Die Kritiker: «Morgen hör ich auf»

Ein deutsches «Breaking Bad»? Nein, das wäre keine wirklich passende Beschreibung für die neue ZDF-Mini-Serie. Ein voller Erfolg ist sie trotzdem.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Bastian Pastewka als Jochen Lehmann
Susanne Wolff als Julia Lehmann
Janina Fautz als Laura Lehmann
Moritz Jahn als Vincent Lehmann
Katharina Kron als Nadine Lehmann
Georg Friedrich als Damir Decker
Torben Liebrecht als Rolf "The Wolf" Danneberg

Hinter der Kamera:
Produktion: Network Movie
Drehbuch: Martin Eigler, Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser
Regie: Martin Eigler
Kamera: Christoph Chassée und Christian "Buenos" Diaz
Produzenten: Bettina Wente und Wolfgang Cimera
Es dürfte ein Fehler gewesen sein, «Morgen hör ich auf» mit «Breaking Bad» zu vergleichen. Sei es auch noch so vorsichtig und angedeutet gewesen. Das weckt eine falsche Erwartungshaltung und beschwört all die Ungetüme herauf, die für nachgebaute bis abgeschaute bis leicht von amerikanischen Serien inspirierte deutsche Fiction charakteristisch sind. Die Anbiederung, die Gewichtsverlagerung von der Spitze in die Breite, die Gefälligkeit, die Wegsehbarkeit, die Austauschbarkeit, das elende Dumbing Down eines intellektuellen angelsächsischen Formats fürs deutsche Massenpublikum, das vermeintlich Gewohntes fordert und entsprechend Gewohntes kriegt.

Oder es impliziert, dass man hier zumindest im Ansatz eine Serie erwarten kann, die ähnlich vielschichtig, verschachtelt, ambivalent, intellektuell, dramaturgisch mitreißend und kompromisslos die existentiellen Themen verhandelt, die «Breaking Bad» viele Jahre lang aus allen möglichen Perspektiven und mit einer immensen narrativen Gerissenheit abgearbeitet hat.

Beide Beschreibungen bilden «Morgen hör ich auf» nicht ab. Weder ist die Serie eine herunter-gedummte, wegsehbare Amalgamierung aus Hallmarks des amerikanischen Fernsehens der Spitzenklasse, in der man sich am Geist des vermeintlichen Vorbilds vergangen hat. Noch ist sie ein erzähltes philosophisches Traktat, das Grenzen allgemein anerkannter ethischer Vorstellungen auslotet und die feinsinnige, in ihrer Dauer und ihrem Tiefengehalt opernartige Charakterwandlung eines Walter White erzählt, dass es selbst Anthony Hopkins vom Hocker hauen würde.

«Morgen hör ich auf» ist eine tolle Serie. Sofern man sie nach den ersten zwei von insgesamt fünf Folgen abschließend bewerten kann, die das ZDF den Journalisten vorab zur Verfügung gestellt hat.

Sie ist erst recht kein Nachbau von «Breaking Bad», sondern unabhängig von der amerikanischen Erfolgsserie entstanden. Hauptfigur Jochen Lehmann ist insofern auch kein deutscher Walter White. Statt einer schweren Krankheit plagen ihn andere Sorgen. Weniger lebensbedrohliche. Finanzielle. Denn als sich die förmlichen Zustellungen in der Post stapeln und er an der Tankstelle seine jüngste Tochter als produktives Pfand zurücklassen muss, weil von seiner Geldkarte keine läppischen fünfzehn Euro mehr zu holen sind, merkt auch Jochen, dass er wirtschaftlich am Ende ist.

Die Situation spitzt sich zu: Sein Betrieb, eine Druckerei, die er vom Schwiegervater übernommen hatte, liegt brach und sein einziger Angestellter dödelt sinnlos in der Werkshalle herum. Eine Finanzspritze von seinem Bruder, einem (ehemals?) kokainabhängigen Versicherungsvertreter, will er aus Stolz nicht annehmen. Und wenn er bei der nächsten Rate seines Kredits säumig wird, mit dem er teure Anlagen für seine Druckerei angeschafft hatte, steht die Insolvenz ins Haus. Die er eigentlich gerade schon verschleppt.

Und so beschließt er, sich in seiner Not auf seine Stärken zu besinnen. Auf das, was er richtig gut kann. Designen und drucken. Gesagt getan: Nach wenigen Handgriffen spuckt seine Druckereimaschine nun täuschend echte Fünfzig-Euro-Scheine aus.

Der nächste Schritt: Er bringt sie in Umlauf. Erst zaghaft, voller Gewissensbisse und der Angst, erwischt zu werden. Dann mutiger, gelassener, vielleicht skrupelloser. Blöd nur, dass er auch dem dubiosen Kioskbetreiber Damir Decker (grandios gespielt von Georg Friedrich) einen falschen Fuffi andreht, der den Schein schnell als Blüte erkannt hat – und Jochen damit erpresst. Wenn Jochen nicht große Mengen Falschgeld für seinen Auftraggeber produziert, geht der Damir zur Polizei.

«Morgen hör ich auf» gelingt dabei vor allem ein stimmiges Gleichgewicht zwischen komödiantischen und tragischen Tönen, die so stark ineinander verwoben werden, dass sie häufig gar nicht mehr klar trennbar sind. Die Drehbücher gefallen durch eine große psychologische Nähe zu den Figuren. Hauptcharakter Jochen Lehmann hat die Sympathien lange auf seiner Seite, obwohl er sich immer tiefer in kriminelle Machenschaften verstrickt, ohne dass diese verklärt würden – eine der wenigen tatsächlichen Parallelen zu «Breaking Bad», die sich in «Morgen hör ich auf» ausmachen lassen.

Aber hören wir auf mit diesem schrägen Vergleich. Ein für allemal. «Morgen hör ich auf» funktioniert ganz unabhängig von irgendwelchen gesuchten Parallelen zum Epos um Walter White. Vor allem wegen ihrer starken, mal sehr lebensnahen (Jochen Lehmann), mal schrullig-karikaturhaften (Damir Decker), aber immer äußerst komplexen Figuren, deren innere Widersprüche nicht gescheut werden, sondern einen wichtigen Teil der Narrative ausmachen.

Bastian Pastewka ist schon immer ein Meister der Zwischentöne gewesen und hat schon in seiner nach ihm benannten Sat.1-Serie im Spannungsfeld des Tragikomischen als würdiges deutsches Pendant zu Larry David brilliert. «Morgen hör ich auf» verlagert den dramaturgischen Schwerpunkt ein wenig mehr ins Tragische und hat – ohne, dass das vermessen klingen soll – wohl auch eine andere künstlerische Ambition als «Pastewka». Dennoch ist eine Rolle wie die von Jochen Lehmann für Bastian Pastewka nicht gerade Neuland. Und das ganz im positiven Sinne: Denn wie nahbar, wie wunderbar komisch und doch tief tragisch, wie verzweifelt und neurotisch er hier spielt, das muss man gesehen haben.

Auch der Rest des Casts überzeugt, während Martin Eigler, Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser in ihren Drehbüchern konsequent die Spannung oben halten und mit ihren perfekt gesetzten Cliffhangern vielleicht die erste wirklich suchtgefährdende deutsche Serie seit langem geschrieben haben. Der Auftakt des neuen Serienjahres: ein voller Erfolg. Und das ganz ohne im Schatten von «Breaking Bad» stehen zu müssen.

Das ZDF zeigt «Morgen hör ich auf» ab dem 2. Januar immer samstags um 21.45 Uhr.
30.12.2015 12:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/82891