Kathrin Vogler (MdB, Die Linke), spricht mit uns über die Politiker-WG im WDR. Warum Vogler aus politischer Sicht ein wenig enttäuscht ist und wo sie mit dem WDR nicht übereinstimmte...
Frau Vogler, schauen Sie eigentlich das Dschungelcamp?
Ich habe da mal reingezappt. Aber das war ein Versehen!
(lacht) Insofern nicht wirklich.
Sie haben eine Woche lang mit sechs anderen Politikern unter einem Dach im Problembezirk Duisburg-Marxloh gelebt. Wie vergleichbar war diese Situation mit dem Dschungelcamp?
Naja, von der Grundkonzeption her gibt es vielleicht schon ein paar Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel, dass Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun haben, gemeinsam an einen Ort kommen und mit unbekannten Aufgaben konfrontiert werden. Aber ansonsten war das ganze Projekt natürlich nichts, das mit Dschungel vergleichbar wäre – dafür sind die Sendungen thematisch viel zu unterschiedlich.
Was hatte man Ihnen über das Projekt mitgeteilt? Worum es genau geht, wussten Sie ja vorab nicht…
Das ist richtig. Uns wurde nur gesagt, dass es darum geht, für eine Woche in einen benachteiligten Teil einer Stadt in NRW zu ziehen. Dort sollten wir uns mithilfe von Aufgaben mit den konkreten Problemen der Menschen auseinandersetzen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Und uns wurde versprochen, dass keiner einen Heimvorteil haben sollte.
Warum haben Sie sich für den Einzug in die Politiker-WG entschieden?
Ich habe da natürlich länger drüber nachgedacht, fand am Ende aber, dass das alles sehr interessant klang. Vor allem die Idee der Macher, Politik für Jüngere und weniger Interessierte erfahrbar zu machen, fand ich reizvoll genug, um die Teilnahme zu wagen. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen sich überhaupt nicht für Politik interessieren, kann das für uns Politiker nur von Interesse sein.
Die Teilnehmer der Politiker-WG im Überblick
- Kathrin Vogler (Die Linke, MdB)
- Manuel Dröhne (Jusos, Stadtrat in Oberhausen)
- Klaus Franz (CDU-Bürgermeisterkandidat für Bochum)
- Lisa-Marie Friede (Sprecherin Grüne Jugend NRW)
- Luisa-Maximiliane Pischel (Junge Liberale, Kreisvorsitzende Ruhrgebiet)
- Paula Marie Purps (CDU)
- Ulrich Scholten (SPD-Bürgermeisterkandidat für Mülheim/Ruhr)
Wie sind Sie mit Ihren WG-Mitbewohnern klargekommen?
Das hat alles sehr gut geklappt und es mich hat überrascht, wie man auch über Parteigrenzen hinweg zu konstruktiven Lösungsansätzen gelangen kann. Was mich allerdings verwundert hat, ist, dass sich außer mir kein anderes Land- oder Bundestagsmitglied gefunden hat, um an diesem Experiment teilzunehmen. Natürlich weiß ich, wie eng unser Terminkalender ist. Und dass es ganz schwierig ist, sich eine Woche dazwischen freizuräumen. Aber ich denke, es wäre eine Chance gewesen.
Wie lief die Woche in der WG konkret ab? Was haben sie gemacht?
Wir sind eine Woche lang in zwei WGs untergebracht worden. Unter den WGs befand sich eine alte Bäckerei, in der wir uns regelmäßig getroffen haben, um zu beraten und zu diskutieren. Über den Projektzeitraum bekamen wir seitens der Produzenten drei Aufgaben gestellt, die wir bearbeiten sollten. Wie wir das machen würden, blieb uns überlassen. Da das Projekt schon während unserer Woche in den Medien kommuniziert wurde und die Leute Bescheid wussten, kamen einige Außenstehende sogar von sich aus auf uns zu.
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Seitens der Politik traut sich keiner, irgendetwas zu bewegen - das ist für mich nichts anderes als Politikmikado! Fürchterlich.
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Kathrin Vogler
Gab es Dinge, die Sie während des Projektes überrascht haben?
Mitgenommen hat mich die Situation der Menschen in der Notfall-Ambulanz, in der viele Leute ohne Krankenversicherung auftauchten. Ich weiß ja, dass es Menschen ohne Versicherung in Deutschland gibt. Ich kenne sogar persönlich welche. Aber der Umfang, in dem dieses soziale Problem inzwischen auftritt, hat mich aufgerüttelt und wütend gemacht. Seitens der Politik traut sich keiner, irgendetwas zu bewegen - das ist für mich nichts anderes als Politikmikado! Fürchterlich.
Haben Sie vielleicht auch etwas erlebt, das Sie positiv überrascht hat?
Die vielen Ehrenamtlichen haben mich beeindruckt, die sich ganz selbstlos für die Menschen im Stadtteil einsetzen. Ohne auf irgendeinen Eigennutzen zu schauen. Das war aber auch der Zwiespalt, in dem sich meine Gefühle in der Woche bewegten: auf der einen Seite die Wut über die Missstände, auf der einen Seite der Respekt vor diesen Ehrenamtlern. Und dann habe ich auch in der WG selbst sehr bereichernde Erfahrungen gemacht: Dass Menschen, die unterschiedlichen Überzeugungen oder Parteien anhängen, für konkrete Problemstellungen konkrete und konstruktive Lösungen finden können. Viele sagen, dass Politik immer nur Streit ist. Und es richtig, Streit gehört dazu. Wir haben uns in der WG auch gestritten - das aber immer im positiven Sinne, immer um die beste Lösung.
