Krachten: ‚Die Verträge bei den Multi-Channel Networks sind viel besser als im Fernsehen‘

Im Interview spricht Mediakraft-Gründer Christoph Krachten über die Kritik an Multi-Channel Networks, die Professionalisierung von YouTube und die Probleme von Fernsehmachern im Netz.

Über Christoph Krachten

Christoph Krachten ist Gründer des Multi-Channel Networks Mediakraft und betreute mit dem Unternehmen einige der größten deutschen YouTuber. Seit seinem Ausstieg als Mediakraft-Präsident Anfang 2015 widmet sich Krachten hauptsächlich der Organisation der Videodays und seinem Wissenschaftsblog Clixoom. Er ist weiterhin Teilhaber bei Mediakraft. Vor seiner Internetkarriere sammelte der Medienmacher langjährige journalistische Erfahrung als Redakteur bei diversen Fernseh- und Radiosendern.
Herr Krachten, ihre Videodays sind vergangen, auch die re:publica liegt hinter uns. Anstrengende Tage für Digitale also. Deswegen zum Einstieg etwas Lockeres: Warum macht YouTube mehr Spaß als das Fernsehen?
Einfach weil ich mehr Möglichkeiten habe. Ich habe, um auf den Namen ihres Magazins zu reüssieren, keinen Quotendruck. Ich meine: Wenn es online wenig geguckt wird, dann hat es halt niemand gesehen, also bekommt es keiner mit. Und wenn es viel geschaut wird, dann wird es auch gleich ein Erfolg. Das heißt natürlich, dass ich sehr viele Möglichkeiten habe zu experimentieren und auszuprobieren. Ich habe auch als Produzent und Macher einen sehr tiefen Einblick in die Daten und kann dadurch sehr genau analysieren, was ich verbessern und vertiefen muss. Natürlich sind in letzter Konsequenz der Kreativität keine Grenzen gesetzt, das macht das Medium online sehr verführerisch.

Viele Stimmen sagen nun YouTube ist noch nicht erwachsen und steckt noch in den Kinderschuhen. Was entgegnen sie denen?
Nix. Das stimmt. (lacht) Das habe ich auch auf den Videodays gesagt: Wir sind noch ganz am Anfang. In Zukunft wird es mehr Produzenten geben, professionellere Produzenten. Aber das macht ja trotzdem auch ein Stück weit den Charme der Plattform aus, wir erleben hier zum Teil mit, wie aus Amateuren Profis werden. Nehmen wir zum Beispiel DieLochis. Das sind Zwillinge aus Groß-Gerau, die haben mit 11 Jahren angefangen, Roman und Heiko Lochmann. Inzwischen haben die sogar einen Kinofilm produziert, der Ende des Jahres in die Kinos kommt. Diese Entwicklungen zu beobachten ist sehr beeindruckend.

Sie sprechen da aber natürlich direkt über YouTuber aus dem Unterhaltungsbereich. Kann man sich auf der Plattform denn auch seriös informieren?
Gerade in den letzten anderthalb Jahren ist die seriöse Information was YouTube angeht drastisch angestiegen. Beispiele sind LeFloid oder auch der Kanal „Was Geht Ab!?“, MrWissen2Go und viele mehr. Mein Kanal Clixoom Science & Fiction übrigens auch. Da geht es um seriöse Informationen, die auch redaktionell auf einem sehr hohen Niveau sind und zugleich immer hochwertiger produziert werden. Wir sind also auf dem richtigen Weg, aber natürlich haben wir da noch eine recht junge Zielgruppe. Trotzdem: Die jungen Leute suchen aktiv nach Information, nach politischer Beteiligung. Das hat sich ja zum Beispiel beim ACTA-Abkommen gezeigt, da wurden durch YouTube erst die Massen auf die Straße gebracht. Und was ich für meinen Kanal sagen kann: Da wird die Zielgruppe auch immer älter, bei mir liegt sie zwischen 18 und 34 Jahren. Da ist eine stetige Entwicklung im Gang.

