Gefangen in der Zeitspirale - in 4028

Die US-Serie «Wayward Pines» hat über zehn Episoden spannend und mysteriös zugleich gezeigt, was passiert, wenn ein Herrscher versucht Macht über eine Bevölkerungsgruppe zu erlangen.

Lange musste das Publikum warten – knapp zwei Jahre – ehe nach der ersten Ankündigung der neuen FOX-Miniserie «Wayward Pines» auch die erste Folge im TV lief. Dafür war der Start direkt umso größer – in 125 Ländern weltweit begann die Geschichte rund um die mysteriöse Kleinstadt Wayward Pines parallel. Branchenkenner hatten vorher schon verlauten lassen, die Serie sei ein cleverer Mix aus «Twin Peaks» und «The Truman Show», im gleichen Atemzug aber angemerkt, dass das Format – natürlich! – niemals mit «Twin Peaks» würde mithalten können. Dieser Eindruck hat sich nach dem Serienfinale bestätigt.

Parallelen gibt es zwar einige, dennoch geht die Serie im Laufe eine ganz andere Richtung. Zu Beginn noch begleiten die Zuschauer Agent Ethan Burke (und kurz darauf seine ganze Familie) durch das mysteriöse Örtchen, aus dem es kein Entkommen gibt und beim Kennenlernen der verschworenen Gemeinschaft. Keiner scheint sich wehren, jeder die überall stattfindende Überwachung (durch wen eigentlich?) zu akzeptieren. So befasst sich der Zuschauer zunächst mit der Frage, was eigentlich vorgeht in diesem beschaulichen Städtchen und wieso alles eingekreist ist von einem gigantischen Elektrozaun. Die Antworten liefert Macher M. Night Shyamalan schneller als von manchen gedacht. Nach dem Tod des Sheriffs steigt Hauptfigur Ethan direkt zum Hüter über Recht und Unrecht auf und wird vom gruselig machtgierigen und herrschsüchtigen David Pilcher über die Wahrheit informiert.

Der Big Bang in «Wayward Pines» kommt unverhofft und ziemlich genau in der Mitte der Geschichte. Wir schreiben nicht mehr das Jahr 2014, sondern leben im Jahr 4028. Die Welt außerhalb von Wayward Pines existiert längst nicht mehr, die Menschheit wurde aufgefressen von gebückt laufenden aggressiven Mutationen, die „Abbys“ genannt werden. Der große Zaun ist dazu da, die Alles-Zerstörer vor einem Eindringen zu bewahren. In der Stadt wird dabei größten Wert auf die Jugendlichen gelegt, sie sind die erste Generation, die die Menschheit wieder aufbauen soll. Die nämlich wurde einst eingefroren, um zu überleben und wird nun nach und nach wieder aufgetaut – selbstverständlich nur einige wenige Auserwählte.

Ja, die Storyline von «Wayward Pines» ist verrückt – aber gelungen. Eine Mischung aus Endzeit-Drama, Zombie…ähh Abby-Apokalypse und Sozial-Experiment. Denn hinter den vermeintlich zu friedlichen Fenstern der Häuser von «Wayward Pines» rumort es gewaltig – daran besteht von Beginn an kein Zweifel. Denn neben denen, die raus wollen aus dem Dorf, gibt es auch die junge, erste Generation, die ihren “Visionär” David Pilcher nahezu verehrt - und wie er “Abrechnungen” mit denen fordert, die gegen die aufgestellten Regeln verstoßen. So ist es nun einmal in einer Diktatur - und eigentlich war das Leben in «Wayward Pines» nichts anderes. Das wird sehr gut in den letzten Minuten der Serie erkennbar. Der Mensch lebt, egal ob im Jahr 2000 oder in 4028 so, wie er es kennt. Weil Ethans Sohn Ben ins Koma fällt macht das Format einen erneuten Zeitsprung um rund drei Jahre - und nach dem Aufwachen gibt es neue Anführer in dem weiterhin nicht besinnlichen Städtchen; und neue Tote.

Dabei hatten sich die Menschen dort eigentlich geschworen, dass endlich alles besser werden muss. Die finale Folge erschien über weite Strecken wie ein direkter Ableger von «The Walking Dead», denn nachdem Sheriff Burke die Einwohner über die Wahrheit informiert hat, gibt Herrscher Pilcher die Stadt für die Abbys frei, in dem er den Elektrozaun abschaltet. Die Zombie-ähnlichen Gestalten schreien sich also durch die Straßen, Blut spritzt, Feuer brennt und Funken fliegen. Letztlich ässt sich die Invasion nur mit dem Tod der Hauptfigur und der Ermordung des verrückten Stadtvaters beenden. Rein von der Tonalität her passt der Serienabschluss über die meiste Zeit daher nicht zu dem bisher Gesehenen - er ist zu actionlastig und zu laut.

Dennoch wird die FOX-Serie als eine der kreativeren Produktionen des Network-Fernsehens der vergangenen zehn Jahre in Erinnerung bleiben; nicht aber mit ganz großen Hits wie «Akte X» und Konsorten mithalten können. Das hat mehrere Gründe. Da wäre die unter dem Strich eher blasse Leistung von Hauptdarsteller Matt Dillon in der Rolle von Agent Burke zu nennen. Dillon hat in der Serie den Charme eines Zementmischers, irrt regelmäßig leicht verkratzt und verbeult durch Wälder oder schaut bedeutungsschwanger in die Kamera. Auch seine Serien-Frau Shannyn Sossamon bleibt die meiste Zeit über blass. Ethans Ex-Affäre, die anfangs ebenfalls vermisste Agentin Kate (gespielt von Carla Gugino) ist da schon eher ein Lichtblick, hat aber ebenfalls nicht das Zeug dazu, das Vakuum zu füllen. Das gelingt dann schon eher der in Serien sonst kaum präsenten, aber für viele Kinofilme prämierten Melissa Leo, die als merkwürdige Krankenschwester Pamela die beste Figur der ganzen Serie abgibt.

Die Macher übrigens hielten sich mit dem Ende - und den wiedergekehrten Abrechnungen der älter gewordenen “ersten Generation” theoretisch die Möglichkeit offen, in einer zweiten Staffel weiter zu machen. Eine Fortsetzung wurde kürzlich sogar diskutiert, weil die Werte der zeitversetzten Nutzung bei FOX neue Rekorde aufstellten. Am Ende aber scheinen diese Pläne doch verworfen worden zu sein, da der amerikanische Broadcaster in den vergangenen Tagen wieder und wieder vom Serienfinale sprach. Eine kluge und gute Entscheidung; schließlich haben unnötige Verlängerungen schon manche Serien schlechter gemacht.
23.07.2015 22:33 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/79689