Seit dem 26. Januar zeigt der ARD-Spartensender EinsFestival vier mal in der Woche «The Tonight Show starring Jimmy Fallon». Die Sendung stand in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt einer wendungsreichen Late Night-Geschichte.
Steckbrief
Stefan Turiak ist als Redakteur bei
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Quoten-Analysen,
Rezensionen &
Schwerpunkte. Er ist außerdem freier Mitarbeiter bei Widescreen und Triggerfish sowie Fachmann in Sachen internationaler Film.
Schon öfters sollte das klassische Late Night Talkshow-Format nach Deutschland kommen: RTL2 strahlte von 1995 bis 1996 Aufzeichnungen der «Late Show with David Letterman» aus.
Harald Schmidt bediente sich mit seinem deutschen Ableger, der «Harald Schmidt Show» mal weniger, mal mehr mit seinen Sketch-Konzepten bei amerikanischen Vorbildern. Dank mehrfachen Senderwechseln von Sat.1 zur ARD, wieder zurück zu Sat.1 und anschließend zu Sky glich diese Late Night-Inkarnation allerdings in seinen letzten Jahren mehr einem Wanderzirkus. Verständlich, dass die Zuschauer nicht hinterherliefen.
Von 1992 bis 1995 träumte Thomas Gottschalk den Traum vom deutschen Late Night. «Die Oliver Pocher Show» hielt sich dagegen gerade einmal etwas über ein Jahr aufrecht. Selbst die
«Tonight Show starring Jimmy Fallon» hatte schon 2014 über einen kurzen Zeitraum bei Joiz einen Auftritt in Deutschland. Dieses Experiment versucht EinsFestival jetzt noch einmal zu wiederholen, ebenfalls mit Jimmy Fallon. Der Spartensender stößt damit ein Fenster auf, das durch diverse frei zugängliche Clips auf YouTube schon auf Kipp stand, und eröffnet für den gewillten deutschen Zuschauer einen durchaus faszinierenden Blick auf ein Stück amerikanische Fernsehgeschichte. Ein Late Night-Universum, welches nach dem Abgang der alteingesessenen Moderatoren Jay Leno und David Letterman in den letzten Jahren noch interessanter, aber auch unübersichtlicher geworden ist.
Das Abtreten beliebter Unterhaltungspersönlichkeiten ist auch dem deutschen Publikum nicht fremd. So nahm Stefan Raab im letzten Dezember nach 22 Jahren TV-Karriere seinen Abschied. Dennoch ist die Laufbahn des «TV Total»-Moderators kaum zu vergleichen mit der 40jährigen Karriere eines David Letterman, der am 20. Mai 2015 die letzte Sendung der «Late Show with David Letterman» moderierte. Letterman etablierte sich schnell zur Antithese des seichten Jay Leno und trat auch vermeintlich ernsthaften Persönlichkeiten wie dem politischen Kommentator Bill O’Reilly oder dem republikanischen Senator John McCain mit der angemessenen Respektlosigkeit entgegen. Er machte seinen eigenen Haarverlust, seine Eheprobleme und seinen Sohn zum Thema seiner Sendung, was ihn für die Öffentlichkeit zwar angreifbar und verletzlich, aber auch menschlicher machte als manch andere Person des Showgeschäfts. Sein und einige Jahre zuvor Lenos Rückzug löste, wie es scheint, eine fast tektonische Verschiebung im Late Night-Geschäft aus.
Krieg der Late Night-Sterne
Konfliktreiches
Die Konflikte zwischen Jay Leno und David Letterman sowie Jay Leno und Conan O’Brien hat New York Times Journalist Bill Carter ausführlich in seinen beiden Büchern „The Late Shift - Letterman, Leno, & the Network Battle for the Night“ und „The War for Late Night - When Leno went early and television went crazy“ dokumentiert. Dies ist jedoch nicht das erste Mal, dass die Karten neu gemischt wurden. Nachdem der legendäre «Tonight Show»-Moderator Johnny Carson 1992 in den Ruhestand ging, kam es zum Eklat zwischen Leno und Letterman, die beide den begehrten Platz übernehmen wollten. NBC entschied sich für Leno und Letterman wechselte zum Konkurrenzsender CBS, um dort seine Karriere als Moderator der «Late Show» fortzusetzen. Der damit einhergegangene Streit zwischen den beiden konkurrierenden Entertainern hält bis heute an.
Kurioserweise sollte sich die Geschichte wiederholen. Beim zweiten Mal wurde allerdings der beliebte Komiker Conan O’Brien das Opfer von Lenos Arbeitswut. 2009 übernahm O’Brien die «Tonight Show» als Ergebnis eines Vertrages, den er schon 2004 mit NBC aushandelte. Jay Leno dagegen versuchte sein Glück mit einem neuen Format mit dem Namen «Jay Leno Show» zu einer früheren Sendezeit, das aber nicht die gewünschten Quoten einbrachte. Auch O’Brien hatte Probleme, mit seiner «Tonight Show»-Version die gewünschten Zuschauerzahlen zu erreichen.
NBC Executive Jeff Zucker plante deswegen, Jay Leno eine neue halbstündige Show um 23.35 Uhr zu geben und die «Tonight Show with Conan O’Brien» um eine halbe Stunde zu verschieben. Dieser zweifelhafte Lösungsansatz stieß bei O’Brien verständlicherweise auf wenig Gegenliebe. Er verließ NBC und löste damit eine Protestwelle, insbesondere bei seinen jungen Zuschauern und Fans aus. Viel von dieser Wut und der öffentlichen Kritik richtete sich vor allem gegen Jay Leno, der aber trotzdem zum Flaggschiff des Late Nights zurückkehrte.