Klar, wenn sie dann eine ältere Zielgruppe haben ist das sicher auch alles ein bisschen reflektierter. Aber sie haben eben auch LeFloid angesprochen, da sind die Zuschauer eben doch jünger. Und diese Art der Berichterstattung ist natürlich absolut subjektiv gefärbt. Besteht da nicht die Gefahr, dass insbesondere junge Zuschauer Aussagen von LeFloid als absolute Wahrheit hinnehmen und eben nicht genug reflektieren?
Ich sehe das eher als Chance. Es wäre ein Trugschluss, zu glauben, dass Presse oder Fernsehen oder andere Medien objektiv wären, das sind sie alle nicht. Die Subjektivität bei LeFloid wird aber eben gerade ganz deutlich nach vorne gestellt. Der sagt dem Zuschauer ganz deutlich: ‚Das ist meine Meinung, was sagt ihr dazu?‘ Ich bin deshalb ganz im Gegenteil der Meinung, dass die Zuschauerschaft dadurch viel kritischer wird und wir ein neues, viel kompetenteres Publikum bekommen. Den Satz ‚Das hab ich schwarz auf weiß gelesen‘, den wird es in Zukunft so nicht mehr geben. Alles was ich im Internet an Informationen bekomme, muss ich kritisch hinterfragen und das erfordert neue Kompetenzen. Ich bin deshalb der Meinung – und die Forderung gibt es so ähnlich schon seit 30 Jahren – in der Schule sollte ein Fach Medienkunde eingeführt werden. Das ist wahnsinnig wichtig, auch was Privatsphäre-Einstellungen auf den großen Portalen und viele, viele andere Unterrichtsinhalte anbelangt. Natürlich muss man das den Kindern ein Stück weit beibringen, aber insgesamt sehe ich da eine positive Entwicklung für die Gesellschaft. Und wenn ich das noch anfügen darf: Das Ganze ist ja die Demokratisierung der Medien: Jeder hat die Möglichkeit, zu produzieren und sein Publikum zu erreichen. Für unsere Gesellschaft ist das eine fantastische Perspektive.

Es wäre ein Trugschluss, zu glauben, dass Presse oder Fernsehen oder andere Medien objektiv wären, das sind sie alle nicht.

Christoph Krachten
Heißt das aber auch, dass man sich als Nutzer wirklich tiefer informieren kann? Man muss ja schon deutlich aktiver werden, um Informationen zu einem gewissen Thema zu finden.
Absolut. Aber das ist auch nicht viel anders als in den herkömmlichen Medien auch. Ich gebe in meinen Videos auch immer Quellen an, zum Beispiel Forschungsinstitute. So etwas wird natürlich immer wichtiger, dann bekomme ich als Zuschauer auch verifizierbare Hintergründe. Heute wird jedes Video von zahlreichen Zuschauern durch die Mangel genommen und geschaut, ob das so überhaupt stimmt. Aber das gilt halt für alle Medien.

Jetzt ist YouTube natürlich auch ein Geschäftsmodell, auch das ist nicht anders als bei anderen Medien. Online gibt es oft gesponserte Produkte oder Gelder, die für Klicks auf Links, zum Beispiel zu Amazon gezahlt werden, wobei die Produkte vorher im Video besprochen wurden. Fehlt dem Internet da noch die Kontrolle oder muss es an der Stelle die Selbstkontrolle richten?
Die Landesmedienanstalten sind die Kontrollorgane dafür und mit denen sind die Netzwerke auch im Gespräch. Derzeit soll ein FAQ entwickelt werden, um den YouTubern die Regeln, die leider noch nicht in exakte Gesetzesform gebracht sind, näher zu bringen. Letztlich darf es da zu den anderen Medien keinen Unterschied geben: Werbung und Programm müssen deutlich getrennt sein. Product Placement muss gekennzeichnet werden, Werbung muss gekennzeichnet werden. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und auch für YouTube und Facebook müssen in Deutschland die Regeln angewendet werden, die in Deutschland gelten.

Aber sie sehen schon auch die Gefahr, dass in der derzeitigen Form oftmals Werbung für den Zuschauer nicht erkennbar ist? Oder unterschätzt man da das Publikum?
Nein, wenn es nicht gekennzeichnet ist, ist das ganz klar ein Problem und daran muss gearbeitet werden. Der Zuschauer muss wissen, welche Motivation dahinter steckt, wenn in einem Video irgendetwas propagiert wird.

