«Black Mirror»: Bist du bereit für die bitterböse Dystopie?

Netflix hat die britische Serie zu Recht gerettet - bevor die neue Staffel das Licht der Öffentlichkeit erblickt, fordern wir euch zum Rewatch der bisherigen Episoden auf – wenn euer Magen mitspielt.

Zitat

„It's like 911's happened, and we're broadcasting sandwich recipes.” –“We're not a chat room.” –“It's on CNN. And Fox. And MSNBC, Al Jazeera, NHK...” –“All right! Oh, God, this planet!”
(Alltag einer Newsredaktion)
Bereits 2011 erblickte die Serie «Black Mirror» des Autoren Charlie Brooker beim britischen Channel 4 weitgehend unbeachtet das Licht der Welt. Bekannt geworden war dieser durch «Dead Set», eine zynische Big-Brother-meets-Zombies-Variante. Seine neue Serie hielt in ihrer ersten Staffel drei Episoden lang unserer zunehmend auf Technik und Vernetzung fußenden Welt den Spiegel vor. Gut vierzehn Monate später erschien die zweite Staffel, ebenfalls aus drei Episoden – und erneut hagelte es Kritikerlob. Umso erstaunlicher, dass außer einem Special Ende 2014 danach keine weiteren Episoden mehr folgten.

Doch sollte sich daran etwas ändern: 2015 wurde bekannt, dass Netflix die Serie übernommen hatte. Neben den bisherigen sechs Episoden, die im Dezember 2015 um das Weihnachtsspecial ergänzt wurden und zum Abruf bereit stehen, wird dieses Jahr eine dritte Staffel aus zwölf Episoden an den Start gehen – natürlich wieder unter Führung von Charlie Brooker.

Für alle, denen die Serie bisher noch gar nichts sagt oder die ihr schlicht noch keine Chance gegeben haben, soll diese Rezension der Pilotfolge einen Anreiz bieten. Wer sich für düstere Zukunftsvisionen mit durchaus kontroversen Themen erwärmen kann und einen stabilen Magen besitzt, schaut zuerst die Episode und liest dann die Rezension. Alle anderen sollten vielleicht anhand des folgenden Textes zuerst feststellen, ob sie mit einer derartigen Thematik überhaupt konfrontiert werden möchten.

"The National Anthem" oder die hoffnungslose Suche nach dem Erhalt der Würde
Denn wenn ein Schwein in einer Ansammlung von Menschen das feinfühligste Wesen ist, muss man Schlimmes befürchten. Charlie Brooker eröffnet uns im Auftakt seiner Dystopie ein Szenario, das emotional ins Mark trifft und viel mehr Fragen beantwortet, als man ertragen kann.

Schock in der Nacht
Michael Callow, aktueller Premierminister Großbritanniens, erwacht mitten in der Nacht und sieht sich mit einer erschreckenden Situation konfrontiert: Wie ihm sein Stab berichtet, wurde die äußerst beliebte Prinzessin Susanna (deren Figur eindeutig an die Popularität von Prinzessin Diana angelehnt wurde) entführt und zur Aufnahme eines Videos gezwungen. Die Forderung für ihre Freilassung lautet: Callow soll nach exakt festgelegten Parametern live im TV Geschlechtsverkehr mit einem Schwein haben. Wird diese Forderung bis 16.00 Uhr des aktuellen Tages nicht erfüllt, stirbt Susanna.

Schatz, wo ist die Fernbedienung?
Der erste Gedanke des Rezensenten und seiner Frau: Bitte was hat sie da gerade gesagt? Zweimal musste zurückgespult werden, zweimal hörten beide jedoch das Gleiche. Trotz des Konsums vieler Serien und Filme schien die Abstumpfung noch nicht so weit fortgeschritten, dass uns die artikulierte Forderung kalt gelassen hätte.

Stattdessen machte sich jedoch direkt eine Sorge breit: Würde die Serie mit dieser Enthüllung dem Pfad diverser anderer britischer Formate folgen und mit viel Klamauk einen mehr als schwer verdaulichen Humor zelebrieren?

Die Sorge zeigte sich schnell als unbegründet: Mit einem traumwandlerisch sicheren Gespür für die Emotionen der Charaktere ließen die Autoren dem Geschehen seinen Lauf.

Dabei fasziniert besonders der Ablauf: Zuerst befindet sich Callow im Kreise seiner Mitarbeiter in einem Gefühl absoluter Sicherheit, als alle – allerdings mehr als peinlich berührt – seine direkte und verständliche Verweigerung mit einem eindeutig zustimmenden Kopfschütteln begleiten. Man ist sich einig, dass ein Alternativplan her muss. So weit, so gut.

