Alle Jahre wieder: Radiosender und ihr Verhältnis zu «Last Christmas»

Die Musik-Chefs von Antenne Bayern, SWR3, Radio ffn, PULS, Bayern 3 und Radio Hamburg erklärten gegenüber Quotenmeter.de, was sie vom Dauerbrenner halten und wie sie ihn um die Weihnachtszeit einsetzen.

Welche Radio-Verantwortlichen sich gegenüber Quotenmeter.de äußerten

  • Uli Frank, Musikchef SWR3
  • Ina Tenz, Programmdirektorin radio ffn
  • Robert Morawa, Musikchef BAYERN 3
  • Tanja Ötvös, Head of Music Radio Hamburg
  • Axel Barton, Redaktionsleiter Musik ANTENNE BAYERN
  • Christoph Lindemann, Musikchef PULS
„Last christmas, I gave you my heart, but the very next day, you gave it away.“ Kaum eine Person, die diese berühmten Zeilen des ‚Wham!‘-Klassikers „Last Christmas“ liest, kann verhindern, dass im Kopf die allzu vertraute Melodie ertönt. Tatsächlich erzeugen nur die Weihnachtsfeiertage alljährlich eine ganz eigene Dynamik, die sich nicht nur im Bestand von Supermärkten äußert, sondern auch im Radioprogramm. Längst ist es Tradition, dass zum Wintereinbruch wieder die vertrauten Stimmen im Radio ertönen, die das Weihnachtsfest besingen und alles, was Menschen damit verbinden. Dazu gehört seit 1984 auch die poppige Herzschmerz-Ballade „Last Christmas“. Der Song über eine verflossene Liebe gilt als bekanntester Weihnachtshit und das nicht ohne Grund: Noch immer klettert das Synthie-Pop-Machwerk um die Weihnachtszeit in den Single-Charts weit nach oben. Zahlreiche Coverversionen waren die Folge des beispiellosen „Wham!“-Erfolgs.

Wie kaum eine andere Komposition polarisiert das von George Michael geschriebene Lied jedoch. Häufig beklagen Radiohörer unter anderem, wie früh im Jahr Stationen „Last Christmas“ erstmals spielen. Obwohl das Lied bereits Mitte November auf ausgewählten Radiosendern allgegenwärtig wirkt, stehen die Musikchefs großer deutscher Radio-Stationen ganz unterschiedlich zum Lied, das es seit 1997/1998 jedes Jahr unter die Top 50 der Charts schaffte. Dies beginnt mit der Vorgehensweise, wann es „Last Christmas“ im Jahresverlauf erstmals ins Radioprogramm schafft. Quotenmeter.de sprach mit Antenne Bayern, SWR3, Radio ffn, PULS, Bayern 3 und Radio Hamburg, um die verschiedenen Herangehensweisen der Sender zu identifizieren.

Am frühesten widmet sich im Kreise der gefragten Sender Radio Hamburg der Pop-Ballade. Schon am 23. November 2015 ertönte das Lied in der Hansestadt und Umgebung erstmals, erklärt Radio Hamburgs Head of Music Tanja Ötvös. Sonst ist sich der Rest der angefragten Sender relativ einig: SWR3 spielt das Lied ab Anfang Dezember im Rahmen seiner Rotation von Weihnachtshits, Bayern 3 und Radio ffn setzen ab dem ersten Advent auf „Last Christmas“ und andere Weihnachtssongs.

