Die Kritiker: «Meuchelbeck»

Ein Großstädter zieht aufs Land und hat dort mit mysteriösen Ereignissen zu tun. Schon dagewesen? Ja, und zwar sehr oft. Bietet «Meuchelbeck» trotzdem Neues? Ja, ab und zu.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Erik Haffner (Folge 1-3), Klaus Knoesel (Folge 4-6)
  • Drehbuch: Stefan Rogall
  • Darsteller: Holger Stockhaus, Dagmar Sachse, Janina Fautz, Anna Böger, Karin Hanczewski, Christian Hockenbrink, Claus Dieter Clausnitzer, Luc Feit
  • Kamera: Tom Holzhauser (Folge 1-3), Till Müller (Folge 4-6)
  • Ausstattung: Thomas Pfau
  • Kostüm: Elisabeth Schelte
  • Schnitt: Jochen Donauer (Folge 1-3), Nadja Hennrich-Kock (Folge 4-6)
  • Musik: Patrick M. Schmitz
Der WDR feiert Jubiläum und ruft daher zu den großen Innovationstagen auf. Eines dieser neuen Projekte wirkt auf den ersten Blick allerdings ganz altbacken und altbekannt: «Meuchelbeck» beginnt wie ein weiterer der zahllosen Schmunzelkrimis Großstädter, der aufs Land muss, dort aneckt und zudem mit morbiden Fällen konfrontiert wird. Eine Wende hin zu einem weniger ausgetretenen Pfad zeichnet sich schleichend ab und ist sehr willkommen. Allerdings lässt sich diese Wende zu viel Zeit, um der sechsteiligen ersten Staffel einen durchweg ansprechenden Stempel aufzudrücken …

Nach 20 Jahren, die der gebürtige Jung' vom Niederrhein fern der Heimat verbracht hat, kehrt Markus Lindemann in den Ort seiner Kindheit zurück. Im äußerst beschaulichen Meuchelbeck wird er jedoch nicht gerade mit offenen Armen empfangen: Alte Weggefährten und Nachbarn werfen ihm vor, seine Heimat für die pulsierende Großstadt Berlin verlassen zu haben. Und die zahlreichen Gerüchte, die sich um seinen strikten Bruch mit Meuchelbeck ranken, erschweren Markus es umso mehr, in der Provinz wieder Fuß zu fassen. Für seine 16-jährige Tochter Sarah ist die Vorstellung, in einem niederrheinischen Kaff gefangen zu sein, sogar der reinste Horror. Nicht, dass Markus, der eine Hälfte der väterlichen Pension geerbt hat, vor Optimismus platzen würde: Das Verhältnis zu seiner Schwester Mechthild könnte besser sein, und dass seine Ex-Freundin Julia inzwischen mit seinem ehemals besten Kumpel verheiratet ist, geht Markus gehörig auf den Zeiger. Als Sarah die zunehmend plausibler klingende Theorie aufstellt, ihre Tante sei eine Mörderin, und Polizistin Frauke mit dem Mord an einer Kuh überfordert ist, während sie all ihre Energie darin steckt, Markus anzuhimmeln, ist das Chaos perfekt …

Die Figuren werden eingangs auch mit dem selben Hang zum Widerspruch gezeichnet, der den üblichen Schmunzelkrimis ihren seicht-schrägen Humor verleiht: Weil das Dorf so klein ist, verarztet der Tierarzt auch menschliche Patienten. Die Polizistin etwa hat erwartungsgemäß wenig zu tun, meint selbst aber, sie hätte für nichts mehr Zeit, weil sie so, so viel zu erledigen habe. Und Meuchelbecks Pfarrer ist nicht nur Seelsorger, sondern suizidgefährdet.

Worin sich jedoch schon sehr früh abzeichnet, dass «Meuchelbeck» sehr wohl ins Innovationsjubilämsprogramm des WDR gehört, und nicht etwa auf einen Vorabendslot im Ersten: Die Auftaktfolge endet mit einem Cliffhanger, und signalisiert somit, dass es sich beim neuen Format von Stefan Rogall (Grimme-prämiert für «Polizeiruf 110: Kleine Frau») um eine horizontal erzählte, durchaus ambitionierte Serie handelt. Stets werden neue Figuren eingeführt, die nicht bloß für eine Folge von Belang sind, sondern die Handlung nachhaltig beeinflussen. Und mit jeder neuen Folge werden die Figuren verschrobener. Sowohl im humorvollen Sinne, als auch im dramatischen, denn bei vielen der Figuren tun sich immer größere Abgründe auf. Der Witz in «Meuchelbeck» nimmt konsequent morbidere Formen an, und die folgenübergreifenden Geheimnisse gewinnen an Biss.

«Meuchelbeck» daher als „«Twin Peaks» in XS“ zu bezeichnen, ist vielleicht schon zu gönnerhaft und übertrieben. Selbst wenn die (im besten Sinne) ausufernden Plots über den psychotisch werdenden Pfarrer und massenhaft unters Volk gebrachte Drogen «Meuchelbeck» in den letzten Zügen eine leicht mysteriöse Note gibt. Ab Folge drei werden jedenfalls die anfangs so flachbrüstigen Nebenfiguren zur wahren Attraktion der Serie: Das Skript zeichnet sie eigenwilliger und ungewöhnlicher, das Ensemble kann daher besser, da engagierter und mit zusätzlichen Widerhaken aufspielen. Was die Regisseure damit bezwecken, dass sie Frontmann Holger Stockhaus seinen vergleichsweise normalen Markus zum Ausgleich immer lauter und übertriebener anlegen lassen, bleibt indes ein ungeklärtes Rätsel.

Ab Folge fünf erreichen die Verwicklungen der Hauptfiguren endlich das düster-absurde Niveau, das der Vorspann von Beginn an verspricht. Die Finalfolge hechelt letztlich zu einem Schlusspunkt, der eine viel stärkere zweite Staffel erhoffen lässt. Eine sechsteilige Staffel, deren Episoden jeweils rund 50 Minuten dauern, aufgrund ihres Versprechens einer besseren, originellen Fortsetzung zu schauen, ist allerdings nur etwas, das sich absoluten Seriennarren anbietet. Wer nicht solch einen langen Atem mitbringt, muss schon genau in das Schema von «Meuchelbeck» passen und genügend Faible für Regional-Schmunzelkrimis mitbringen, um die konventionellen Passagen zu genießen, aber zugleich ausreichend Freude an schrägen, semi-dunklen Plots haben, um die schleichende Entwicklung der Serie willkommen zu heißen.

Massentauglich sieht wahrlich anders aus, und auch gezieltes Storytelling ist nicht die Stärke von «Meuchelbeck». Als Geburtstagsexperiment ist diese WDR-Serie dennoch ganz nett geworden – die kleine Zielgruppe der Niederrhein-Verschwörungen wird sie gerne als kleine Abwechslung vom NRW-Serienalltag verköstigen. Und Staffel zwei kann ja noch immer zulegen …

«Meuchelbeck» ist ab dem 24. August 2015 immer montags um 20.15 Uhr im WDR zu sehen.
22.08.2015 12:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/80295