Doch bereits als wenige Stunden später die Queen persönlich anruft, beginnt diese Fassade zu bröckeln. Ein erster Einschlag, der Callow spüren lässt, auf was für dünnem Eis er sich bewegt, sollte es nicht gelingen, die Prinzessin vor Ende der Frist zu befreien.

Zur gleichen Zeit läuft auf Betreiben der engsten Vertrauten des Premierministers auch schon ein Notplan an, von dem nicht mal dieser etwas ahnt. Ein Fernsehstudio wird vorbereitet, ein Pornodarsteller engagiert und ein Special-Effects-Team damit beauftragt, im Fall der Fälle eine Möglichkeit zu finden, Callows Abbild live auf den Körper des Darstellers zu legen – während dieser… na Sie wissen schon. Die öffentliche Demütigung würde Callow diese Farce sicher nicht ersparen, doch zumindest die körperliche.

Zusätzlich versucht man selbstverständlich unter Hochdruck, die Identität oder den Aufenthaltsort von Entführer und Prinzessin ausfindig zu machen.

Als gen Ende jedoch Notplan um Notplan scheitert und man sich immer weiter der Deadline nähert, gibt es schließlich nur noch eine Option: Druck und Drohungen. Callow wird von seiner engsten Vertrauten klargemacht, was das Volk erwartet: Er muss alles tun, um das Leben der Prinzessin zu retten. Sollte er sich weigern, könne für seine Sicherheit und die seiner Familie nicht mehr garantiert werden. Harter Tobak und vermutlich für eine derartige Situation leider absolut realistisch gezeichnet.

Es ist geradezu schmerzvoll mit anzusehen, wie intelligente und durchaus sensible Menschen keinen anderen Ausweg mehr sehen, als einem der ihren, der genau so unschuldig an dieser Situation ist wie sie, diese Bürde aufzuzwingen. Callow ist einfach zur falschen Zeit in der falschen Position – ansonsten unterscheidet ihn nichts von den restlichen Bewohnern seines Landes.

Dabei wissen alle, was man bereit ist, ihm anzutun. Keiner würde mit ihm tauschen wollen. Der Ekel über den bevorstehenden Akt und vor allem der Ekel über sich selbst ist in vielen Gesichtern und Gesten spürbar. Doch herrscht Konsens über eine Sache: Es muss gemacht werden. Das Mitleid ist vorhanden, das Wissen, dass es nicht anders geht jedoch in gleichem Maße. Was soll man auch sagen? Man hat schließlich alles versucht. Mögen die Rechtfertigungen zur Beruhigung des eigenen Gewissens beginnen…

Welcome to Dystopia
Autor und Serienproduzent Charlie Brooker bezeichnet seine Serie als Dystopie. Laut Definition handelt es sich bei einer Dystopie um eine fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung mit negativem Ausgang, die ein zukunftspessimistisches Szenario entwirft, welches auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen soll.

Dieser Definition kann man in Bezug auf den Auftakt seiner Serie absolut zustimmen. Doch handelt es sich eben leider auch um ein Szenario, das sich auf bizarr ekelerregende Art schon fast zu real und in unserer Gegenwart verwurzelt anfühlt. Geradezu verstörend in seiner Vorstellbarkeit und Durchführbarkeit.

Dabei ist die Beziehung des britischen Volkes zu ihrem Königshaus sicherlich eine Besondere. Man kann daraus keine wirkliche Parallele zu anderen Ländern ableiten und die Geschichte somit 1:1 adaptieren. Dennoch gibt es durchaus Möglichkeiten, den Ansatz global auch anders darzustellen, ohne ihm die emotionale Unterfütterung zu nehmen.

Wer garantiert uns schon, dass nicht irgendwann jemand eine Schulklasse entführt, einsperrt und ein beliebiges Staatsoberhaupt auffordert, eine ähnliche Gegenleistung zu vollbringen? Die Anteilnahme wäre enorm, der Druck würde ins Unermessliche wachsen. Verbrechen dieser Art könnten überall auf der Welt und in jeder Gesellschaft vorkommen und würden zugleich eine völlig neue Form des Terrorismus begründen: den Erniedrigungs-Terrorismus. Die Variablen wären austauschbar, der Schrecken bliebe jedoch der Gleiche und wäre in seiner Intensität zudem furchtbar real.

