«Scream Queens»: Einmal Mensch, recht blutig bitte

Wer dachte, dass «American Horror Story» von Ryan Murphy schon abgedreht ist, wird nun eines besseren belehrt: Seine neue Serie «Scream Queens» verarscht das Genre nach allen Regeln der Kunst. Und entscheidet sich leider nicht zwischen Comedy und Story.

Cast & Crew

  • Creators: Ryan Murphy, Brad Falchuk, Ian Brennan
  • Darsteller: Emma Roberts, Skyler Samuels, Lea Michele, Glen Powell, Diego Boneta, Jamie Lee Curtis u.a.
  • Regie: Murphy, Falchuk, Brad Buecker, Michael Uppendahl u.a.
  • Executive Producers: Alexis Martin Woodall, Dante Di Lorento, Murphy, Falchuk, Brennan
  • Produktion: 20th Century Fox u.a.
TV-Produzent Ryan Murphy hat pro Folge mindestens einen Mord versprochen, in der ersten gibt es sogar ganze drei an der Zahl. Und entsprechend viel Blut. Für eine Serie im klassischen Network-Fernsehen geht «Scream Queens» an die Grenzen: „Zeigen die das jetzt wirklich?“, fragt man sich als Zuschauer oft. Und ja, sie zeigen es wirklich, in aller Detailtreue. Verbrannte Hautschichten, die heruntergerissen werden, ätzende Säure, die das Gesicht zerfallen lässt, und viel mehr. In Sachen Mord ist «Scream Queens» durchaus kreativ. In anderen Dingen leider nicht so sehr.

Die Serie spielt an der fiktiven Wallace University, dort genauer bei Kappa Kappa Tau, einer Studentinnenverbindung. Die sogenannten sororities sind in US-Colleges durchaus üblich und gehören zum Alltag der Studierenden. Man engagiert sich für gemeinnützige Zwecke, feiert zusammen, verbringt Zeit miteinander. Kappa Kappa Tau ist legendär, hat einen mystischen Ruf. Anführerin Chanel regiert mit harter Hand, ihre Gefolginnen kennt sie erst gar nicht beim Namen, sie nummeriert sie einfach durch: Chanel Nummer 2, Chanel Nummer 3, Nummer 5. Nummer 4 sei irgendwann eines mysteriösen Todes gestorben, sagt sie. Das Leben im Kappa-Haus ist schwer, wenn man nicht Chanel heißt. Die Haushälterin – stereotyp dick und alt – schrubbt den Boden mit winzigen Barbie-Zahnbürsten und lässt sich abfällige Sprüche gefallen.

Unter Chanel ist Kappa zuletzt jedoch in Verruf geraten: Die Verbindung sei geprägt von Rassismus, Alkohol- und Drogenmissbrauch und – Sodomie. So zumindest zählt es Cathy Munsch auf, neue Dekanin der Universität. Ihr sind die sororities ein Dorn im Auge, besonders Kappa Kappa Tau. Sie glaubt, dass die Verbindungen junge Mädchen verderben. „All das, was an Frauen heutzutage falsch ist, repräsentierst du“, sagt Munsch Chanel ins Gesicht. Doch da sie die Institution nicht schließen kann, beschließt sie kurzerhand, dass Kappa ab sofort frei zugänglich für alle und jeden ist. Das elitäre Leben ist plötzlich vorbei. Neue Mitglieder lassen nicht lange auf sich warten: die Lesbe mit Patriarchats-Komplex, die mit dem verstauchten Genick, der taube Taylor-Swift-Fan, die adipöse Kerzen-Vloggerin (!). Ja, die Serie ist so abgedreht. Und das ist erst der Anfang.

«Scream Queens» orientiert sich nicht an Konventionen, schon gar nicht an der political correctness. Minderheiten werden gnadenlos diskriminiert, hässliche Gesichter ebenso. Das alles geht, weil das Format selbst als durchgängige Satire daherkommt. Eine Art Meta-Meta-Humor schafft «Scream Queens», weil es so vorkommt, als parodiere man nicht nur Horrorfilme, sondern auch noch deren Parodien. Sprich: Eigentlich ist das Ryan-Murphy-Format eine Antwort auf solche Filme wie «Scream» oder «Scary Movie». Willkommen in der Post-Postmoderne des Serienzeitalters.

