Im März machte sich «Hart aber fair» mit einer unfassbar miesen Diskussion zum Thema Gender Studies lächerlich. Nach verdientem Tumult erfolgte nun eine zweite Debatte zur Gleichstellungsfrage. Wir sagen, wie sie war.
Die «Hart aber fair»-Gäste zum Thema Gender Studies
- Sophia Thomalla (Schauspielerin, in beiden Ausgaben dabei)
- Wolfgang Kubicki (stv. FDP-Chef, in beiden Ausgaben dabei)
- Anne Wizorek (Autorin un Beraterin für digitale Medien, in beiden Ausgaben dabei)
- Birgit Kelle (Publizistin und Feminismus-Kritikerin, in beiden Ausgaben dabei)
- Anton Hofreiter (Fraktionschef der Grünen, in beiden Ausgaben dabei)
- Sybille Mattfeldt-Kloth (stv. Vorsitzende des Landesfrauenrats Niedersachsen, nur in der "Rückrunde" dabei)
- Jörg Schönenborn (WDR-Fernsehdirektor, nur in der "Rückrunde" dabei)
Wohl alle, die Germanistik oder Linguistik studieren oder einst studiert haben, dürfte diese Frage kennen: „Was wird man eigentlich damit? Ist das nicht nutzlos?“ Die Antwort lautet: Nein. Es ist nicht nutzlos. In diesen Wissenschaften wird gelehrt, wie eng unsere Sprache mit unserem Denken verknüpft ist. Und somit mit unserem Wirklichkeitsempfinden. Wer das erst einmal verstanden hat, durchschaut auch viel schneller, wenn mittels Sprache Manipulation betrieben wird. Wenn aus der „Flüchtlingslage in Europa“ in manchen Blättern das „Flüchtlingsproblem in Europa“ wird, ist dies keine Umschreibung mit vernachlässigbaren Unterschieden. Sondern eine die Betroffenen abwertende Formulierung. Und weil unsere Sprache so mächtig ist, wird in der Germanistik/Linguistik immer häufiger auch über Theorien aus den Gender Studies gesprochen: Welche Formulierungen und Strukturen bekräftigen Klischees sowie Ungerechtigkeiten, welche sind fähig, sie auf lange Sicht auszuhebeln?
Selbst absolut unterdurchschnittliche Germanistikstudierende sollten mehr Ahnung von diesem Thema haben als drei Fünftel der Runde, die in der «Hart aber fair»-Ausgabe vom 2. März 2015 zu sehen war. Schauspielerin Sophia Thomalla, FDPler Wolfgang Kubicki, Buchautorin Anne Wizorek und Feminismus-Kritikerin Birgit Kelle sowie Grünen-Politiker Anton Hofreiter diskutierten damals … Ja, worüber eigentlich? Sinnig wäre es gewesen, darüber zu reden, wie endlich eine Gleichberechtigung erlangt werden kann. Stattdessen drängte Moderator Frank Plasberg die Gesprächsdynamik wiederholt in eine bestimmte Richtung. Eine Richtung, die erlaubte, dass sich Kubicki, Thomalla und Kelle letztlich fast durchgehend nur darin bestärken durften, wie unsinnig Gender-Debatten seien. Plasberg reihte sich gelegentlich auch mit ein, indem er etwa behauptete, dass es der Gender-Forschung an männlichen Professoren mangele, weshalb sie sich nur mit „Wahnsinn“ beschäftige. Oder indem er in seiner Einleitung das Vorurteil unterstrich, Männer seien unfähig, sich für Gleichstellungsfragen zu interessieren.