In unserem konkreten Fall führen die diversen Notpläne der Regierung leider nach und nach nicht zum gewünschten Erfolg. Bereits die wohlgemeinte Nachrichtensperre, die die britische Presse zunächst brav befolgt, scheitert schnell, weil weltweit andere Medienanstalten über das bei Youtube erschienene Video mit Prinzessin Susanna berichten.

Der eigens engagierte Pornodarsteller fliegt auf, weil direkt vor dem Fernsehstudio jemand per Smartphone einen schnellen Schnappschuss erhascht, in die sozialen Netzwerke stellt und man den Darsteller dort problemlos identifiziert. Der Entführer ist somit über die Vorgänge im Bilde, verständlicherweise not amused und schickt als Warnung (vermeintlich) den abgetrennten Finger der Prinzessin.

Zum krönenden Abschluss misslingt auch der Sturm einer Lagerhalle, in der der Entführer samt Geisel durch Ortung des Video-Uploads vermutet wird. Nicht genug, dass eine übereifrige Reporterin im Zuge der Operation angeschossen wird, stellt sich der Einsatz auch noch als plumpe Falle heraus – man findet nur eine Schaufensterpuppe samt Upload-Vorrichtung. Böse, böse Technik.

In diesem Moment gelangen wir wieder an den oben bereits beschriebenen Punkt: Die Zeit ist um und Michael Callow muss ran. So sitzen dann pünktlich zum Ablauf der Deadline alle vor den Fernsehschirmen und schauen und fiebern mit. Bier und Popcorn sind am Start, die Stimmung ist ausgelassen. Tut er´s oder tut er es nicht?

Doch ist das Erwachen brutal. Als Callow wirklich und wahrhaftig den Raum des Geschehens betritt und seiner Ehefrau unter Tränen seine Liebe versichert, beginnt sich die Gefühlslage zu drehen. Aus Ungläubigkeit wird Erschrecken, dann Ekel, schließlich unerträgliches Mitleid, Leere und mit einigem Abstand auch ein gewisser Grad an Abstumpfung. Dennoch hält man natürlich mutig bis zum Ende durch. Dabeisein ist und bleibt eben alles.

Ein Kreislauf der uns Menschen immer weiter emotional enthemmt und verdummt.

Die Episode outet sich somit als beängstigend gelungene Mischung aus «The Truman Show», «Wag the dog» und der «Saw»-Reihe.

Ersterer, weil gezeigt wird, wie eine Gesellschaft am Leben eines unwissenden Protagonisten Anteil nimmt und trotzdem unreflektiert sein Leid zur eigenen Unterhaltung mitträgt. Der Mittlere, weil die manipulative Macht der Medien mindestens ebenso pointiert gezeigt wird, wie in den Szenen rund um die Bombe, die in einen Schornstein fällt oder das Mädchen mit dem Kätzchen im Kriegsgebiet. Letzterer, weil auch dort ein Mann mit einer Mission bereit ist, anderen nach seinem eigenen Kodex Leid zuzufügen, um seinen Standpunkt zu untermauern. Und wie Jigsaw nimmt hier der Täter namens Carlton Bloom in Kauf, dass – sollte er mit seiner Theorie Recht behalten – noch mehr Leid geschieht.

Fortsetzung auf der nächsten Seite.

Zudem ist die Episode aber natürlich auch ein eindeutiges Statement bezüglich unseres technischen Fortschritts im Bereich der Kommunikationsmedien.

Ob Smartphone, Internet allgemein oder Facebook, Twitter und Instagram im Besonderen – die totale Vernetzung ist Segen und Fluch zugleich und führt zu einer Gleichschaltung der Gesellschaft, die auf schlichtes kollektives Funktionieren ausgerichtet ist. Carlton Bloom will im Kern beweisen, dass die Menschen das reale Leben verpassen, weil sie inzwischen primär online leben.

In einer bitterbösen Sequenz wird diese – sicherlich nicht weit hergeholte – These untermauert, als sich herausstellt, dass Prinzessin Susanna bereits eine halbe Stunde vor Callows TV-Auftritt unter starkem Drogeneinfluss (aber immerhin doch noch mit allen Fingern) freigelassen wurde und kulminiert somit in der erschreckenden Erkenntnis, dass alle so sehr damit beschäftig waren, das Geschehen online und im TV zu verfolgen (der Krisenstab eingeschlossen), dass man den Blick für die Welt außerhalb verlor. Armer Callow.

