Sie ist die meistgesehene Nachrichtensendung des Landes. Die «Tagesschau» sieht sich immer mehr dem Drang ausgesetzt, moderner zu werden. Ist das aber überhaupt nötig? Und stimmt es, dass kaum einer die Berichte versteht?
Gewichtung der Themen
- Politik: 75%
- Sport: 21%
- Wetter: 4%
*Sendungen von Sonntag bis Dienstag im Durchschnitt
Seit rund 63 Jahren informiert die
«Tagesschau» Abend für Abend im Ersten Deutschen Fernsehen das deutsche Volk über die wichtigsten Infos des Tages. 15 Minuten lang, verlässlich, seriös. Aber eben auch ziemlich eingestaubt. Manche – darunter auch bekannte Ex-Sprecher des Formats – kritisieren, dass die Sendung zu wenig erkläre, zu viel Wissen voraussetze und somit für einige ihrer Zuschauer unverständlich sei. Immer wieder tauchte die Forderung auf, in der Produktion nicht weiter auf klassische Sprecher zu setzen, sondern sie zu Moderatoren im Stile von Claus Kleber zu machen.
Die Redaktion von ARD-aktuell, für die Nachrichten im Ersten verantwortlich ist, aber will die Modernisierung ihres Nachrichtenflagschiffs langsam von Statten gehen lassen. Markantestes Beispiel, zugleich aber auch Unwichtigstes, war eine am Wochenende vorgenommene Änderung in der Abmoderation. Was im ZDF oder bei den Privaten längst Usus ist, hält nun auch um 20.14 Uhr im Ersten Einzug. Der Nachrichtensprecher wird vom Zuschauer nicht mehr durch einen Tisch getrennt. Die räumliche Distanz zwischen Vermittler und Empfänger wird also zumindest am Schluss aufgelöst.
Screenshot ARD
Es ist die neue Beinfreiheit der «Tagesschau»-Sprecher: In der knappen halben Minute, in der auf die Themen der später laufenden «Tagesthemen» hingewiesen wird, sind die Beine der Sprecher/in im Anschnitt zu sehen. Danach fährt der Kamerakran vom Sprecher weg und gibt die Seitenansicht des Sprecherpults sowie das komplette Bein frei. Was wie ein kleiner Schritt klinge, sei für die «Tagesschau» ein großer, sagte kürzlich dessen Chefredakteur Dr. Kai Gniffke.
Die Boulevard-Blätter sorgten sich schnell, dass Jens Riewa und Co. künftig nicht mehr Jeans arbeiten könnten, sondern nun flotte Stoffhosen zum Sakko nötig wären. Das aber dürfte in der Redaktion wirklich kaum jemanden interessieren. Viel mehr ist es ein erster Schritt hin zu einer modernen Machart, die – Gott sei Dank – sich nicht nur in der Optik zeigt (das neue Nachrichtenstudio ist inzwischen rund eineinhalb Jahre im Einsatz), sondern auch in der inhaltlichen Aufmachung. Für mehr „Beinfreiheit“ und Beweglichkeit um 20.00 Uhr wäre es in diesem Herbst sicherlich noch zu früh. Spätestens 2016 sollten sich die Macher aber trauen, dass die Sprecher sich auch im Studio etwas mobiler zeigen und mit Hilfe der großen Monitore an der Rückwand Grafiken im realen Set nutzen können.
Das würde Erklärungen oder (geografische) Einordnungen zusätzlich unterstützen. Apropos Erklärungen: Die Sendung vom Sonntag war da schon ein Paradebeispiel dafür, wie eine solche «Tagesschau»-Ausgabe inzwischen aufgeteilt ist. Gestrichen wurden etwa die zahlreichen kurzen Berichte, die völlig ohne Anmoderation einfach einer vom Sprecher verlesenen News folgten und somit für eine ziemlich harte Kante sorgten. Allgemein wird auf die ein oder andere Kurzmeldung verzichtet, um die zentralen Themen ausführlicher zu behandeln. Der Sendungsaufmacher ist meist ein rund zweimintüger Film über das wichtigste Thema des Tages. Sowohl am Sonntag als auch am Montag war das der EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise. Viel wichtiger und zentraler als die eigentliche MAZ war aber eine anschließende Einschätzung des Reporters Rolf-Dieter Krause direkt von Vor Ort.
