Seit rund einem Jahr hat Reporter Daniel Lange, eines der «akte»-Gesichter, das Sat.1-Format verlassen. Wir haben ihn getroffen, zurückgeblickt auf ein schweres Jahr und nach vorne: Wo werden investigative Themen künftig Platz finden?
Es ist jetzt ein Jahr her, dass es größeres Aufsehen um Sie gab. Wie geht es Ihnen denn nun ein Jahr nach «Lange Undercover»?
Mir geht es grundsätzlich gut, obwohl ich nicht sagen kann, dass das Jahr „nach META“ allgemein leicht gewesen ist. Wenn Sie fast ein Jahrzehnt zu 100 Prozent in eine solche Produktionsfirma und ein Format wie «akte» eingebunden sind, dann dauert es einige Zeit, bis Sie eingesehen und verstanden haben, dass das auch nur eine Station in einem Leben gewesen ist. Dazu wurde ich ja noch im „vollen Run“ mit der Faust gestoppt und das scheppert dann schon. In den ersten Wochen hat mich da Sylvia Fahrenkrog-Petersen von Good Times aufgefangen und mental unterstützt. Das war rückblickend sehr wichtig und ich bin ihr dafür sehr verbunden. Die Abnabelung von META und Sat.1 gestaltete sich zusätzlich schwierig, weil ja bis heute die ganze «Lange Undercover»-Geschichte noch gar nicht abschließend geklärt ist. Sat.1 hat sich da ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und das versuche ich gerade zu klären. Das ist natürlich nicht leicht gegen so einen mächtigen Gegner anzukommen - aber bisher bin ich wenig beeindruckt.
Mir wurden nur sogenannte „Senderwünsche“ übermittelt und wenn die nicht umgesetzt wurden, dann wurde die gesamte Produktion gestoppt. Das erinnert ein bisschen an den sogenannten «Newtopia»-Skandal, da hörte man ja auch kurz von „Senderwünschen“. In dem Jahr habe ich aber auch sehr viele Erfahrungen gemacht. Da gab es auf der einen Seite Jobangebote zu Gehältern auf Volontärsniveau, es gab einige Redaktionen/Produktionen, die mich als „Mann im Hintergrund“ wollten, damit ich ihnen mit meinen Kenntnissen und meinem Knowhow aushelfe. Ich habe mir das alles angehört und konnte oft nur verwundert den Kopf schütteln. Ich bin gern offiziell dabei und noch lange nicht in der Situation, mich weit unter meinem Wert verkaufen zu müssen. Das gefiel einigen Menschen, auf die ich traf, dann gar nicht.
Sie haben nach Ihrer Zeit bei META an verschiedenen Projekten gearbeitet; unter anderem auch für Al-Jazeera. Worin lag dabei der Reiz?
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Daily-Sachen mag ich nicht, da kann ich auch gleich irgendwo Schrauben am Fließband sortieren.
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Daniel Lange über die Arbeit bei täglichen Magazinen
Ich habe in dem Jahr viele Projekte angeschoben. Darunter auch journalistische.
In den vergangenen fünf Monaten jedoch entwickelte ich ein neues TV-Format, verkaufte es an Endemol Shine und drehte die Pilotfolge. Aktuell soll das jetzt bald irgendwo als Daily-Format laufen. Ich bin da raus und gespannt wie es wird. Daily-Sachen mag ich nicht, da kann ich auch gleich irgendwo Schrauben am Fließband sortieren.
Ich habe natürlich die Zeit auch genutzt und an zwei größeren investigativen Reportagen gearbeitet, wo es einmal um die „Drogen-Hot-Spots der Hauptstadt“ geht. Das ist natürlich eine Sache, die man nicht an zwei Wochenenden abdreht und Einsätze mit versteckter Kamera zum organisierten Heroinhandel auf den Berliner U-Bahnhöfen können schnell lebensgefährlich werden. Diese Dealer haben nichts zu verlieren. Im anderen Fall habe ich mich über eine längere Zeit „undercover“ als Porno-Produzent ausgegeben und so einen einzigartigen Einblick in diese sehr schräge aber auch knallharte Branche bekommen. So weit kommt man nicht, wenn man in klassischer Herangehensweise eine Reportage über diese Parallelwelt drehen will. Es war für mich und meinen Kameramann, die wir glaubten doch schon alles erlebt zu haben, unglaublich interessant und oft sehr befremdlich. Jetzt gerade arbeite ich an einer größeren Musikvideo-Produktion, mit Berliner Rap-Stars, jedoch mehr aus dem Anspruch heraus mal etwas künstlerischer zu schaffen. Natürlich ist da auch Geld ein Faktor.
