schauspieler, die ich für ganz schlecht halte, Regisseure, die ich fürchterlich finde und Filme, die ich für schrecklich halte, die aber alle erfolgreich sind. Entweder man stellt sich dahin und sagt „hey, das ist verdammt unfair“, oder man erkennt, dass man das mit solchen Kriterien einfach nicht beurteilen kann. Sonst würde man ja durchdrehen (lacht).

Fatih Akin ist einer der wenigen Regisseure in Deutschland, der mit Filmen wie «Gegen die Wand» oder eben «Kebap Connection» und «Chiko» anspruchsvolle Filme machte und davon gut leben konnte. Waren die Produktionen von und mit ihm das Beste, was dir in deiner Karriere passiert ist?
Ja, auf jeden Fall. Das war mit das Beste und zwar aus vielen Gründen. Er wird künftig wahrscheinlich keine Filme von anderen Regisseuren mehr produzieren, weil er einfach mit seinen eigenen Filmen so stark beschäftigt ist. Er hat gemerkt, dass das eine Form von Belastung ist, die er nicht mehr tragen will. Aber ich fand ihn als Produzenten großartig. Sehr zurückhaltend und er hat immer gute Ratschläge gegeben. Als Regisseur habe ich mit ihm für wenige kleinere Sachen zusammengearbeitet, auch da fand ich die Arbeit sehr angenehm. Was Fatih vielen anderen voraus hat, ist: Er denkt viel aus dem Bauch heraus. Er hat ein Bauchgefühl, von dem er weiß, dass es sich gut und richtig anfühlt und dann folgt er diesem Bauchgefühl. Wenn man sich einen Film wie «Gegen die Wand» ansieht, den ich noch immer für einen der besten deutschen Filme der jüngeren Geschichte halte, dann merkt man das. Das ist ein Film, der völlig aus dem Bauch heraus ist und dadurch eine Wucht entfaltet, die in Deutschland ihresgleichen sucht, weil man in Deutschland eben sehr oft Filme mit dem Kopf macht. Das merkt man auch an den Figuren. Das sind sehr oft Figuren, die clever, intelligent oder brillant sind und so eine Figur wie Erdem ist eigentlich recht selten. Jemand, der eigentlich ein ziemlicher Dummkopf ist, ein ziemlicher Idiot (lacht), der aber ein großes Herz hat. Das ist eine Figur, die selten auftaucht, aber auch eine, die mir sehr viel Freude macht – sie zu spielen und ihr zuzusehen.


Viele Dank für das Interview, Denis Moschitto!


20.05.2015 21:58 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/78342