Die Kritiker: «Tatort – Einmal richtig sterben»

Der neue «Tatort» aus München wäre lieber ein tragisches Psychodrama geworden, statt ein weiterer «Tatort»-Krimi.

Cast und Crew

  • Regie: Markus Imboden
  • Darsteller: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Ferdinand Hofer, Anna Drexler, Andrea Wenzl, Harald Windisch, Simon Schwarz, Lisa Wagner, Klaus Pohl, Ulrike Arnold, Adnan Maral, Olivia Pascal
  • Drehbuch: Dinah Marte Golch, Claus Cornelius Fischer
  • Kamera: Martin Farkas
  • Szenenbild: Christian Kettler
  • Schnitt: Susanne Hartmann
Aus einem Anstandsbesuch wird ein neuer Einsatz: Eigentlich wollen Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) bloß ihren obligatorischen, alljährlichen Besuch bei der Nervensäge Frau Wallner (Ulrike Arnold) hinter sich bringen, doch in ihrer direkten Nähe kommt es zu einem fatalen Familien-Drama: Michaela Danzer wird in ihrem Haus bei einem Schusswechsel tödlich verletzt, ihr Lebensgefährte Daniel Ruppert (Harald Windisch) wird schwer verletzt. Der sechsjährige Sohn des Paares (Florian Mathis) wird einige Zeit später schwer traumatisiert in einem Krankenhaus aufgefunden. Michaelas Ex-Mann Bernhard Helmbrecht (Simon Schwarz) steht zwar zunächst auf dem ersten Rang der Verdächtigenliste, kann den Kommissaren allerdings ein hieb- und stichfestes Alibi präsentieren.

Ihr Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) weißt die eingespielten Kommissare aus München während der Ermittlungsarbeiten auf einen 15 Jahre zurückliegenden Fall hin, der mit dieser rätselhaften Tragödie zusammenhängt: Ruppert hat seine damalige Frau und den gemeinsamen Sohn getötet und daraufhin versucht, sich selbst das Leben zu nehmen. Einzig die zu jener Zeit sieben Jahre alte Tochter Ella überlebte und tauchte anschließend unter. Nachdem Ruppert seine Haftstrafe abgesessen hat, fand er in Michaela Danzer sein Lebensglück, während Ella auch unter der neuen Identität Emma Meyer (Anna Drexler) hoch traumatisiert ist und ein einsames Leben führt …. Profilerin Christine Lerch (Lisa Wagner) hofft unterdessen, Rupperts Sohn etwas zu entlocken, aber er verschwindet plötzlich spurlos …

Der neue Fall des alteingesessenen Münchener Teams fällt voll und ganz in die Kategorie „Fernsehfilme, die darunter leiden, dass sie ein «Tatort» sind“: Anna Drexler spielt in ihrer leider relativ knapp bemessenen Auftrittszeit mit großer Sensibilität und umwerfendem Facettenreichtum eine junge Frau, die ihre traumatische Vergangenheit hinter sich lassen will – der es aber nicht gelingt. Und nicht nur die Performance Drexlers überzeugt, auch das Drehbuch von Dinah Marte Golch und Claus Cornelius Fischer trifft den Nerv – zumindest, so lange sich die Autoren auf Emmas Leidensgeschichte konzentrieren. Sie zeichnen, wenngleich leicht konstruiert, eine emotional plausible, dramatische und spannende Erzählung über die Überlebende einer blutigen Familientragödie. Doch das Potential, daraus ein fesselndes Psychogramm zu schöpfen, lassen sie liegen: Emmas Plotfaden ist nämlich bloß ein bemerkenswertes Element in einer überfrachteten Standard-«Tatort»-Produktion.

Jegliche Emotionalität, die dieser Neunzigminüter durch Emmas Geschichte entwickelt, zerfasert, weil obendrein noch der aktuelle Fall um Ruppert, der Mini-Fall des verschwundenen Sohns sowie das übliche Geplänkel zwischen den Ermittlern untergebracht werden wollen. Dass dieser «Tatort» obendrein die übliche „Wer war der Täter?“-Erzähldynamik nicht auslässt, statt sich stärker auf die Psyche Emmas zu fokussieren, nimmt dem Stoff weiteren Biss. Bedauerlich. Immerhin versteht es Regisseur Markus Imboden, die verbittere Traurigkeit, die Emma erfüllt, auf die Bildsprache zu übertragen, wann immer sich der Krimi um sie dreht.

Wenn «Tatort – Einmal richtig sterben» die Münchener Formel abhakt, wird derweil einmal mehr bemerkbar, dass die Sidekicks Lerch und Hammermann ungerechtfertigt zu kurz kommen: Eingeführt, um diese «Tatort»-Reihe zu verjüngen, ohne Nemec und Wachtveitl auszubooten, bleiben diese beiden Figuren reine Stichwortgeber, obwohl ihre Darsteller spürbar engagiert mit von der Partie sind. Die eigentlichen Aushängeschilder Batic und Leitmayr wiederum geben sich dieses Mal betont routiniert, auch, weil das Skript ihnen viele Erklärszenen, aber wenige charakteristische Momente gibt.

Fazit: In diesem Fließband-«Tatort» hat sich ein richtig gutes, tragisches Psychogramm versteckt, das allerdings nur phasenweise zur Geltung kommt.

«Tatort – Einmal richtig sterben» ist am 6. Dezember 2015 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
05.12.2015 11:54 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/82437