Nach dem inhaltlich enttäuschenden Jauch-Engagement als Polittalker schickte die ARD am Sonntag wieder Will nach dem «Tatort» auf Sendung - ein deutliches Streben nach Risikominimierung, dem die Auftaktfolge auch in jeder Form gerecht wurde.
«Anne Will» - Sendeplatzgeschichte
- September 2007: Start am Sonntag um 21:45 Uhr (nach dem Ende von Sabine Christiansen und der vorläufigen Absage von Günther Jauch)
- August 2011: Wechsel auf den Mittwoch um 22:45 Uhr (Jauch sagte nun doch für eine ARD-Moderation zu)
- Januar 2016: Rückkehr am Sonntag um 21:45 Uhr (Jauch wollte seine Sendung nicht fortsetzen - «Maischberger» wechselt auf den vorherigen Will-Slot)
Die Kritiker hatte «Günther Jauch» noch nie auf seiner Seite, doch dank des beachtlichen Publikumszuspruchs ließ Das Erste den inhaltlich selten überzeugenden Polittalk dennoch über vier Jahre lang am Sonntagabend nach dem «Tatort» auf Sendung gehen, bis der Moderator aus eigenen Stücken das Handtuch warf. Auf weitere Experimente hatte der öffentlich-rechtliche Sender danach offensichtlich keine Lust mehr und machte sich einen schlanken Fuß damit,
«Anne Will» einen der gefragtesten Sendeplätze zurückzugeben, den es im deutschen Fernsehen überhaupt gibt. Mancherorts wurde Will als Spielball der launischen Programmplaner degradiert, anderenorts hieß es, es sei die späte Wertschätzung des öffentlich-rechtlichen Senders dafür, dass ihm die Moderatorin auch in Zeiten ihrer Niederlage die Treue hielt und sich mit ihrer neuen Situation rasch arrangierte. In jedem Fall aber ist Wills Rückkehr eines: Eine klare Absage gegenüber neuen Experimenten im Polittalk und ein klares Bekenntnis für das Establishment des Genres. Und so verlief dann eben auch die Sendung.
Und das nahezu in jeder Hinsicht: Inhaltlich hätte man sich schwer ein anderes Thema als die Migrations- und Flüchtlingspolitik vorstellen können, die den politisch-gesellschaftlichen Diskurs generell seit Monaten und ganz besonders stark seit den Übergriffen von mehrheitlich nordafrikanischen Migranten in Köln am Silvesterabend dominiert. Das Studio wurde ein wenig überarbeitet, was allerdings der Gelegenheitszuschauer kaum gemerkt haben dürfte. Das Intro bleibt komplett unverändert, auf große visuelle oder akustische Spielereien, die ohnehin in den seltensten Fällen TV-Formate inhaltlich vorantreiben, hat man verzichtet. Und Will selbst verzichtet komplett auf große Reden betreffs ihres neuen Sendeplatzes. Ja, eigentlich scheint alles wie immer - auch wenn es allen Beteiligten klar sein dürfte, dass Will nach dem «Tatort» deutlich mehr als die rund anderthalb Millionen Menschen wird erreichen müssen, die zuletzt am späteren Mittwochabend der Normalfall waren.
Umso bemerkenswerter ist es, dass dennoch keinerlei spezielle Anreize gesetzt werden, um das Format groß in die Schlagzeilen zu bringen. Mit dem Journalisten Stefan Aust, den Talkshow-Dauergästen Peter Altmaier und Gesine Schwan sowie dem Psychologen und Autor Ahmad Mansour hat man sich zwar ein Quartett gesichert, das für eine gehaltvolle, aber kontroverse Debatte zum Thema Flüchtlingspolitik sichert - doch ein Name, der schillernd genug wäre, um Hunderttausende zusätzlich vor die Mattscheibe zu locken, ist nicht zu finden. Das war bei Jauchs Auftakt am 11. September 2011 noch gänzlich anders, als man passend zum zehnten Jahrestag auf die Folgen des Terroranschlags auf die Twin Towers in New York zurückblickte und Jürgen Klinsmann kurzum zum Experten für die US-amerikanische Gesellschaft erklärte, da er damals schon seit einigen Monaten die US-Fußball-Nationalmannschaft trainierte. Zwar hatte Klinsi kaum mehr beizutragen als generalisierende Aussagen über ein Millionenvolk, das in ähnlich fundierter Form auch einem beliebigen Stammtischgespräch im Großraum Stuttgart zu entnehmen gewesen wäre, doch zumindest war sein Name groß und sein Auftritt denkwürdig.
