«ZDF-Fernsehgarten»: Das alles ist Deutschland

Die «Fernsehgarten»-Saison geht zu Ende - mit gesunkenen Quoten, aber einer Gute-Laune-Stimmung wie vor 20 Jahren. Über ein TV-Unikat, dessen Zeit eigentlich vorbei scheint. Und das gerade deswegen so erfolgreich ist.

Zur Person: Andrea Kiewel

'Kiwi' wuchs in der DDR auf und wurde in ihrer Jugend zur Leistungsschwimmerin ausgebildet. 1990 begann sie ihre ersten TV-Versuche beim DDR-Fernsehen, nach der Wiedervereinigung arbeitete sie für den Berliner Privatsender FAB. Ab 1993 wurde sie überregional bekannt als Gesicht des «Sat.1 Frühstücksfernsehens», das sie bis zum Jahr 2000 moderierte. Es folgte der Wechsel zum «ZDF-Fernsehgarten». Im Jahr 2007 gab Kiewel zu, Schleichwerbung für die Marke Weight Watchers gemacht zu haben.
Kiwi hat es in einem Interview 2014 auf den Punkt gebracht: „Der «ZDF-Fernsehgarten» ist für mich eine große Samstagabend-Show – nur eben am Sonntagvormittag.“ Kiwi, das ist Andrea Kiewel, Moderatorin dieser sonntäglichen Samstagabend-Show seit dem Jahr 2000. Sie präsentiert Spiele, Musik, Wettkampf, Tipps für Heim, Garten, Küche. Ein bisschen wirkt es, als wäre man aus der Zeit gefallen, wenn man am Sonntagmorgen um 11 Uhr den Fernseher einschaltet. Viel verändert hat sich seit dem Start der Sendung vor knapp 30 Jahren nicht – und darauf scheint man stolz zu sein. Wenn Zuschauermassen in Regenponchos am Lerchenberg sitzen, wenn Kinder auf der Bühne herumlaufen, wenn Männer ihr erstes Frühschoppen-Bier trinken und Bratwurst verschlingen, dann ist «Fernsehgarten»-Zeit. Es ist eine Show mit unvergleichbarem Selbstverständnis. Und eine, die es wert ist, gesehen zu werden. Sie porträtiert ein Stück Deutschland.

Ein Großteil dieses Erfolgs im heutigen veränderten Fernsehzeitalter ist Moderatorin Andrea Kiewel zu verdanken. Sie ist die Frohnatur des TV-Sommers, und sie prägte seinen Erfolg: Als Kiewel 2008 durch einen anderen Moderator ersetzt wurde, sanken die Quoten. Ein Jahr später kehrte sie zurück, das Format erholte sich schnell. Mit dem Zweiten lacht man besser, könnte der ZDF-Slogan am Sonntagvormittag ab 11.00 Uhr auch heißen. Rund zwei Millionen Menschen schauten im vergangenen Jahr zu, vor allem aber auch jüngere Zuschauer: Bei den 14- bis 49-Jährigen, die das ZDF gern verschmähen, holt man weit überdurchschnittliche Marktanteile. Die Quoten sanken in diesem Jahr allerdings ab, vor allem gegen Ende des Sommers. Zuletzt waren sogar der direkte Konkurrent «Immer wieder sonntags» sowie das ZDF-Nachfolgeprogramm «Bares für Rares» beliebter als die Live-Show.

Man muss also differenzieren: Warum ist der «Fernsehgarten» insgesamt gesehen so erfolgreich, aber weshalb gingen gerade in diesem Jahr einige Zuschauer verloren? Insgesamt gesehen hat das ZDF es geschafft, das deutsche Volksbild in der Show punktgenau abzubilden. Ein bisschen hetero-normativ, ein bisschen familiär, ein bisschen Competition, ein bisschen Party – aber nur gepflegt und geplant. Eine Nation feiert sich hier selbst, mit der Betonung auf eine: Im Fernsehgarten vermischen sich nicht nur Musikgenres oder Themen, sondern auch Ost und West. Kiwi, ein DDR-Kind, lässt zwei Stunden lang alle Unterschiede vergessen. Die Show ersetzt außerdem ein wenig das, was die Moderatorin mit Samstagabend-Atmosphäre meint: Auch hier treten mehr oder weniger große Stars auf, zumindest ist der «Fernsehgarten» ein Happening und bisweilen auch Gesprächsthema. Shows wie die zu den 90er Jahren oder zu den Gameshow-Klassikern kommen gut an. Zum Job gehört, auch belächelt zu werden: Kiewel wurde als „Duracell-Hase im Körper von Mutter Beimer“ (Welt) bezeichnet, die Sendung nannte man einen „bizarren Mix aus Bundesgartenschau und musikalischem Allerlei“ (FR). Oder zusammengefasst: „Happy auf dem Hopsy-Hügel“ (FAZ).

