«Hand of God»: Mörderischer Auftrag von oben

Ein verrückter Richter, der Signale aus dem Himmel empfängt, eine dubiose Gottessekte, ein tragischer Suizidversuch und viele Fragezeichen: Ob die neue Amazon-Serie «Hand of God» all diese Elemente stimmig unter einen Hut bringen kann, sagen wir in unserem Review.

Cast & Crew

  • Creator & Autor: Ben Watkins
  • Darsteller: Ron Perlman, Dana Delany, Andre Royo, Garret Dillahunt, Alona Tal, Julian Morris, Elizabeth McLaughlin u.a.
  • Regisseur: Marc Forster u.a.
  • Ausf. Produzenten: Jeff King, Ben Watkins, Marc Forster, Ron Perlman u.a.
  • Produktion: Amazon Studios, LINK Entertainment
Ein Schicksalsschlag reißt Richter Pernell Harris aus seinem Alltag: Nachdem sein Sohn PJ vor eigenen Augen mit ansehen musste, wie seine Frau vergewaltigt wurde, will er sich das Leben nehmen. Doch PJs Suizidversuch endet nicht im Tod, sondern im Koma. Er liegt auf der Intensivstation, angeschlossen an Maschinen, laut der Ärzte ohne Hoffnung auf eine Rettung. Vater Pernell geht auf seine Art damit um: Er wendet sich Gott zu, fühlt sich als Neugeborener, schließt sich einer dubiosen Kirche an. Und empfängt plötzlich die Stimme seines Sohnes, der im Koma zu ihm spricht und Aufträge erteilt. Pernell sieht es nun als seine Bestimmung an, den Vergewaltiger ausfindig zu machen, der die tragische Ereigniskette erst in Gang setzte. Und geht damit wortwörtlich über Leichen.

Die erste Staffel Amazon-Serie «Hand of God» wurde jüngst veröffentlicht, ziemlich genau ein Jahr nach dem vielversprechenden Pilotfilm. Wie es aussieht, wenn ein moralisch skrupelloser Richter auf einmal Signale von oben empfängt, konnte man schon damals in der wunderbaren ersten Szene sehen: Da stand er, Pernell Harris, halb nackt in einem öffentlichen Brunnen und betete mit fremder Sprache ein Ritual. Diese Eröffnungsszene beeindruckt, sie macht neugierig.

Vom provokanten hook bleibt nach den ersten beiden Folgen allerdings nicht allzu viel übrig – zu wenig skandalös sind die religiösen Themen, die angeschnitten werden. Die blasphemischen Elemente stoßen im heutigen Deutschland keine Debatte mehr an, vielleicht in den noch tiefer religiös verwurzelten USA. Grundsätzlich ist es auch egal, ob nun wirklich Gott die Anweisungen an Pernell erteilt oder irgendein anderes Mysterium. Die Sekte, der sich Pernell anschließt, könnte jede x-beliebige sein. Die Konstellationen selbst sind das Entscheidende, das Spannende – weniger der Bezug all dieser Themen zu einem Gott.

Die Serie spielt gut damit, den Zuschauer zu verwirren. Immer wieder lässt sie fragen, ob die Dinge, die Pernell empfängt und sieht, wirkliche Visionen sind oder nur Halluzinationen seines eigenen Geistes. Ob es also wirklich etwas da draußen gibt, das durch seinen Sohn PJ spricht, oder ob Pernell einfach nur verrückt geworden ist, ist eine spannende Frage in «Hand of God». Seine Nächsten zweifeln selbstredend an seinem Verstand und wenden sich von ihm ab. Sie können nicht verstehen, dass Pernell seinen Sohn künstlich am Leben erhalten und ihn nicht in den Tod erlösen will. Schon bald richten sie sich offensiv gegen die lebensverlängernden Maßnahmen: Sowohl seine Frau Crystal als auch die Ehefrau von PJ fordern ein, dass die Maschinen abgeschaltet werden und der Mann in Würde sterben kann.

„Wem schade ich mit meinem Verhalten eigentlich?“, fragt Pernell in einer eindrucksvollen Szene am Krankenbett und verlässt das Zimmer. Crystal wird zurückgelassen, eine Träne rinnt herunter. Sie stellt sich an den Spiegel, blickt in ihr Gesicht, wischt die Tränen weg. „Genug“, spricht sie selbstbewusst. In ihr scheint ein Plan zu reifen.

Tatsächlich erscheint die Geschichte um Crystal Harris (Foto) als die eigentlich spannendste, weil die Figur die spannendste ist. Die angedeutete Emanzipation von ihrem Ehemann, das Selbstbewusstsein, das Geheimnisvolle ihres Charakters: Dana Delany («Body of Proof») verkörpert die ungewöhnliche Figur hervorragend, sie ist der heimliche Star der Serie. Ron Perlman, der den Hauptcharakter Harris Pernell spielt, spielt den verrückten Richter gleichfalls überzeugend und vereinnahmend, teils mit einer Spur bitteren Humors. Auch wegen ihm ist es die Serie wert, geschaut zu werden.

Probleme hat «Hand of God» vor allem inhaltlich damit, sich zu entscheiden: Will man ein Thriller mit religiösen Elementen sein? Will man Ron Perlman als bad boy inszenieren, der auf einen blutigen Rachefeldzug geht? Will man Themen des Sterbens und Lebenlassens diskutieren? Will man starke Frauen darstellen, die sich von ihren Männern emanzipieren? Die Serie nimmt von alldem ein bisschen und rührt einmal kräftig durch. Zwangsweise entwickeln sich die – anfangs leider noch nicht allzu gut verflochtenen – Plotlines mal mehr, mal weniger spannend. Die Gefahr dieses Konzepts besteht darin, die gesamte Geschichte zu überfrachten und nie wirklich tiefergehend erzählen zu können, sondern immer nur an der Oberfläche.

Abseits der hervorragenden Produktion fehlt das eine packende Element, das zum unbedingten Weiterschauen anregt – zumindest in den ersten Folgen. Dennoch gehört die Serie zu den interessanteren Dramen, die wir in diesem Sommer sehen können. Die schauspielerischen Leistungen, der Look, das Verwirrspiel um Pernells Visionen, die Pläne von Ehefrau Crystal – es gibt genug Argumente, um «Hand of God» zwei oder drei Chancen zu geben. Auch wenn das neue Drama gerade angesichts des starken Runs der Amazon-Studios zuletzt («Transparent», «Bosch», «Mozart in the Jungle») eher enttäuscht als begeistert.
05.09.2015 12:28 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/80591