Wer sich im Genre ein wenig auskennt, wird damit riesigen Spaß haben. Das blutige Spiel bei Kappa Kappa Tau ist erfrischend anzusehen, auch wenn die Story selbst kaum besticht. Dafür funktionieren die meisten Gags, ebenso für Nicht-Kenner des Horrorfilms. «Scream Queens» beweist Fingerspitzengefühl und ist überdreht genug, dass man es lustig finden kann. Und längst nicht platt wie fast alle Spoof-Filme der jüngeren Zeit. Die Charaktere sind wunderbar überzeichnet und repräsentieren die Art popkulturell aufgeklärter Hip-Gören, für die das Smartphone schon ein Teil ihrer verdorbenen Persönlichkeit geworden ist. Fast alle sind unsympathisch, einzige Ausnahme ist Grace (Skyler Samuels), die Neue an der Uni, die als Identifikationsfigur für den Zuschauer funktioniert. Die anderen: affektiert, überdreht, emotional verkrüppelt. Eine Ansammlung von Stereotypen. Und wunderbar porträtiert von Schauspielerinnen wie Emma Roberts, Lea Michele, Ariana Grande, Jamie Lee Curtis. Eine Star-Riege, die sich dankenswerterweise für dieses einmalige Serien-Feuerwerk zusammengefunden hat.

Ein wenig Story gibt’s zwischendurch auch noch: Nachdem Kappa Kappa Tau seine Tore für jeden öffnen musste, treibt plötzlich ein Killer sein Unwesen im Haus. Verkleidet als Teufel mit roter Maske macht er Jagd auf die Mädchen. Dabei gerät bald auch Dekanin Munsch in Verdacht – sie scheint einen Mord vor 20 Jahren, anno 1995, vertuscht zu haben. Was waren, was sind ihre Motive? Grace – die einzig vernünftige unter den selbstverliebten Kappa-Mitgliedern – will der Sache auf den Grund gehen und gerät selbst immer stärker in die Schusslinie.

Ryan Murphy hat bereits erklärt, dass der Mörder erst in der finalen Folge bekannt gegeben wird. Standesgemäß spielt «Scream Queens» mit dem Rätselraten der Zuschauer: Mehr als plakativ rückt man immer wieder verschiedene Charaktere in den Blickpunkt und inszeniert sie – bewusst plump – als vermeintlichen Täter. Trotz all der Satire fragt man sich irgendwann tatsächlich, wer denn der wirkliche Teufelsmörder ist, was seine Motive sind. Dank Ryan Murphy können wir uns als Zuschauer darauf verlassen, dass die Auflösung eine gute sein wird – und wohl ziemlich abgedreht.

Insgesamt aber lebt «Scream Queens» nicht von der Story, sondern als wunderbare Comedy. Viel zu schnelle Kamerafahrten, viel zu viel Zoom, immer andere Kameraeinstellungen, billiger Synthie-Pop im Hintergrund – audiovisuell überzeichnet die Serie ebenfalls konsequent. Die Kostüme sind extrem ausgeschmückt, generell gefällt das Setting. Die Serie ist eine bizarre Kreuzung aus «Glee» und «American Horror Story», die fast zu schade für das gewöhnliche Network-Fernsehen ist, wo sie in den USA ausgestrahlt wird. Denn «Scream Queens» ist stark und erfrischend, aber Nische. Vier Millionen Zuschauer gab's zur Premiere, wahrscheinlich werden es weniger werden. Man sollte «Scream Queens» genießen, solange es existiert. Immerhin: Nach 15 Folgen wird die Geschichte um Kappa Kappa Tau sowieso zu Ende sein, Cliffhanger hat man nicht zu befürchten. Typisch Ryan Murphy eben.
25.09.2015 12:27 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/81000