Kurzum: Es braucht kein Germanistikstudium, um die «Hart aber fair»-Ausgabe „Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?“ als Tiefpunkt in der Geschichte der vom WDR produzierten Talkshow zu erkennen. Eine Prise an gesundem Menschenverstand genügt schon, um zu verstehen, wie lächerlich es ist, Hofreiter aufgrund seiner langen Haare „als Gendertyp“ zu titulieren und ihn auszulachen, weil er behauptet, mit vielen Frauen befreundet zu sein. Dass Plasberg es zudem erstens als feminin markiert, dass Hofreiter gerne Pralinen herstellt, und der Moderator sich zweitens bei dieser Anmerkung das hämische Lachen nur schlecht verkneift, dürfte die Beweisführung eigentlich schon abschließen. Aber leider folgten noch zahllose weitere Peinlichkeiten und Ärgernisse. Kubicki und Thomalla streiten etwa nach einem Einspielfilm ab, dass die Angaben des deutschen Amts für Statistik korrekt sind, und behaupten, eine Lohnungleichheit existiere nicht Und Plasberg winkt Wizoreks Kritik ab, die Redaktion hätte auch Fachleute für Gender-Sprachforschung einladen sollen. Und, und, und …
Dass diese «Hart aber fair»-Folge mit harscher Kritik übersät wurde, war mehr als gerechtfertigt. Und die nun nahezu exakt sechs Monate später erfolgte Rückrunde stellte das Mindeste dar, was die Verantwortlichen da hätten tun können. Endlich Zeit, um Fehler einzugestehen. Um eine Entschuldigung zu erbitten. Und um nun endlich das Thema ernsthaft zu behandeln …
Oder auch nicht. Denn bevor überhaupt einmal die Genderdebatte wieder aufgegriffen wurde, gingen mehr als 20 Sendeminuten verloren. Darin debattierte Plasberg mit seinen Gästen über die Entscheidung, die viel kritisierte «Hart aber fair»-Ausgabe aus der Mediathek zu nehmen. WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn durfte zu diesem Hickhack Stellung beziehen. Birgit Kelle behauptete vehement in einem giftigen Tonfall, Frauenrechtlerinnen hätten den WDR zu einer Zensurmaßnahme gedrängt. Und das, obwohl Sybille Mattfeldt-Kloth vom Landesfrauenrat Niedersachsen mehrmals erläuterte, genau dies eben nicht verlangt zu haben. Und dann entglitt das Gespräch erst einmal in Pressefreiheit feiernde Gewässer, bevor ganz allmählich das eigentliche Thema vorsichtig angeschnitten wurde. Denn Plasberg hangelte sich ab dann von einem Ausschnitt der ersten Gender-Debatte zum nächsten Ausschnitt. Simone Thomallas Kompetenzen zum Thema Gender Studies wurden in Frage gestellt, aber Plasberg, Kubicki und Kelle waren sich einig: Sie ist eine erfolgreiche Frau, also darf sie im Fernsehen ihre Meinung sagen, wenn sie gefragt wird. Egal, wie viel Vorbildung zur gestellten Frage sie mitbringt oder nicht. Zu Thomallas Verteidigung: Anders als noch in der ersten Ausgabe zu dem Thema sieht sie nun ein, dass es einen Pay Gap gibt, und dieser überwunden werden muss. Das ist zwar kein kompetenter Beitrag, sondern eine Sache, die selbstverständlich sein sollte. Aber diese Wortmeldung ist immerhin eine Verbesserung gegenüber der März-Katastrophe.
Davon abgesehen geriet auch die zweite «Hart aber fair»-Diskussion zur Genderfrage unfassbar frustrierend. Obwohl dank Mattfeldt-Kloths Anwesenheit nunmehr mit Hofreiter und Wizorek ein Trio an Personen vor Ort war, die Vorwissen aufweisen konnten, blieb die Sendung gehaltlos und chaotisch. Klar: Kelles Polemik gehört wohl zu einer öffentlich-rechtlichen Talkshow schlichtweg dazu. Allerdings sollte es ebenso selbstverständlich sein, dass der Moderator beide Seiten der Diskussion gleich behandelt. Fehlanzeige: Wann immer Wizorek in die Tiefe ging, wurde sie unterbrochen, während Plasberg Kelles „Wie relevant ist es, wenn sich Minderheiten beleidigt fühlen?“-Fragen genügend Raum gegeben hat. Kubicki vermied es indes tunlichst, konkrete Aussagen zu treffen, was sich Plasberg gefallen ließ. Ein völliger Reinfall also. Das ist wenig überraschend, aber dennoch eine Blamage. «Hart aber fair» war in den ersten Jahren schließlich ein wertvoller Funken an Qualität im Ersten. Nun dagegen muss man sich schon freuen, wenn nicht wieder vom „wunderbaren Neger“ die Rede ist, sondern nur ein wertvolles Thema zum zweiten Mal verheizt wird. Vielleicht sollte ein Relaunch der Sendung vollzogen werden: Der Titel «Schwammig aber parteiisch» klingt recht hübsch …