Die britische Regierung verordnet der BBC ein grundlegendes Reformprogramm, der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht damit vor einer Revolution. Was sich ändern soll – und warum das alles auch Auswirkungen auf die deutsche Unterhaltung haben wird.
Die wichtigsten Reformvorschläge
- universality: Programm noch für jeden Bürger? Vorgeschlagen wird eine Reduzierung des Unterhaltungsangebots (Shows, Serien)
- Finanzierung: Mehrere Vorschläge, darunter das deutsche Modell, Abogebühren oder mehr Werbung
- Privatisierung des internationalen Arms BBC Worldwide
- veränderte Regulierung der BBC nach den jüngeren Skandalen (Jimmy Savile)
- Link zum Reformpapier (86 Seiten)
„Warum zum Teufel kann die BBC nicht eine Serie produzieren, die so brillant ist wie «Breaking Bad»?“ Es sind Töne, die uns deutschen Medieninteressierten bekannt vorkommen. ZDF-Intendant Thomas Bellut hat in den letzten Jahren ähnliches gesagt, er forderte einst ein deutsches «Two and a Half Men» und sprach über innovative Serienformate, die hierzulande fehlen würden. Diesmal stammt das Zitat vom Bürgermeister Londons, Boris Johnson. Er formuliert eine Kritik an der BBC – genereller: am öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem Großbritanniens –, die immer lauter wird. Und das, obwohl die BBC hervorragende Serien macht: «Luther», «Sherlock», «Doctor Who», «The Office», um nur wenige zu nennen. Zwar hat sie kein britisches «Breaking Bad» hervorgebracht – aber wer schafft das schon? Selbst die USA produzieren nur äußerst selten, vielleicht alle paar Jahre, solche Meilensteine.
Es sind schwere Zeiten für die BBC, die 3,7 Milliarden Pfund Rundfunkgebühren pro Jahr erhält (über 5 Milliarden Euro). In einigen Jahren soll dieser Etat um mindestens eine Milliarde eingespart werden, wahrscheinlich werden dann über 1000 Stellen abgebaut. Alle zehn Jahre wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seinen Auftrag, seine Rechtsgrundlage überprüft, so fordert es das englische Gesetz. Der Zeitpunkt ist 2016 da, und diesmal soll es der BBC an den Kragen gehen.Vor einigen Tagen hat die konservative Regierung ihr green paper mit Reformvorschlägen vorgelegt. Es liest sich wie Art Abrechnung mit der Institution. Dort stellt man die fundamentalste aller Fragen: Ob die BBC überhaupt noch den Auftrag bekommen soll, für
jeden britischen Bürger Inhalte zu produzieren – oder nur noch für bestimmte Zielgruppen mit bestimmten Produkten. Es geht derzeit um Grundsätzliches im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem Großbritanniens.
Zwei Seiten sind es, die jetzt gegeneinander kämpfen: Auf der einen Seite sind die Befürworter der Reform. Die konservative Regierung unter David Cameron, der die BBC verschlanken will. Politiker unterstellen dem Mediengiganten „imperialistische Ambitionen“ und ähnliches – Worte, die man früher selten hörte. Auch Unternehmer stimmen in den Tenor ein. Vor allem Zeitungsverleger freuen sich über die Vorschläge; ähnlich wie in Deutschland sehen sie im öffentlich-rechtlichen Angebot eine vermeintlich übermächtige Konkurrenz. Auch Rupert Murdochs TV-Imperium Sky würde massiv profitieren. Murdoch verfolgt die BBC-Debatte genüsslich, selbstverständlich auch der frei empfangbare private TV-Rundfunk. Viele Bürger beäugen die „alte Tante“ ebenfalls kritisch.
Auf der Seite der Reformgegner befinden sich Kulturschaffende und Künstler. Sie sehen im green paper einen Angriff auf das Selbstverständnis der britischen Nation. Viele Prominente setzen sich jetzt für die BBC und gegen den Sparkurs ein: «Harry Potter»-Schriftstellerin Joanne K. Rowling, Fernsehkoch Jamie Oliver, James-Bond-Darsteller Daniel Craig, Schauspielerin Rachel Weisz und zahlreiche weitere Promis fordern in einem offenen Brief an den Premierminister Cameron eine „starke“ BBC: „Unser Ansicht zufolge würde eine verminderte BBC schlicht auch ein vermindertes Großbritannien bedeuten.“ Die Institution sei „das globale Schaufenster für unsere kreative Industrie“, und man kämpfe für eine „starke BBC im Zentrum des britischen Lebens“. Es sind Sätze voller Pathos und Ehrfurcht vor dieser urbritischen Einrichtung, die die Identität einer Nation prägt. Gerade deswegen ist eine Grundsatzreform wie die jetzige so umstritten. Es geht um nicht weniger als um die Frage, wofür die BBC eigentlich noch da sein soll, welchen Auftrag sie erfüllen soll. Die Relevanz der BBC wird infrage gestellt. Oder, um es mit Bonds Worten zu sagen: Sie wird geschüttelt, nicht gerührt.