Somit beinhaltet die Tat von Bloom, der für sich aus nachvollziehbaren Gründen nach Vollendung seines Werkes den Freitod wählt, die kalkulierte Message, dass eine viel zu berechenbar gewordene Welt sich der Unberechenbarkeit eines technischen Fortschritts ausgeliefert hat, der viele schlicht und ergreifend intellektuell und emotional überfordert.

Will man sowas eigentlich sehen?
So real sich diese Bedrohung in Gänze auch anführt und so meisterhaft die Episode es schafft, dieses durchaus pikante Thema anzufassen, bleibt dennoch auch die Frage im Raum stehen, ob man eine Geschichte dieser Art wirklich erzählt bekommen möchte.

Worin unterscheiden sich die interessierten Zuschauer dieser Episode von den Zuschauern der Live-Übertragung? Klar: Das eine ist fiktives Real-Life während wir zuhause eindeutig und bewusst Fiktion schauen – doch muss man sich eben doch die Frage stellen, ob es da im Zweifelsfall wirklich einen Unterschied gibt. Wer würde eine solche Live-Übertragung wie sie hier erzwungen wurde in letzter Konsequenz denn bewusst nicht anschauen? Und wenn es nur wäre, um mitreden zu können? Weil es ein TV-Event ist? Weil man irgendwie mitfiebert? Oder ganz albern: Aus Sorge um die arme Prinzessin? Diese Frage muss letztlich jeder für sich beantworten – ehrlich oder nicht. Zu der Erkenntnis, die man bei diesem Denkvorgang erhält dann auch zu stehen, ist noch einmal eine ganz andere Liga.

Doch woran liegt es, dass wir zunehmend die Grenzen unserer emotionalen Belastbarkeit ausweiten?

In einer Welt, in der gewaltpornographische Auswüchse wie «Hostel» oder «The Hills have Eyes» ein durchaus großes Publikum finden und somit salonfähig geworden sind, sind wir inzwischen Gewalt und Sex in dermaßen großen Dosen ausgesetzt, dass eine Abstumpfung gar nicht zu vermeiden ist.

Dabei will ich hier nicht päpstlicher tun als ich bin. Ich selber habe nicht wenige Serien oder Filme konsumiert, die exakt diese Themen behandeln und vorgeführt haben. Ob es sich dabei um brutale und visuell aggressive Fantasy-Stoffe wie «The Walking Dead» oder «Game of Thrones», pseudo-historische Aufarbeitungen wie «Spartacus» oder vermeintlich intellektuell-unterbaute Reihen wie «Saw» handelt – geschenkt.

Die Faszination und Sogkraft des Abartigen ist groß. Und das Angebot wächst und wächst. Dennoch bilde ich mir noch ein, eine feine Linie zwischen geht noch und zu viel zu erkennen. Die Vergewaltigungsszene aus genanntem Alexandre Aja-Remake des gleichnamigen Craven-Films zum Beispiel erweckte in mir schlicht den Wunsch, den Regisseur direkt in die nächste Klapsmühle einzuweisen. Sich derart am Leid eines Menschen zu ergötzen und mit der Kamera draufzuhalten, übertrifft alles, was ich ertragen kann – und kann meiner Einschätzung nach keinem gesunden Geist entspringen. Und sei es auch ein fiktionales Werk mit Schauspielern. Nein, diesen Film habe ich nie zu Ende geschaut und im Nachhinein habe ich mich fast geschämt, überhaupt damit angefangen zu haben.

Doch ist das Gaffen dem Menschen durch seine gottgegebene Neugierde quasi in die Wiege gelegt worden. Hier regelt schlicht und ergreifend das Angebot die Nachfrage. Früher musste man für die Dosis sex on tape heimlich eine Videothek aufsuchen, heute reicht ein Internetzugang, Pay-TV oder Streaminganbieter. Früher drückten sich Menschen mit fragwürdigen Neigungen in dunklen Ecken herum, heute haben sie die Auswüchse dieser Neigungen auf ihren Dienst-Notebooks und reden dann später noch von strafrechtlich irrelevanten Grauzonen.

Technischer Fortschritt birgt immer viele Möglichkeiten – und Gefahren. Die Menschheit besitzt schlicht keine kollektive Intelligenz oder gar eine kollektive Sensibilität. Die Gefahren, die all unser Forscherdrang mit sich bringt, wird man niemals eindämmen können.

Doch wer beeinflusst hier am Ende des Tages eigentlich wen? Sind es die irren Künstler, die mit ihren wirren Ideen potentiellen Täter erschaffen und formen? Ist es die verkommene Gesellschaft, die Künstler zu immer neuen Ausdrucksformen animiert?