Wills Rückkehr am Sonntag dagegen verlief weitgehend in den gewohnten Bahnen einer Sendung dieser Couleur. Am bissigsten tritt noch Stefan Aust auf, dessen offensichtliches Ziel es ist, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung - in diesem Fall vertreten durch Peter Altmaier - scharf zu attackieren und sie als weitgehend wirkungslos zu entlarven. Das gelingt ihm über weite Strecken ziemlich gut und befeuert die Kontroversität dieser Runde, wobei er auch zu weitaus markigeren Worten greifen kann als der um die öffentliche Beruhigung und Enthysterisierung bemühte Altmaier. Eine lobenswerte Bereicherung stellt Mansour dar, der ähnlich wie Aust nicht um klare Kritik verlegen ist, bei dem diese aber weitaus weniger forciert wirkt und der in der gesamten Runde am ehesten den Eindruck vermittelt, nicht in erster Linie vorgefertigte Inhalte unterbringen zu wollen. Ohnehin täte das Team um Will gut daran, auch künftig nicht bloß namhafte Gäste aus der Spitzenpolitik einzuladen, die in erster Linie ihr Parteibuch runterrasseln - Gäste wie Altmaier eben, die für die Relevanz einer solchen Sendung sinnvoll sind, meist aber eben in Sorge um ihren Posten vornehmlich vorgefertigte Phrasen zum Besten geben.
«Anne Will» - ein guter Jauch-Ersatz?
Das Studio wird wie bereits eingangs erwähnt den Will-Stammzuschauer kaum aufschrecken, wurde doch letztlich kaum etwas verändert: Die Gäste sitzen nun noch ein wenig enger beisammen, was beinahe etwas zu viel des Guten ist und leicht "gequetscht" wirkt, statt zweier eckiger Tische gibt es nun einen großen und zwei kleinere runde, die leicht in der Höhe versetzt übereinanderlappen. Im Großen und Ganzen ist der Kontrast allerdings weitaus größer, wenn man das Studio mit dem Berliner Gasometer vergleicht, das «Günther Jauch» nutzte. Dieses wirkte für eine Talkshow ungewohnt groß, hallte des Öfteren und war vor allem dann ein Ärgernis, wenn von außen der Regen stark gegen das Dach prasselte - denn der Zuschauer wurde immer mal wieder Zeuge der meteorologischen Umstände. Mit diesem relativ nutzlosen Pomp kann - und will vielleicht auch - diese Sendung nicht mithalten, sie wirkt etwas zurückhaltender, kleiner und unscheinbarer. Für die Größe ihres Sendeplatzes vielleicht auch etwas zu unscheinbar.
Das ist dann auch letztlich der Kritikpunkt, den man generell für die erste «Anne Will»-Sendung seit 2011 am Sonntagabend anbringen mag: Man wagt nicht wirklich etwas Neues, liefert eine in jeder Form grundsolide Leistung ab, umschlingt das Publikum aber auch nicht gerade, damit es keinen Gedanken daran verschwendet, vielleicht doch mal zu schauen, was denn die weiteren Fernsehsender so um 21:45 Uhr zu bieten haben. Eigentlich passt all das besser zu einem späteren Slot an einem weniger hart umkämpften Tag als den Sonntag. Aber Will ist die solideste Polittalkerin der ARD, hat sich die Rückkehr vor größerer Bühne nach Jahren guter Arbeit verdient und sich darüber hinaus boulevardesken Themen rund um Baumarkt-Tests und ähnlichem Firlefanz weniger angebiedert als der eine oder andere ihrer Kollegen. Insofern ist sie inhaltlich die bestmögliche Alternative für einen stimmigen Polittalk am Sonntagabend - ob sie auch das Zeug zur Quotengöttin hat, darf dagegen stark in Frage gestellt werden.