Was sind die Streitpunkte?
Wichtigster Punkt im sogenannten green paper ist die Frage nach der „universitality“ der BBC, wie man es ausdrückt. Kurz: Soll die BBC überhaupt noch für alle Menschen Inhalte produzieren? Man müsse die Frage stellen, ob man sich – Zitat – „mit seinem Output auf Programme und Services für alle Zuschauergruppen fokussiert oder […] eher auf spezielles bzw. unterversorgtes Publikum.“ Anders ausgedrückt zielt dies auf die Änderung des bisherigen Rundfunkauftrags der BBC, die aus drei Säulen besteht: zu informieren, zu bilden und zu unterhalten. Ginge es nach den Reformern, soll der Unterhaltungsauftrag stark eingedämmt und privaten Anbietern überlassen werden. Viele Shows und Serien würden dann eingestellt, dürften nicht mehr produziert werden. So will man die Organisation verschlanken. Dann würde „die Öffentlichkeit weniger Rundfunkgebühren zahlen, und es wäre wahrscheinlich, dass der Markteinfluss reduziert wird.“
Ob dies aber wirklich so eintrifft? Richtig ist, dass die BBC ihren Einfluss in den vergangenen Jahrzehnten massiv ausgeweitet hat. Gab es vor 20 Jahren noch zwei TV-Sender und fünf Radiostationen, ist die Zahl nun auf neun TV-Kanäle, zehn Radiostationen und ein großes Online-Angebot angewachsen. Ein Dorn im Auge ist beispielsweise BBC Worldwide, das verschiedene internationale Programme verbreitet, auch in Deutschland im Pay-TV. Hier wird eine Privatisierung vorgeschlagen, um die Gebühren zu entlasten.
Möglicherweise aber wäre es fatal, das Unterhaltungsangebot zu kappen: Denn Serien und Show-Lizenzen bilden eine große Einnahmequelle, da sie international gefragt sind. Gerade durch den anhaltenden Serienboom hat sich die BBC als Top-Produzent einen Namen gemacht und steht für hochwertige Unterhaltung – sowohl im Drama- als auch im Comedy-Genre. Würde das Reformprogramm in aktueller Form umgesetzt, dann fiele wohl ein Großteil dieser Einnahmen weg. Es liefe auf die angesprochene starke Verschlankung hinaus, um die Finanzlöcher zu stopfen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk würde kleiner – und damit wohl bedeutungsloser. Es ist die alte Frage, die auch den deutschen Rundfunk immer wieder beschäftigt: Wie populär, wie massentauglich muss das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm sein?
Die britische Regierung scheint darauf mittlerweile eine andere Antwort gefunden zu haben als hierzulande. Zwar schreibt man, dass „ein Element populärer Programme essentiell ist“, aber: „Es gibt Bedenken, dass die BBC in einem übertrieben kommerziellen Rahmen handelt; sie greift in TV-Genres und Formate ein, die gut von ihren kommerziellen Konkurrenten bedient werden können.“ Sprich: Unterhaltung soll bei den Privaten stattfinden, Bildung und Info bei der BBC. Das Problem ist, dass dann ein Teufelskreis entstehen könnte: Wenn die BBC nur noch 'elitäres' Programm macht, wird sie weniger Zuschauer haben. Und je weniger Zuschauer der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat, desto mehr wird seine Legitimation in Frage gestellt.
Die Folge wäre wahrscheinlich irgendwann eine komplette Abschaffung. Oder ein Nischendasein wie in den USA. Dort wird PBS, der öffentlich-rechtliche Sender, durch Abos und Spenden finanziert, spielt quasi keine Rolle. Auch diesen Weg kann man sich bei der BBC vorstellen: „Eine Option für die spätere Zukunft könnte ein Abo-Modell sein, aber diese Technologie ist noch nicht flächendeckend in den Haushalten vorhanden“, steht im green paper. Kurzfristig will man die Finanzierung anderweitig reformieren, wahrscheinlich mit einem Beitrag, der unabhängig von den Geräten ist, sondern von jedem gezahlt wird – das deutsche Modell.
Ob James Bonds, ob Daniel Craigs Worte und die der anderen Promis genug Gewicht haben, um David Cameron umzustimmen? Es ist unwahrscheinlich. Noch wird debattiert, aber dass die BBC auf eine umfassende Reform zusteuert, ist sicher. Dass sie nicht so radikal wird wie derzeit besprochen, ist aber ebenfalls realistisch. Auch in Deutschland könnten wir uns freuen, dürfte die BBC in Zukunft weiter großartig unterhalten. Auf «Sherlock», auf «Doctor Who», auf «Orphan Black» wollen wir auch hier nicht verzichten.