Ich befürchte: Die Denke beider Seiten ist am Ende einfach die Gleiche, nur die Kanalisierung dessen, was da im Kopf vorgeht, ist eine vollkommen andere. Der Eine erdenkt ein derartiges Szenario, schreibt es auf und macht daraus ein Buch, eine Serie, komponiert einen Song oder malt ein Bild. Der Nächste verbringt jahrelang in seiner Garage und ballert dann eines Tages in einem Kino um sich. In der Ausgangsbasis sind die Unterschiede aber eventuell so groß nicht. Sollte einem das nicht Angst machen?

Ende gut, alles gut
Zurück zur Handlung: Im fiktiven England haben sich ein Jahr nach den Geschehnissen die Wogen wieder geglättet. Prinzessin Susanna ist schwanger und erwartet gemeinsam mit ihrem glücklichen Volk die Ankunft des Royal Babys. Man vergisst, man macht weiter. Wie in «The Truman Show» ist danach eben auch direkt wieder davor. Das Leben geht immer weiter.

Die Entführung samt TV-Übertragung und Freitod des Täters wird von einigen Kreisen als künstlerische Leistung gewürdigt. Dass Initiator Carlton Bloom zudem noch als ehemaliger Turner-Preis-Gewinner bezeichnet wird (in der realen Welt ein durchaus relevanter britischer Kunstpreis) ergänzt die Ironie nur um eine weitere Facette. Man kann auf eine verdrehte Art und Weise sicherlich zustimmen, dass Bloom hier einen Sachverhalt aufzeigen wollte, der heutzutage gesellschaftlich bereits zu einem Problem geworden ist. Seine terroristische Tat, samt Entführung, Erpressung und der psychologischen Zerstörung eines Menschen, einer Ehe und zumindest der Integrität und dem Gewissen vieler Beteiligten ist jedoch auch eindeutig ein viel zu hoher und kein adäquater Preis.

In diesem Fall lobe ich mir dann doch Joseph Beuys und seine Fett-Ecke. Kann man blöd finden, tut aber wenigstens keinem weh.

Hintergrund

Im September 2015 wurde bekannt, dass der aktuelle britische Premierminister David Cameron im Rahmen eines Initiationsritus während seines Studiums einen sehr intimen Körperteil in den Mund eines toten Schweines stecken musste.
Serienproduzent Charlie Brooker hatte davon laut eigener Aussage beim Schreiben der Pilotepisode aber keine Kenntnis.
Premierminister Michael Callow ist noch immer im Amt, strahlt und winkt mit seiner Frau öffentlich in die Kameras und konnte seine Umfragewerte sogar um satte 3% steigern. Was so ein kleines Intermezzo zur Rettung einer Ikone doch alles bewirken kann. Ein Hohn und somit treffende Satire im Nebensatz. Tragisch für Callow ist jedoch die letzte Einstellung der Episode, die zeigt, dass hinter verschlossenen Türen keine Rede von Lächeln, Winken und Glück sein kann. Seine Ehe scheint irreparabel zerstört zu sein – von seiner Selbstachtung ganz zu schweigen. Nur wen interessiert das noch?

Somit bleibt am Ende eigentlich nur noch eine Frage offen: Wer hat eigentlich das arme Schwein gefragt, was es von der ganzen Sache hält? Und so ernst gemeint diese Anmerkung von mir auch ist, wäre die Beantwortung dann vermutlich doch wieder Stoff für eine gänzlich andere Episode einer gänzlich anderen Serie mit vielleicht dann auch wieder zu britischem Humor.

Fazit
Die Serie «Black Mirror» präsentiert mit ihrer Debütepisode die wohl perverseste Form von Erniedrigungs-Terrorismus der bisherigen TV-Geschichte. Die Bilder und Gefühle, die beim Zuschauer im Kopf entstehen, bevor alle Beteiligten innerhalb der Handlung das Ausmaß der Situation überhaupt in vollem Umfang erkennen können, hallen lange nach und ziehen eine wahre Flut von Gedanken mit sich. Nichts für schwache Nerven und definitiv auch nichts für Zuschauer mit schwachem Magen. Dafür aber zum Nachdenken anregendes TV – und das ist in der heutigen Zeit immer willkommen.

«Black Mirror» steht bei Netflix zum Abruf bereit – außerdem wiederholt RTL Crime die Episoden ab 15. Januar zu verschiedenen Uhrzeiten und an verschiedenen Tagen.
15.01.2016 11:00 Uhr  •  Björn Sülter Kurz-URL: qmde.de/83061