Sebastian Weil: 'In der Verbindung von TV und Webinhalten liegt eine enorme Chance.'

Sebastian Weil erzählt im zweiten Teil des Interviews mit Quotenmeter.de über die Zukunft digitaler Distributionswege und wie man es schafft aus der Masse herauszustechen.

Lesen Sie hier den ersten Teil des großen Interviews mit Studio71 CEO und Co-Founder Dr. Sebastian Weil.

Herr Weil, ihr ehemaliger Kollege Christoph Krachten sagte kürzlich im Quotenmeter.de-Interview, dass Fernsehmacher eigentlich kein Internet machen können. Wie stehen Sie dazu?
(lacht.) Da muss ich klar widersprechen. Selbstverständlich produzieren wir für das Netz ganz anders als für das Fernsehen. Beim Aufbau des Produktionsbereiches von Studio71 haben wir aber bewusst auch auf die Professionalität von Mitarbeitern auf der Fernsehseite gesetzt. Aber es stimmt: Für das Internet muss man anders produzieren. Eine klassische Aufteilung wie im Fernsehen mit Kameramann und Beleuchter findet eher dort statt, hier sind häufiger Allrounder gefragt, die von der ersten Konzeption bis zum finalen Schnitt mehrere Aufgaben erfüllen. Das ist natürlich auch kosteneffizienter als im klassischen Fernsehen und ermöglicht flexibles Experimentieren nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Der Vorteil des Internets dabei ist: Funktioniert mal etwas nicht, ruiniert man damit nicht gleich den Senderschnitt.

Fernsehen bietet auch heute noch die mit Abstand höchsten Reichweiten und den Marken damit eine starke Plattform, innerhalb kürzester Zeit enorme Bekanntheit aufzubauen.
Sebastian Weil über den Stellenwert des Fernsehens.
Sie sprechen gerade den Kostenaspekt an. Trotz teils enormer Zuschauerzahlen der YouTube-Stars, fallen die Werbeerlöse im Verhältnis zum Fernsehen wesentlich geringer aus? Wie wird sich diese Thematik in Zukunft entwickeln?
Fernsehen bietet auch heute noch die mit Abstand höchsten Reichweiten und den Marken damit eine starke Plattform, innerhalb kürzester Zeit enorme Bekanntheit aufzubauen. Das hat natürlich seinen Preis. Aber auch im Netz lassen sich gute und relevante Inhalte monetarisieren. Wir haben mit dem konzerneigenen Vermarkter SevenOne Media das führende Onlinevideo-Vermarktungshaus im Rücken. Hochwertige Inhalte in Kombination mit einem Netzwerk und starken Vermarktern leisten somit einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierung.

Mit Studio71 haben sie ja unbestreitbar eine gewisse Nähe zum Fernsehen. Das hat sich in der Vergangenheit ja auch schon einige Male gezeigt, als YouTube-Stars an Events wie der «TV total Wok-WM» oder der «Stock-Car Crash Challenge» teilgenommen haben oder aber Werbung für Events wie «Last Man Standing» zu sehen waren. Wird es dabei künftig eine noch engere Verzahnung geben oder werden die Internetstars in die metaphorische Ecke gestellt?
Natürlich führen wir dies fort, das Zusammenspiel zwischen TV und Studio71-Gesichtern funktioniert hervorragend. Aber auch umgekehrt ist einiges in Planung: So haben wir mit einigen TV-Moderatoren wie etwa mit Oliver Pocher bereits eigene YouTube-Kanäle aufgesetzt.
Dieser Austausch ist ein entscheidender Teil unserer Strategie und auch junge Web-Gesichter können so den Sprung ins Fernsehen schaffen. Wir sehen das Internet unter anderem auch als Scouting-Plattform, um neue Formate zu testen, aber auch gezielt auf die Suche nach neuen Fernsehgesichtern zu gehen.