Die bunte Mischung für alle Gruppen, ob jung oder alt, hier funktioniert sie vielleicht doch noch, während am Samstagabend die Konkurrenz mit Alternativangeboten zu groß wurde – ob on- oder offline, ob vor dem Bildschirm oder im echten Leben. „Was wir machen, ist zielgruppenübergreifend“, sagte Redaktionsleiter Christoph Hillenbrand einmal gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Solche Sätze kannten wir sonst eigentlich nur noch von Samstagabendshows. Seitdem diese ausgestorben sind, hört man auch das Wort „zielgruppenübergreifend“ kaum noch. Ebenso ist der Live-Faktor im Erfolgskonzept nicht zu unterschätzen, denn der Anteil an live produzierten Shows sinkt stetig. Gerade in Zeiten sozialer Netzwerke und des digitalen Lagerfeuers können Live-Produktionen punkten, weil sie eine Event-Atmosphäre schaffen. Am Sonntagmorgen, wenn die Konkurrenz sowieso geringer ist, haben solche Konzepte einen vergleichsweise leichten Stand.

Warum aber gehen nun Zuschauer verloren? Fakt ist, dass bestimmte Sendungen sehr gut laufen, einige weniger gut. Da der «Fernsehgarten» seit einigen Jahren sein Konzept auf Mottoshows ausgerichtet hat, ist immer wieder ein Anpassungsprozess notwendig: Welche Themen interessieren mehr, welche weniger, wo kann man aktuell bleiben? Ausschläge nach oben und unten sind bei den Quoten klar zu beobachten, so lief der Gameshow-Fernsehgarten in dieser Saison zum dritten Mal erfolgreich, der Urlaubs-Fernsehgarten im Juli hatte die höchsten Zuschauerzahlen. Vergleichsweise gefloppt sind dagegen Experimente wie der „Very british“-Fernsehgarten und der ESC-Fernsehgarten. Es ist also nicht generell das Format, das das Publikum abschalten (oder einschalten) lässt, sondern vor allem bestimmte Themen.

Zweitens hat die Show mehr Konkurrenz bekommen durch Stefan Mross und «Immer wieder sonntags», das seit Mai nun eine volle Stunde direkt gegen den «Fernsehgarten» programmiert wurde. Bisher überschnitten sich die beiden Live-Shows um lediglich eine halbe Stunde. «Immer wieder sonntags» konnte zuletzt deutlich Quote gewinnen, das ZDF-Format gab dagegen Zuschauer ab. Hinter den Kulissen gibt es längst eine Art Kampf um den Sonntagvormittag. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler reagierte gereizt auf die Verlängerung des ARD-Formats, sprach von Verzweiflungstaten der Konkurrenz. „Die ARD opfert auf der Suche nach besseren Quoten alle guten Vorsätze und Abmachungen“, erklärte er im Frühjahr gegenüber DWDL.de. Allerdings ist die Umprogrammierung ihrerseits eine Reaktion auf den Ausbau der Marke «Fernsehgarten»: Mittlerweile sendet man nicht mehr nur im Sommer, sondern auch im Frühling, Herbst und Winter unter der Marke «Fernsehgarten on tour». Die Sendung endet seit einiger Zeit erst um 13.15 Uhr. Auf über 30 Sendewochen kommt das Kiewel-Format damit im Jahr, von denen rund zwei Drittel auf die klassische «Fernsehgarten»-Saison fallen. Generell ist der öffentlich-rechtliche Streit um die Sendezeiten vor allem: peinlich und überflüssig. Und überhaupt nicht im Interesse der Beitragszahler.

Es ist jedoch zu vermuten, dass der Konkurrenzkampf weitergehen wird – und 2016 einen Höhepunkt erreicht, da «Immer wieder sonntags» sich nun auch am späten Vormittag etabliert hat. Das ZDF wird reagieren wollen: mit nuancierten Änderungen am «Fernsehgarten»-Konzept, mit neuen Mottos, vielleicht mit einer Verjüngung, um sich von der deutlich älteren Mross-ARD-Zielgruppe abzugrenzen. In der Krise ist der «Fernsehgarten» jedoch noch keinesfalls. Auch 2016 wird der Lerchenberg wieder zur Pilgerstätte einer ganzen TV-Nation. Und Kiwi, sie wird alles weglächeln – den Mainzer Regen, die schlechte Laune, die kleinen und großen Pannen. Mit Sicherheit aber auch die gesunkenen Quoten.
21.09.2015 14:33 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/80822