Kann denn jeder im Internet berühmt werden? Und wenn jeder die Chance hat – fehlt da nicht ein gewisser Filter, eine Qualitätskontrolle? Oder macht der User das schon selbst?
Na das ist ja gerade das Fantastische: Es gibt keinen mehr, der bestimmt, wer darf berühmt werden oder wer nicht. Das Publikum bestimmt, wer die Chance hat populär zu werden. Viele bekannte Menschen im Netz wären nicht durch ein Casting gekommen, würde ich behaupten. Schon einfach weil Fernsehredakteure das Talent nicht erkannt hätten. Aber auf YouTube hat man halt die Chance sich auszutoben, die eigene Kreativität zu entdecken und deshalb freue ich mich, dass es keine Kontrolle mehr gibt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Christoph Krachten die Kritik an den Multi-Channel Networks unangebracht findet und wieso sich Fernsehmacher aus seiner Sicht im Internet schwer tun.

Ich habe ja vorher bei YouTube eine Talkshow gemacht. Weil ich aber irgendwann so ziemlich jeden Promi interviewt hatte, der für die Zielgruppe relevant ist und der Algorithmus meine Videos nicht mehr so gut gerankt hat, habe ich schon überlegt, was jetzt kommen soll.
Christoph Krachten
Was unterscheidet die Popularität von YouTubern zur Popularität von anderen medialen Personen?
Ganz einfach: Die sind nicht gemacht. Fast alle anderen medialen Figuren werden von einem Management, von Redaktionsstäben oder Plattenfirmen produziert. Das fängt schon mit den Begrifflichkeiten an. Es gibt in den klassischen Medien keine Menschen mehr. Künstler sind keine Menschen, sondern Themen. Und ein Thema wird dann eben auch so gewählt, wie ein Thema in der Zeitschrift. Man schaut, dass das Thema eine bestimmte Zielgruppe erreicht und dafür wird dann ein Image entwickelt. Das ist im Internet nicht der Fall, da sind es noch Menschen. Das macht die Fanbindung unfassbar eng. Wenn sie auf den Videodays die Begeisterung der Fans für ihre „YouTuber“ sehen, das ist toll. Diese Fans hat man sich dann immer auch selbst erarbeitet. Das macht es für das Publikum auch unglaublich spannend. Das weiß dann nämlich auch, dass Jeder es schaffen kann.

Geht aber nicht gerade das durch zunehmende Professionalisierung verloren?
Das ist wie im Fernsehen: Erfolgreich ist das, was authentisch ist. Schauen Sie auf Günther Jauch, auf Stefan Raab. Die sind erfolgreich, weil sie authentisch sind. In dem Moment, wo Professionalität aber unprofessionell wird, da wird es schwierig. Sonst aber bleibt es erfolgreich. Kein Mensch stört sich an gut gemachten Bildern oder einer tollen Kameraperspektive. Aber jeder stört sich daran, wenn totproduziert wird, wenn es fast antiseptisch wird. Das will kein Mensch sehen, weder im Fernsehen noch im Internet.

Sie persönlich betreiben hauptsächlich – neben der Organisation der Videodays – ihren Wissenschaftsblog Clixoom. Ist das auf Dauer ein Nischenthema oder interessiert sich die breite Masse dafür?
Der Kanal hat immerhin knapp eine Millionen Views im Monat, das ist schon begeisternd. Ich habe ja vorher bei YouTube eine Talkshow gemacht. Weil ich aber irgendwann so ziemlich jeden Promi interviewt hatte, der für die Zielgruppe relevant ist und der Algorithmus meine Videos nicht mehr so gut gerankt hat, habe ich schon überlegt, was jetzt kommen soll. In einer Fernseh-Redaktion hätte ich da natürlich was finden müssen, was zum Thema passt. Irgendeine Promishow oder so, keine Ahnung. Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Und ich mache jetzt halt was, wofür ich Leidenschaft empfinde. Ich glaube in der Leidenschaft liegt der Schlüssel zum Erfolg.