Er war somit einer der ersten deutschen Journalisten, die – während des noch laufenden Gipfels – schon von der später so viel zitierten katastrophalen Stimmung bei den Teilnehmern sprachen und einen „16-Punkte-Plan“ (aus dem letztlich ein „17-Punkte-Plan“ wurde) ins Spiel brachte. Bei solchen Komplexen setzt die «Tagesschau» mittlerweile deutlich mehr auf Grafiken als früher. Auch in diesem Punkt waren die News-Sendungen der Privaten wohl Vorbild. Die wichtigsten Ergebnisse des Sondertreffens der EU präsentierte die Sendung auch noch einmal in Wort und Bild – wohl gemerkt nicht alle 17 Vorhaben, sondern nur die Bedeutendsten.
Weitere Themen am Sonntag waren Parlamentswahlen in Polen (auch hier wurde der Rechtsrutsch frühzeitig vorhergesagt) sowie die Wahlen in Argentinien. Auch ein Bericht von der Hogesa (Hooligans gegen Salafisten)-Demo fand seinen Platz – hier ließ die «Tagesschau» Teilnehmer der Kundgebung (zu?) ausführlich zu Wort kommen. Diesen Punkt hat man sich eventuell von der privaten Konkurrenz abgeschaut. Auch in der Montags-Ausgabe gab es eine solche MAZ, die quasi die Nähe zu den Betroffenen vermitteln sollte. Hier ging es dann um ein Projekt in Calw (Baden-Württemberg), in dem in einer Werkstatt Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt fit gemacht werden sollen.
Neben solchen „unmittelbar Betroffenen“ ist die «Tagesschau» aber weiter das Zuhause für die deutsche Politik. Angela Merkel spielt weiterhin tagtäglich eine zentrale Rolle, aber auch die Spitzen der anderen Parteien dürfen ihren Standpunkt allabendlich verdeutlichen. Im Montag war die zweite MAZ sehr ausführlich den Reaktionen auf den EU-Gipfel gewidmet. Sowohl die immer etwas anders tickende CSU, die in Bayern vielleicht das Zünglein an der Waage in der Flüchtlingskrise werden könnte, bekam ausreichend Raum als auch die Opposition (in diesem Fall die Grünen).
Garniert wurde die erste «Tagesschau»-Hauptausgabe der neuen Woche dann mit einem Bericht über einen zugesicherten Miliitäreinsatz im Irak und kurze Informationen zum Erdbeben in Afghanistan und Pakistan.
Man könnte fast meinen, die «Tagesschau» ist im Jahr 2015 angekommen. Doch die Herausforderungen bleiben groß, denn die Anforderungen haben sich in Zeiten von Twitter und Co. drastisch geändert. Es geht eben nicht mehr nur um die bloße Vermittlung von Grundinformationen. Für die hat man heute eben internetfähige Handys. Die Einordnung und Erklärung wird immer größer geschrieben – und genau diese Anforderung wird den «Tagesschau»-Chefs noch das ein oder andere graue Haar verschaffen. Wie grenzt man sich als klassische Nachrichten-Sendung auch weiterhin von den erklärenden «Tagesthemen» (oder in diesem Punkt dem Primus «heute-Journal») ab?
Unter dem Strich aber steht fest, dass die ARD mit ihrer wichtigsten Sendung mittlerweile deutlich vitaler und zeitgemäßer daher kommt als noch vor zwei oder drei Jahren. Ob jede Sendung wirklich elf Minuten Politik braucht, steht dabei auf einem anderen Blatt. In Zeiten wie diesen sicherlich. Das gilt auch für den rund 20-prozentigen Sportanteil, der in Zeiten, in denen die prekäre Situation rund um FIFA und DFB geklärt ist, sicherlich wieder heruntergefahren wird. Doch ist zu hoffen, dass die Zukunft auch mal wieder eine entspanntere weltpolitische Lage mit sich bringt. Die «Tagesschau» wird darüber berichten – und hoffentlich noch mehr erklären, wieso das passiert. Ganz egal ob mit Beinfreiheit oder ohne.