Wie sehen sie denn konkret aus, die Lösungen, um die Sie gerungen haben?
Wir haben eine ganze Menge an Spenden gesammelt, die unter anderem Jugendprojekten und der medizinischen Versorgung der Menschen vor Ort zu Gute kamen. Ich habe mich für eine Medikamenten-Spende einer Pharma-Firma eingesetzt, die zurzeit auf dem Weg ist. Es gibt noch viele weitere, kleinere Dinge, die bereits bewegt wurden oder fest zugesagt sind.
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Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung dieses Thema nicht angehen möchte
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Kathrin Vogler über Marxloh
Sie haben also Geld gesammelt. Wie sieht es denn auf der politischen Ebene aus?
Da bin ich tatsächlich nicht so positiv gestimmt. Auf politischer Ebene hat sich in Marxloh leider nichts bewegt. Um ein Beispiel zu nennen: Anfang Juni war Sigmar Gabriel in Marxloh und wurde auf das Problem Nicht-Versicherter Zuwanderer hingewiesen. Er hatte einen Lösungsansatz vor der Sommerpause versprochen. In der Sache haben wir bei Herrn Gabriel jetzt nochmal konkret nachgefragt. Eine Antwort ist bis heute ausgeblieben. Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung dieses Thema nicht angehen möchte. Unsere Arbeitsgruppe Gesundheits- und Pflegepolitik der Linken-Fraktion ist in der Sache aber informiert. Glauben Sie mir: Wir als Opposition bleiben am Thema dran.
Viele Haushalte deutscher Städte weisen tiefe Löcher auf. Können Kommunen heutzutage überhaupt noch Politik machen, die gestaltet?
Natürlich kann man auch in engen Haushalten Prioritäten setzen. Aber klar ist- und das habe ich dem WDR auch so gesagt: Langfristig sind die Missstände nicht auf kommunaler Ebene zu lösen. Das Problem schreit eine bundespolitische Lösung geradezu herbei. Solche tiefgreifenden Dinge können erst recht nicht sieben Menschen innerhalb einer Woche lösen.
Stehen Sie mit ihren ehemaligen Mitbewohnern noch in Kontakt?
Ja, wir tauschen uns regelmäßig dazu aus, was aus den verschiedenen Projekten geworden ist. Am 25. August, dem Tag nach der TV-Ausstrahlung der Politiker-WG, werden wir uns in Marxloh zu einer Pressekonferenz treffen. Am selben Tag kommt übrigens auch Frau Merkel nach Marxloh. Ich bin mir sicher, dass sie vor Ort einiges sehen und hören wird!
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Und ja, wir hatten auch unsere Konflikte mit der Aufgabenstellung des Teams. Drei Aufgaben haben wir in der Woche bekommen, zwei sind wir sehr ernsthaft angegangen. Bei der dritten hatten wir aber so große Fragezeichen im Kopf, dass wir ihr nicht nachgegangen sind. Konkret ging es darum, einen Kochkurs zu organisieren. Meiner Auffassung nach brauchen die Menschen keinen Kurs zum Kochenlernen, sondern genügend Geld für gesunde Nahrungsmittel und eine Küchenausstattung.
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Kathrin Vogler über die Zusammenarbeit mit dem WDR
In Medien, gerade im Fernsehen, droht politischer Anspruch schnell zu Gunsten boulevardesker Themen in den Hintergrund zu rücken? Hatten Sie diese Angst während der Dreharbeiten?
Was der WDR aus der Woche Drehmaterial im Endeffekt macht - darauf bin ich natürlich auch gespannt! Und ja, wir hatten auch unsere Konflikte mit der Aufgabenstellung des Teams. Drei Aufgaben haben wir in der Woche bekommen, zwei sind wir sehr ernsthaft angegangen. Bei der dritten hatten wir aber so große Fragezeichen im Kopf, dass wir ihr nicht nachgegangen sind. Konkret ging es darum, einen Kochkurs zu organisieren. Meiner Auffassung nach brauchen die Menschen keinen Kurs zum Kochenlernen, sondern genügend Geld für gesunde Nahrungsmittel und eine Küchenausstattung. Ganz abgesehen davon, dass wir sieben uns auch gar nicht zugetraut hatten, sowas in einer Woche auf die Beine zu stellen…
In der Hinsicht konnten Sie auf die Produktion also auch mit einwirken?
Natürlich haben wir die Produktion mitgestaltet – wir sind ja keine Schauspieler! Das war keine Scripted Reality, sondern vielmehr ein Blind Date mit der Realität!
Die Politiker-WG läuft im Rahmen einer Programm-Offensive des WDR, die viel Innovatives bieten soll. Ist die Politiker-WG innovativ?
Aber sicher. Natürlich greift die Sendung Probleme auf, die nicht neu sind. Aber es steckt so viel Arbeit in der Produktion, so viel Recherche - das verdient jeden Respekt. Jetzt liegt es am WDR, den Tanz auf dem Vulkan zu wagen: Auf der einen Seite jüngere Menschen ansprechen und auf der anderen Seite nicht in den Boulevard abrutschen. Darauf bin ich sehr gespannt!
Der WDR zeigt die Politiker-WG am kommenden Montag, 24. August, ab 21.05 Uhr.