Zum Aufbau der Gesichter. Im Sommer 2014 schickten Sie einige YouTuber im Rahmen des Studio71-Kanals „The Mansion“ für drei Monate in eine Villa in Los Angeles. Ist für dieses Jahr etwas Ähnliches geplant?
Es wird definitiv eine zweite Ausgabe von „The Mansion“ geben, voraussichtlich gegen Ende des Jahres. Das Projekt kam bei den Zuschauern und den Creators extrem gut an, gleichzeitig hat die Produktion auch zum Wachstum der einzelnen Channels beigetragen. Wir befragen aktuell die Community, wohin die Reise bei der zweiten Staffel gehen soll. Darüber hinaus sind in diesem Jahr viele weitere größere Produktionen geplant. Aktuell produzieren wir mit «Das Netzwerk» unsere erste eigene Fiction-Serie, die vor ein paar Monaten angelaufen ist. Und wir planen für Sommer, voraussichtlich im August, ein Live-Event auf großer Bühne vor Publikum. Diese Eigenproduktionen, die unsere Produktionskompetenz mit neuen interessanten Creators kombinieren, entwickeln sich zu einem klaren USP von Studio71.

Die erste Welle der Original-Channels wurde in vielen Fällen noch zu stark mit einer TV-Brille produziert.
Sebastian Weil über die Hintergründe der Original-Channels
Ist so ein Modell mit Highlight-Produktion, die quasi als Event ausgestrahlt werden, vielleicht auch die bessere Alternative gegenüber den gescheiterten YouTube-Original-Channels wie „Ponk“, die nach und nach an Relevanz verloren?
Das würde ich nicht auf die Frage der „Eventisierung“ oder der regelmäßigen Ausstrahlung zurückführen. Nach unseren Erfahrungen mit Eventproduktionen wie «Last Man Standing», «Let’s Play Poker» oder «The Mansion» lässt sich bei starken, etablierten Formaten die Zielgruppe auch nach Monaten wieder zurückzuholen. Die erste Welle der Original-Channels wurde in vielen Fällen noch zu stark mit einer TV-Brille produziert. Das Resultat waren sicherlich interessante Programme, gut auffindbar auf YouTube, da finanziert. Möglicherweise hat aber aufgrund der gesicherten Finanzierung das letzte Quäntchen Kreativität gefehlt. Nachdem der Geldhahn dann zugedreht wurde, mussten einige Channels wieder sehr schnell geschlossen werden.

Zum Schluss. Sie stehen mit Studio71 einem der größten Netzwerke in Deutschland vor und haben die Vorteile von digitalen Inhalten umfangreich aufgezeigt. Sind Sie der Meinung, dass es eines Tages zur Wachablösung des Fernsehens durch das Internet kommen wird und wenn ja, wann wird das sein?
Nein, an eine Wachablösung glaube ich wirklich nicht. Ich glaube dafür an eine sehr fruchtbare Koexistenz, wie sich bereits heute zeigt. Das lineare Fernsehen hat sein Publikum und ungebrochen große Reichweiten – auch künftig. Fernsehen ist und bleibt das Leitmedium, in keinem anderen Medium kann man als Marke so schnell Reichweite und Bekanntheit aufbauen. Aber natürlich werden non-lineare Angebote in Zukunft weiterwachsen. Besonders im Onlinevideo-Markt wird die Konkurrenz zunehmen, was wir durchaus begrüßen. Das Video-Thema beschränkt sich längst nicht mehr nur auf YouTube oder MyVideo. So hat auch Spotify kürzlich eine eigene Videostrategie gestartet. Plattformen wie Vimeo, Dailymotion, Netflix und maxdome verzeichnen enorme Zuwächse und treiben die Distribution von Bewegtbild-Inhalten – und dies nicht nur regional, sondern auch global. Die Entwicklung ist unheimlich spannend und bietet enormes Potenzial. Deshalb treibt die ProSiebenSat.1-Gruppe dieses Thema sehr offensiv voran und erobert damit auch attraktive internationale Zuschauerpotenziale. Auch unsere Videostars können den Sprung zu internationaler Bekanntheit schaffen, ähnlich wie in der Musikindustrie. Kurzum: In den kommenden Jahren werden wir eine sehr starke Koexistenz von linearem TV und non-linearen Webinhalten erleben. In der Verbindung beider Welten liegt eine enorme Chance.
22.06.2015 11:00 Uhr  •  Dennis Weber Kurz-URL: qmde.de/78980