Mal grundsätzlich gefragt: Glauben Sie denn, dass Reporter-Formate im Privatfernsehen noch eine Zukunft haben? Immerhin lassen sich vor allem aktuelle und investigative Stücke nicht so leicht wiederholen wie ein Gartenmäher- oder Grill-Test, sind in diesem Punkt also nicht sonderlich wirtschaftlich.
Ich glaube schon, dass Reporter-Formate noch eine Zukunft haben. Und: Grill- und Rasenmäher-Test passen sicherlich nicht wirklich vollends in ein investigatives Format. Doch das muss man aber trennen. Solche Beiträge haben ihre Berechtigung und werden vom Zuschauer ja auch angenommen. Hier geht es jetzt darum, wie man solche Verbraucher-Beiträge bildstark, spannend und modern verpackt. Und das muss man auch weiter ausbauen, hier gerade filmerisch. Wenn man nach dem Einsatz einer GoPro keine weitere Idee mehr hat, dann sollte man vielleicht doch besser als Rechercheur vom Schreibtisch aus weitermachen. Investigative Reportagen/Beiträge lassen sich schon wiederholen - und wenn nicht - dann natürlich ausbauen. Gerade in diesem Bereich ist die Informations- und Materialsammlung manchmal so hoch, dass es gar nicht im Rahmen eines 8- bis 12-Minüters in einem Magazin abschließend versendet werden kann. In diesem Bereich muss man als Sender und als Produktion natürlich auch Mut aufbringen, jemandem mal auf die Füße zu treten und das kann dann auch Ärger nach sich ziehen. Wer also über eine Grenze gehen will und investigativ-journalistische Beiträge produziert, der darf nicht gleich einknicken, nur weil ein Brief vom Anwalt kommt.
Der neue META-Chef Matthias Pfeffer hingegen, sieht in solchen journalistischen Angeboten eine Chance, sich von Streaming-Plattformen abzuheben. Dabei sind es aber gerade auch viele digitale Medien, die zuletzt für Enthüllungen gesorgt haben. Wie gefährlich werden das Web und Web-Channels auch für Formate wie «akte»?
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Ich habe mich natürlich auch mit der Idee auseinandergesetzt investigative Reportagen, „ohne Senderwünsche“, ausschließlich für das Internet zu produzieren. Auf kurz oder lang wird das sicher auch die Zukunft sein. Doch diese Entwicklung wird schon seit Jahren prognostiziert und bisher ist da jedoch journalistisch nicht wirklich viel passiert. Nicht in Deutschland. Dabei muss man, meiner Ansicht nach, natürlich auch verstehen, dass gerade die junge Zielgruppe unproblematisch auf Berichte und Reportagen aus USA und Großbritannien über das Internet zugreifen kann und das auch tut.
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Daniel Lange über das Zukunftsmodell Internet
Ich habe mich natürlich auch mit der Idee auseinandergesetzt, investigative Reportagen, „ohne Senderwünsche“, ausschließlich für das Internet zu produzieren. Auf kurz oder lang wird das sicher auch die Zukunft sein. Doch diese Entwicklung wird schon seit Jahren prognostiziert und bisher ist da jedoch journalistisch nicht wirklich viel passiert. Nicht in Deutschland. Dabei muss man, meiner Ansicht nach, natürlich auch verstehen, dass gerade die junge Zielgruppe unproblematisch auf Berichte und Reportagen aus USA und Großbritannien über das Internet zugreifen kann und das auch tut. Diesen Zuschauern, die unproblematisch alles zu sehen bekommen, muss man als TV-Format schon etwas bieten.
Das wiederum funktioniert nur über mutige Reporter, die das dann auch entsprechend transportieren können. Ein entsprechendes TV-Format muss einen Mittelweg finden und alle Zuschauergruppen abdecken. Wäre ich noch bei der «akte», wäre ich sicher schon irgendwie mit einem Flüchtlingsboot und versteckter Kamera über das Mittelmeer geschippert und hätte ein paar interessante Eindrücke gesammelt. Sowas vermisse ich, gerade bei diesem Top-Thema, aktuell etwas. Etwas, was uns diesen armen Menschen näher bringt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass investigative Reportagen oftmals recht zeitintensiv und damit auch kostspielig sein können. Eine solche Produktion muss bezahlt werden. Investigative Reportagen funktionieren nur über erfahrene Reporter/Reporter-Teams, die alle Produktionswege im Grunde allein abdecken können.