"Last Christmas" ist derart totgespielt, dass es von unserer Zielgruppe mehrheitlich ironisch wahrgenommen wird.
PULS-Musikchef Christoph Lindemann
Axel Barton, Leiter der Antenne Bayern-Musikredaktion, macht den Umgang mit dem Evergreen auch von äußeren Umständen abhängig und setzt dabei auf Flexibilität: „Es gibt in aller Regel keinen festen Startpunkt für „Last Christmas“. Wir versuchen in der Musikplanung immer die allgemeine Weihnachtsstimmung unserer Hörer zu berücksichtigen, was in erster Linie auch durch das Wetter bestimmt wird.“ Lediglich Christoph Lindemann, Musikchef von PULS, verschließt sich im Kreise der sechs Sender dem „Wham!“-Hit weitestgehend: „"Last Christmas" ist derart totgespielt, dass es von unserer Zielgruppe mehrheitlich ironisch wahrgenommen wird. In diesem Kontext wird es im Programm von PULS gelegentlich an- und in seltensten Fällen auch ausgespielt“, gibt Lindemann zu Protokoll. Davon, dass „Last Christmas“ um die Weihnachtszeit in keinem Radio-Programm fehlen dürfe, könne keine Rede sein, erklärt Lindemann stellvertretend für den bayerischen Jugendsender.

Ein deutlich positiveres Verhältnis unterhält BR-Kollege Robert Morawa zum Pop-Song. „Advent und Weihnachten ist eine Zeit der liebgewonnen Traditionen. Da gehört auch dieser Song dazu. Es ist sicher kein Zufall, dass der Song Jahr für Jahr wieder in die Single-Charts einsteigt“, findet der Bayern 3-Musikchef, der allerdings relativierend hinzufügt: „"Last Christmas" ist ja auch nicht der einzige Weihnachtshit, der jedes Jahr wieder gespielt wird. Genauso könnte man fragen, warum jedes Jahr an Weihnachten wieder ein Baum aufgestellt wird…“

„Der Song hat sich im Laufe der Jahre als Gassenhauer für Weihnachten etabliert, obwohl es eine ganze Reihe Songs gibt, die deutlich mehr Weihnachtsstimmung transportieren.
SWR3-Musikchef Uli Frank
Zwar habe sich „Last Christmas“ im Laufe der Zeit zu so etwas wie dem „Soundtrack der Vorweihnachtszeit“ entwickelt, bei Radio ffn-Programmdirektorin Ina Tenz weckt der Hit aber nicht nur angenehme Erinnerungen: „Beim Hören hat man quasi schon den Glühweinduft in der Nase, die weihnachtliche Vorfreude steigt… und ja, man denkt sich leider auch automatisch ‚verdammt, ich muss noch Geschenke besorgen‘!“ SWR3-Musikchef vermutet, dass zum Erfolg von „Last Christmas“ auch eine große Portion Zufall gehört. „Der Song hat sich im Laufe der Jahre als Gassenhauer für Weihnachten etabliert, obwohl es eine ganze Reihe Songs gibt, die deutlich mehr Weihnachtsstimmung transportieren. Hier hat sich etwas verselbstständigt!“, meint Frank.

Ganz objektiv betrachtet Antenne Bayerns Axel Barton die immer wieder neu aufkeimende Beliebtheit von „Last Christmas“ und sieht dabei nicht nur die Abhängigkeit von der Jahreszeit, sondern auch eine psychologische Komponente. „Es gibt in der Geschichte der Popmusik der letzten 20 bis 30 Jahre einige typische saisonale Songs, die eine hohe emotionale Bedeutung für die Hörerschaft haben und die sehr prägnant mit einer bestimmten Zeit des Jahres verknüpft sind. Dazu gehört Kate Yanais „Summer Dreaming“ für die Sommerzeit genauso wie eben „Last Christmas“ von Wham zur Weihnachtszeit.“ Diese Titel seien, so Barton, „mit bestimmten Erinnerungen und Gefühlen verknüpft, die – wenn sie zu einer ähnlichen Zeit des Jahres gespielt werden – diese abrufen und den Hörern ein gutes Gefühl geben.“

Die Chartplatzierungen von "Last Christmas"

