«Show Me a Hero»: Die Helden sind ausgestorben

«The Wire»-Schöpfer David Simon gelingt sein nächstes Meisterstück bei HBO: In «Show Me a Hero» inszeniert er ein politisch-gesellschaftliches US-Krisenspiel basierend auf einer wahren Geschichte.

Cast & Crew

  • Autoren: David Simon, William F. Zorzi
  • Darsteller: Oscar Isaac, Carla Quevedo, Jim Belushi, Alfred Molina, Winona Ryder u.a.
  • Regisseur: Paul Haggis
  • Ausf. Produzenten: David Simon, William F. Zorzi, Paul Haggis, Nina Kostroff Noble
  • basiert auf dem Sachbuch von Lisa Belkin
USA 1987, der Schauplatz ist Yonkers, eine Großstadt im Süden von New York City. Der Wahlkampf steht an und kennt nur ein Thema: sozialen Wohnungsbau. In Yonkers grassiert der latente Rassismus, die Bürger wollen keine vermeintlichen Ghettos in ihrer Stadt. 80 Prozent der Einwohner sind weiß. Sie wollen weit weg leben von der schwarzen Bevölkerung, die mit den neuen Wohnungen in die Nachbarschaft ziehen würde. Sie fürchten Banden, Drogen und den Wertverlust ihrer Immobilien.

Der junge Bürgermeisterkandidat Nick Wasicsko stellt sich gegen das Projekt und gewinnt überraschend die Wahl, in einem Alter von 28 Jahren. Doch ein hohes Gericht verpflichtet die Stadt bald zum Bau der Wohnungen. Wasicsko muss sich plötzlich gegen seine Bürger stellen, und gegen sein Wahlkampfversprechen. Es entbrennen gesellschaftliche Kämpfe, die Jahre andauern werden. Erst 2007 endete die Geschichte um das Wohnungsbauprojekt vor Gericht.

David Simon erzählt sie nicht bis dahin. Seine neue Miniserie «Show Me a Hero» deckt im Wesentlichen die Ereignisse bis 1994 ab und basiert auf einem gleichnamigen Sachbuch. Mit «Show Me a Hero» dokumentiert Simon nicht nur einfach die Lokalpolitik und bürgerlichen Protest. Nein, es geht um viel mehr, es geht um die ganz großen Themen: um Segregation, um Rassismus in einer Zeit, die noch nicht weit weg ist, um Existenzängste der Mittelschicht, um politische Machtlosigkeit. Grundsätzlich dreht man sich um diese Frage: Wie kann eine tolerante Gesellschaft gebaut werden? Und kann Politik diese Aufgabe noch übernehmen? Heute steht das Beispiel Yonkers in den USA für Debatten um solche Themen.

David Simon selbst ist gelähmt von der Art, wie Politik gemacht wird. «Show Me a Hero» will er als Symbol dafür verstanden wissen, dass das amerikanische politische System scheitert. „Wenn Sie anfangen zu glauben, dass schon die Umgangssprache, wie wir über politische Themen diskutieren, nicht funktioniert, dann sollten Sie diese Serie schauen“, erklärte er kürzlich dem britischen „Guardian“. „Denn ich denke, dass die Serie eine perfekte Metapher dafür ist, wozu die amerikanische Regierung nicht mehr in der Lage ist – Probleme in einer nutzenbringenden Weise anzugehen, die den meisten Menschen hilft. Die amerikanische Politik versteht es nicht mehr, Lösungen für unsere Probleme zu finden.“ Aus dem Serienmacher spricht auch ein frustrierter politischer Bürger, dem es ähnlich geht wie vielen Menschen in westlichen Demokratien.

Nick Wasicsko (Foto) als Hauptfigur verkörpert diese Metapher in perfekter Weise: Als jüngster Bürgermeister der Stadt ist er die Hoffnung der weißen Mittelschicht, den politischen Betrieb aufzumischen. Er spricht ihre Sprache. Seine Naivität holt ihn schnell ein, kurz nach seiner Amtseinführung muss er für das Bauprojekt stimmen, gegen das er noch Wahlkampf gemacht hat. Die politische Ohnmacht offenbart sich schnell: Verändern kann man hier wenig, zu sagen hat man kaum etwas. Stattdessen wird Wasicsko zum Hassobjekt der Bürger. „Wann fängt dieser Job eigentlich an Spaß zu machen?“, fragt er einmal. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits ein paar Monate im Amt, den Retter spielt er längst nicht mehr. „Zeige mir einen Helden“, schrieb der berühmte Schriftsteller F. Scott Fitzgerald einst, „und ich schreibe dir eine Tragödie.“ «Show Me a Hero», in Anspielung auf dieses Zitat, dokumentiert genau diese.

Was David Simon vor allem schafft, ist eine Art zeitrafferisches Erzählen in Perfektion: Obwohl sich die Geschichte über rund sieben Jahre erstreckt, fühlt sie sich an wie ein packender Krimi ohne Atempause. Simon zoomt immer wieder hinein in das komplexe, auf den ersten Blick nüchterne Thema, dokumentiert bruchstückartig seinen Verlauf und die wichtigen Ereignisse. Bemerkenswert ist, dass trotzdem emotional erzählt wird, sowohl aus Sicht Wasicskos und der Politik als auch aus Sicht der beteiligten Bevölkerungsschichten.

Die Schicksale nehmen einen großen Teil der Geschichte ein, immer wieder werden die verschiedenen Parteien und Meinungen durch den einzelnen Menschen repräsentiert. So schafft der Autor eine empathische Stimmung. Auch hier entfaltet das zeitrafferische Erzählen eine Sogwirkung: Man sieht zwei junge Erwachsene, die sich gerade kennenlernen, und wenige Sendeminuten später – es ist rund ein Jahr in der erzählten Zeit vergangen – ziehen sie gemeinsam um, die Frau schwanger. Was David Simon schon in «The Wire» schaffte, erreicht er auch hier: die Dokumentation des Lebens unter seinen Umständen mit minimalistischem Aufwand, aber großem Effekt. Auch hier muss (oder darf) der Zuschauer die Erzähllücken füllen.

Hervorragend ist auch die visuelle Darstellung der 1980er und 1990er Jahre dieses period dramas gelungen. Sie vergegenwärtigt sich durch solche Banalitäten wie einer alten Dose Diet Pepsi oder durch antiquierte Wahlgrafiken, die auf den braunen Röhrenfernsehern flimmern. Untermalt wird das Geschehen oft durch kontemporäre Songs, die mal im Hintergrund, mal im Vordergrund dudeln. Bruce Springsteen, Whitney Houston, die großen Hits. Regisseur Paul Haggis («L.A. Crash») arbeitet mit stillen Kameraeinstellungen und setzt dann viele Schnitte ein, wenn es inhaltlich hektisch wird. Die sehr oft aufgeheizten Stimmungen werden damit perfekt in Szene gesetzt.

«Show Me a Hero» ist ein wichtiges Stück Seriengeschichte, dessen Themen auch heute nicht aktueller sein könnten. Wenn Deutsche sich derzeit über Flüchtlingsunterkünfte und Asylbewerber in ihrer Stadt beschweren, handeln sie nicht viel anders als die von Fremdenhass geprägten Bürger aus Yonkers. Die Serie porträtiert die so entbrennenden gesellschaftlichen Konflikte, und sie zeigt, dass es im Hass keine Sieger geben kann. Keine Helden.
21.08.2015 12:47 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/80280