Man muss selbst mit einer Kamera umgehen und drehen können. Ansonsten wird das schnell eine Kostenfalle, wenn man 14 Tage mit einem gebuchten EB-Team unterwegs ist. Der Druck wird enorm, wenn man in diesem Zeitfenster nichts erreicht. Es soll Produktionen geben, die sich sowas noch leisten - aber nicht im Privat-TV. Aktuell sehe ich es eher als schwierig an, ein investigatives Format für das Internet zu produzieren. Es würde mit Sicherheit funktionieren, aber da muss man bereit sein Geld in die Hand zu nehmen, wenn man das als freistehende Produktion aufbauen will.
Hinsichtlich der «akte» ist mir nicht ganz klar, warum man da diesen Vorstoß nicht wirklich unternimmt, zumal die Strukturen dafür da sind. Andererseits hat die Redaktion gerade andere Sorgen, als den Schritt ins Internet wirklich zu vollziehen. Es müsste dazu einen gesonderten Zweig innerhalb der Redaktion geben, der ausschließlich den Web-Auftritt redaktionell übernimmt,- auch losgelöst von der TV- Sendung. Ich wünsche Herrn Pfeffer auf diesem Wege viel Glück und natürlich Erfolg in seinem neuen Job. Ganz leicht wird es nicht. Richtig ist jedoch, dass Herr Pfeffer, als neuer Geschäftsführer, mit Sicherheit ein anderes Verhältnis zu einer journalistischen Redaktion haben wird, als seine Vorgänger. Aber damit ist es allein nicht getan. Wenn er einen Tipp braucht, kann er mich gern auf einen Kaffee einladen.
Eine andere Richtung verfolgt in diesen Tagen ja die RTL-Gruppe mit Formaten wie «Echtzeit», «Vice» oder auch «Wallraff». Sind das löbliche Entwicklungen?
RTL macht in dieser Hinsicht eigentlich alles richtig und das sieht man ja auch. Richtig ist der Vorstoß mal etwas zu versuchen, sich auf etwas einzulassen und es nicht gleich wieder über Bord zu werfen. «Wallraff» ist eine sehr aufwendige, riskante Produktion und steht völlig frei. Das Konzept geht auf und es ist völlig egal, ob da die Quoten nicht immer in die Atmosphäre aufsteigen. Ob «Vice» wirklich das richtige für RTL II ist, weiß ich nicht genau. Bisher waren da, glaube ich, nur wenige deutsche «Vice»-Produktionen dabei. Ich kenne «Vice» mittlerweile ganz gut und habe in diesem Jahr, schon kurz mit „Vice Deutschland“ zu tun gehabt, sowie mit Robert King, der US-«Vice»-Reporterlegende, davon losgelöst, an einem Projekt gearbeitet. «Vice» lässt den Spielraum, den investigative Journalisten benötigen und, nach meiner Erfahrung, lässt man sich da auch nicht reinreden. Die machen ihr Ding - ob das der RTL-II-Zuschauer annimmt und würdigt, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß aber aus Gesprächen mit der «Vice»-Chefredaktion, dass viele alteingesessene TV-Journalisten mit «Vice» zusammenarbeiten wollen, weil sie da die Möglichkeit sehen, sich zu verwirklichen.
Es wirkt einfach freier … ob es das ist, wird sich irgendwann zeigen. «Vice» wird aber, meiner Meinung nach, nicht drum herum kommen, sich auf gewisse TV-Standards einzulassen, um dauerhaft in der deutschen TV-Landschaft bestehen zu können.
«Echtzeit» hingegen legt bei RTL II gerade einen ziemlichen Flop hin.
Auch «Echtzeit» ist ein interessantes Format. In der Entstehungsphase war ich, Ende letzten Jahres, mit Tom Zwissler im Gespräch und weiß daher von der guten Idee, die dahinter steht. Trotzdem glaube ich, dass man auch hier mal langsam einen echten Knaller senden muss, mit dem der Zuschauer auf das Format aufmerksam wird und es seine Daseinsberechtigung erhält. Trotzdem ist das eine gute Entwicklung und es zeigt ja, dass solche Formate immer noch angenommen werden und auch wichtig sind.
Welche Projekte stehen bei Ihnen in den nächsten Monaten an?
Natürlich werde ich die Produktion meiner beiden eigenen Reportagen nicht aus den Augen verlieren und daran noch weiter arbeiten. In den nächsten Wochen wird das fertig sein. Ich bin hier recht aufgeschlossen, wenn sollten Produktionen Interesse haben. Daneben habe ich etliche neue Formate auf der Festplatte und werde sie nach und nach anbieten. Die Musikvideo-Produktion macht Spaß und ist mal etwas völlig anderes. Für das neue Format, das an Endemol Shine ging, schrieb ich 18 Drehbücher. Auch etwas Neues für mich. Ich habe jeden Tag eine neue Idee und deshalb kann ich gar nicht sagen, wohin die Reise gehen wird.
Danke für das Interview.