  • 2010/2011: 23 (6 Wochen in den Charts)
  • 2011/12: 25 (7 Wochen)
  • 2012/13: 26 (5 Wochen)
  • 2013/2014: 30 (5 Wochen)
  • 2014/2015: 19 (5 Wochen)
Bei etlichen Radio-Hörern stößt das Lied aber auch auf große Abneigung. Häufig findet sich die Ursache dessen darin, dass Stationen schon auf das Lied vertrauen, wenn die Außentemperaturen sich sogar noch im zweistelligen Bereich bewegen. „Der Song polarisiert ganz klar, wir haben uns aber entschieden, ihn trotzdem – in Maßen – zu spielen“, entgegnet Tanja Ötvos auf die Frage, ob mit dem Spielen des Lieds auch die Gefahr einhergeht, dass Radio-Konsumenten, die es nicht mit „Last Christmas“ halten, künftig den Sender meiden. Radio ffn-Programmdirektorin sieht aufgrund der sendereigenen Herangehensweise keine Problematik: „Im Gegensatz zu anderen spielen wir Weihnachtsmusik erst ab dem ersten Advent und dann auch nicht übertrieben. Deshalb gibt es bei uns dazu keine Beschwerden.“

Auch SWR3s Uli Frank achtet explizit darauf, das Weihnachtslied seinen Zuhörern nicht zu früh näherzubringen. „Auf keinen Fall würden wir den Song bereits im Herbst ins Programm nehmen.“ Es genüge, ihn in den letzten Wochen vor Weihnachten spielen zu lassen. Franks Ansicht nach gibt es jedoch ohnehin eine „breite Palette von Weihnachtssongs, die sich breiter Popularität erfreuen“, so der Musikchef des öffentlich-rechtlichen Senders. Vorsicht lässt auch Axel Barton walten. Der Musikredaktionsleiter des meistgehörten Senders in Deutschland gibt an, dass es für Antenne Bayern grundsätzlich jedes Jahr aufs Neue wichtig sei, den Hörern die Weihnachtstitel zu liefern, die sie lieben. „Dass manche dieser Songs ein höheres Polarisierungspotential besitzen, berücksichtigen wir in der täglichen Musikplanung.“

Es stimmt, dass der Song nicht nur Fans hat. Der Vorteil, wenn ich den Song nicht mag: Nach Dezember ist auch wieder Schluss.
BAYERN3-Musikchef Robert Morawa
Die Aufregung von Radio-Hörern, die bemängeln, dass „Last Christmas“ schon zu früh im Jahr gesendet werde, kann Bayern 3-Mann Robert Morawa nicht ganz nachvollziehen: „Zu früh? Die Lebkuchen stehen schon deutlich früher in den Läden. Es stimmt, dass der Song nicht nur Fans hat. Der Vorteil, wenn ich den Song nicht mag: Nach Dezember ist auch wieder Schluss.“ Die deutliche Mehrzahl der Bayern 3-Hörer freue sich aber auf den Hit, deswegen halte sich die Gefahr in Grenzen.

Um ihren Hörern nicht Lieder zu servieren, denen selbige nicht positiv gegenüberstehen, bedienten sich einige Sender in den vergangenen Jahren auch der Strategie, ihr Publikum entscheiden zu lassen, ob polarisierende Lieder wie „Last Christmas“ überhaupt gespielt werden sollen und wie frequentiert. Schon im Oktober fragte Bayern 3 im Rahmen einer Morningshow seine Zuschauer, ob „Last Christmas“ bereits gespielt werden solle. Zum Wintereinbruch 2015 hin verzichten die sechs gefragten Sender jedoch auf größere Aktionen oder Hörervotings. Bayern 3 und Antenne Bayern verneinten, auch SWR3 gab an, keine Aktionen diesbezüglich zu planen. Der Song rage auch nicht aus der von der Musikredaktion bestückten Weihnachtsliste heraus, so Uli Frank, während Radio ffns Ina Tenz betonte, dass der Titel einfach dazu gehöre. Vergangenes Jahr habe man bei Radio Hamburg die Hörer bestimmen lassen, ab wann der Titel gespielt wird, aber „dieses Jahr läuft der ‘einfach so‘ mit, sagt Tanja Ötvös.
25.11.2015 11:23 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/82232