Haben es Fernsehprofessionelle, wie sie es ja auch sind, im Internet grundsätzlich leichter als Amateure oder sogar eher schwerer?
Die Verträge bei den Multi-Channel Networks sind viel besser als im Fernsehen. Friedrich Küppersbusch hat ja gesagt die Verträge erinnern an die Bodenreform der DDR von 1953. Da würde ich sagen, ein typischer TV-Vertrag ist deutlich schlimmer. Da ist in aller Regel ein Total-Buyout vorgesehen, das kenne ich von keinem Online-Vertrag.
Christoph Krachten
Viel schwerer. Den Profis steht ihr ganzes Know-how eher im Wege. Online-Video ist anders und zu erkennen, an welchen Punkten sich das wirklich diametral unterscheidet, das ist unglaublich schwer. Damals, die von YouTube finanzierten Original-Channels, die gibt es in der Form heute ja nicht mehr. Als ich damals gesagt habe, dass man diese Formate nicht gleichsetzen darf, haben mir die Kanalbetreiber zum Teil gesagt ‚Jaja, du hast schon Recht. Aber wir haben das so gelernt und das machen wir jetzt so.‘ Die haben alle keinen Erfolg gehabt. Es gibt keinen Kanal, der von einer professionellen Produktionsfirma kommt – außer meinem – (lacht), der erfolgreich ist. Ohne mich jetzt selbst loben zu wollen, es ist auch eigentlich kein Lob: Man braucht jemanden, der die Einstellung hat, der dafür lebt. Niemanden, der es als Job macht. Für mich ist das ein Beruf und Beruf kommt von Berufung. Wenn man die Einstellung nicht hat, sollte man mit Webvideos gar nicht erst anfangen.

Sie sind vor einiger Zeit aus dem operativen Geschäft des Multi-Channel Networks Mediakraft ausgestiegen, jetzt nur noch als Teilhaber tätig – liegt die Zukunft dennoch in solchen Netzwerken?
Diese Multi-Channel Networks, egal ob sie Mediakraft, Tubeone, Divimove oder sonst wie heißen, haben unglaublich dazu beigetragen, dass sich dieses Ökosystem auf YouTube und Facebook entwickelt hat. Aber natürlich hat man dann erwartet, dass die TKPs, also die Werbeeinnahmen, steigen. Das ist nicht passiert, sie sinken sogar noch. Das ist ein Problem für die Branche und wenn da nicht auch YouTube irgendwann mal die Grenzen zieht und Mechanismen einbaut, die dazu führen, dass die Einnahmen für professionelle Produzenten steigen, dann wird es schwierig. Ansonsten halte ich das aber für ein sehr sehr sehr interessantes Geschäftsmodell, denn Bewegtbild wird in Zukunft On Demand geguckt. Nicht nur auf YouTube, auch bei Watchever, Netflix oder in Mediatheken. Aber YouTube ist da schon ein enorm wichtiger Player. Und über kurz oder lang, Privatfernsehen war ja auch nicht immer rentabel, wird da schon genug Geld fließen.

Was sagen sie denn zu Vorwürfen, die es von den Künstlern gab? Gab es da wirklich Knebelverträge der Networks mit Künstlern oder sieht das im TV-Bereich auch nicht besser aus?
Die Verträge bei den Multi-Channel Networks sind viel besser als im Fernsehen. Friedrich Küppersbusch hat ja gesagt die Verträge erinnern an die Bodenreform der DDR von 1953. Da würde ich sagen, ein typischer TV-Vertrag ist deutlich schlimmer. Da ist in aller Regel ein Total-Buyout vorgesehen, das kenne ich von keinem Online-Vertrag. Und glauben sie mir: Ich kenne die Mediakraft-Verträge, das sind alles Laufzeitverträge und die Künstler erhalten die Rechte an allem, was sie geschaffen haben, am Ende der Laufzeit zurück und das Urheberrecht geben sie gar nicht ab. Ja, was soll denn ein Network noch mehr tun? Ohne Laufzeit brauche ich auch keinen Vertrag zu machen. Was natürlich der Fall ist: Die Branche konsolidiert sich im Moment. Bei den Schallplattenfirmen war das genauso: Prince hat damals geglaubt, er braucht das Label nicht mehr und hat es verlassen. Der ist dann auch irgendwann zurück zur Plattenfirma, weil es nicht so geklappt hat. Die MCNs nehmen dem Künstler ja auch eine Menge ab, natürlich wollen die dann auch am Erfolg beteiligt werden, sonst braucht man ja keinen Künstler aufzubauen. Am Anfang steckt man mehr rein, am Ende teilt man sich den Ertrag. Aber klar kann ein Künstler mit einem ordentlich zu Ende geführten Vertrag sagen, jetzt versuche ich es auf eigene Faust.

Herr Krachten, vielen Dank für das Gespräch.
29.05.2015 11:32 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/78509