Und jetzt?
Stefan Raab hört Ende des Jahres mit dem Fernsehen auf. ProSieben hat dann zwei Optionen. Ein Kommentar:
Stefan Raabs Ausstieg aus dem Mediengeschäft dürfte für ProSieben nicht viel weniger als ein Horrorszenario sein. Ähnlich tragisch fände man es in Unterföhring wohl nur, wenn sämtliche amerikanischen Sender ihr Sitcom-Volumen auf null runterfahren würden. Oder wenn Sat.1 sein verkorkstes «Newtopia» auf den Schwestersender abwälzen würde.
Aber genug der Sticheleien. Brutal vereinfacht gesagt, steht ProSieben nun vor genau zwei Möglichkeiten: Man kann entweder große Summen in neue Formate investieren – immer mit dem Risiko, dass die scheitern und man hohe Millionenbeträge vernichtet hat. Oder man lässt nur noch die Controller ans Steuer und programmiert «Big Bang Theory» von der Prime-Time bis zum Morgengrauen – mit dem Risiko, gewaltig an Profil zu verlieren und den Weg von Sat.1 einzuschlagen.
Es besteht jedoch glücklicherweise die realistische Hoffnung, dass ProSieben sich für ersteres Szenario entscheiden wird. Nicht umsonst gilt der Sender als der Experimentierfreudigste im Unterhaltungssegment im Privatfernsehen. Doch hinter den meisten Erfolgen steckte Stefan Raab. Jenseits seiner Formate gelang es zwar, mit «The Voice» und «Got to Dance» – freilich in Kooperation mit Sat.1, - zwei exzellente Casting-Shows zu etablieren und mit Joko, Klaas und Palina den ein oder anderen Showhit aus der Taufe zu heben. Doch «Circus Halligalli», womit man sich vielleicht heimlich, still und leise einen «TV total»-Ersatz für die ferne Zukunft basteln wollte, ließ in der letzten Saison in Puncto inhaltlicher Qualität und Einschaltquoten spürbar nach.
Der Wille zur Innovation kommt selten ohne Rückschläge aus. Einen besonders bitteren kennt ProSieben aus seiner jüngeren Geschichte mit der – wie Stefan Raabs Sendungen von Brainpool produzierten – «Millionärswahl», die so unterirdisch lief, dass sie vorzeitig abgesetzt werden musste. Das hat den Sender Unsummen gekostet. Und es war sicherlich nur ein schwacher Trost, dass trotz manch missglückter Teile des Konzepts und dem völlig fehlenden Anklang beim Publikum die Häme weitgehend ausblieb. Im Gegenteil: ProSieben erhielt Wertschätzung dafür, es versucht zu haben. Weil eben kein anderer Player vergleichbarer Größe wirkliche Innovationen abseits der Variationen des längst Bekannten in den Markt wirft.
Entscheidet sich ProSieben bei der Bespielung der großen klaffenden Lücken, die Raabs Rücktritt hinterlässt, also für die Entwicklung neuer, gerne innovativer Formate, ist das trivialerweise mit hohen Risiken verbunden. Nobody knows anything, und die besten Marktforschungen können sündhaft teure Flops nicht verhindern. So sehr wir Stefan Raabs Innovationskraft vermissen werden, liegt die Zukunft in anderen Händen. Hoffentlich wird ProSieben willens sein, entsprechende Weichen zu stellen und Investitionen zu tätigen.
Denn die Alternative klingt – zumindest für den Kritiker – deutlich gruseliger. Das Ende von «TV total», «Schlag den Raab» und der zahlreichen Event-Shows ermöglicht es ProSieben nämlich, deutlich an der Kostenschraube zu drehen, indem man allenfalls einen Teil der bald freien Sendeplätze mit teuren Eigenproduktionen bestückt, und für den Rest die Lizenzware ausweitet, vor allem natürlich die gut wiederholbare und oft wiederholte. «Big Bang Theory» und «Two and a Half Men» bis zum Abwinken, alte Folgen von «2 Broke Girls», wenn gar nichts mehr geht. Für ein börsennotiertes Unternehmen, dem die Quartalsberichte im Nacken sitzen, kann das ein verlockendes Szenario sein. Die Quoten werden vielleicht ein wenig absacken, aber irgendwann auf niedrigem Niveau wieder „stimmen“, die Werbeeinnahmen Gewinn abwerfen. Controller-Fernsehen statt Kreativen-Fernsehen, Risikominimierung statt Innovation, die sichere Bank statt dem möglichen Triumph.
Dadurch würde ProSieben jedoch massiv an Profil verlieren. Und aus dem eigenen Konzern weiß man, wie schwierig es ist, das wiederzugewinnen.