Die nächste Generation mit friedlicher und bekloppter Absicht
Von einem Krieg zwischen den Late Night-Moderatoren ist indes bei der jüngeren Generation nichts mehr zu spüren: Jimmy Fallon, damals noch der Moderator von
«Late Night with Jimmy Fallon», und Stephen Colbert vom
«Colbert Report» zogen diese Animositäten eher durch den Kakao: Beide schworen sich gegenseitig nach einem Eiscreme-induzierten Halluzinationstrip, für sechs Monate beste Freunde zu bleiben, denn alles was darüber hinausgeht, sei eine viel zu große Verpflichtung.
Neben solcher Spinnereien ist vor allem Stephen Colbert aber ein rasiermesserscharfer und intelligenter Satiriker. Mit seiner randlosen Brille, seinem schnurgeraden Seitenscheitel und generell überkorrektem Äußeren verkörperte er acht Jahre lang auf erschreckend überzeugende Weise einen erzkonservativen und herrlich überzogenen, politischen „TV-Experten“ auf dem Kabelsender Comedy Central, der ebenfalls Stephen Colbert hieß und die Absurdität konservativer sowie liberaler Argumente im amerikanischen politischen Diskurs bloßstellte.
Colbert, der im letzten Jahr Lettermans Nachfolge antrat, wirkte nicht unbedingt wie die offensichtliche Wahl für diesen prestigeträchtigen Job. Zu speziell, zu komplex und zu politisch aufgeladen ist sein Humor und CBS hätte, wie zuvor schon NBC mit Jimmy Fallon, einen sicheren Mittelweg gehen können, der eine breitere Masse anspricht. Aber auch wenn Colbert nicht den Erfolg hat, den ein Fallon mit sich bringt, hält CBS an ihm fest. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man einen Blick auf seine Fähigkeiten als Moderator wirft: Er fühlt sich sowohl bei Promi-Interviews als auch in Kochsegmenten zu Hause. CEOs wie Tim Cook von Apple und Elen Musk schauen bei ihm vorbei und Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, Hilary Clinton und Bernie Sanders geben sich die Klinke in die Hand, ohne dass er sich aus der Ruhe bringen lässt. Colbert lässt Rock N’Roll- und Jazzbands, Ballett- und Stepptänzer sowie Musical-Performer bei sich auftreten. «The Late Show with Stephen Colbert» ist ein kulturelles Rundumerlebnis, das erstaunlicherweise kaum an politischer und satirischer Schärfe eingebüßt hat.
Was passierte aber in diesem ganzen Durcheinander mit dem beliebten Moderator Jimmy Kimmel, der die Zuschauer des familienfreundlichen Senders ABC mit seiner Show «Jimmy Kimmel Live» durch den Abend führt? Nicht unbedingt viel. Neben ein paar kritischen Worten, die er während des «Tonight Show»-Desasters für Jay Leno übrig hatte, blieb er in den letzten 13 Jahren ein Fels in der Brandung und leider auch genauso statisch. Bei Kimmel gibt es nicht viel Bewegung und kaum Weiterentwicklung. Immer noch betreibt er seine fiktive Fehde mit Matt Damon, die mal mehr und mal weniger spaßige Züge annimmt. Immer noch lässt er zusammengeschnittene Fernsehbeiträge unnötig zensieren, was durchaus für Erheiterung sorgt. Gelegentlich ruft er die Zuschauer zu Hause dazu auf, ihren Kindern die Halloween-Süßigkeiten zu klauen und Celebrities dürfen öffentlich die gemeinsten Tweets vorlesen, die sie erhalten haben. Dies ist durchaus unterhaltsam und niedlich, wirklich herausfordern möchte Jimmy Kimmel sein Publikum jedoch nicht.
Mehr dazu auf der nächsten Seite: Dann u.a. mit James Corden, Seth Meyers und der neuen «Daily Show».
Ähnlich brav geht es bei der
«Late Late Show with James Corden» auf CBS zu. Sein Vorgänger, Komiker Craig Ferguson versuchte noch über mehrere Jahre hinweg, das Late Night-Konzept mit allen möglichen Absurditäten zu untergraben oder gleich ganz zu zerschlagen: In jeder Episode steckte er zwei Praktikanten in ein Pferdekostüm und machte ein sprechendes Roboterskelett zu seinem Assistenten. Vor allem seine Interviews waren jedoch von großem Charme geprägt. Dort zerriss er zu Beginn genussvoll und symbolträchtig die vorgegebenen Interviewfragen und schaffte es immer, eine für den Zuschauer reizvolle und oftmals zum Schießen komische Chemie zu seinen Gästen aufzubauen. Dieses Talent fehlt James Corden leider. Dieser bringt den Enthusiasmus und die Energie eine Kindes im Süßigkeitenladen mit, was den Zuschauer gelegentlich etwas überfordern kann.
Sein Kollege Seth Meyers, ehemaliger Chefautor und News-Moderator der Sketch-Show «Saturday Night Live», welcher zur gleichen Sendezeit auf NBC bei
«Late Night with Seth Meyers» sein Unwesen treibt, schlägt wiederum deutlicher in die politische Kerbe. Meyers wirkt dabei noch etwas zu unauffällig und zugeknöpft, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Er zieht viel komödiantischen Effekt aus den improvisierten Dialogen mit seinem Bandleader Fred Armison, etwa wenn dieser mit viel Enthusiasmus ganze Serien-Episoden nacherzählt, die er offensichtlich nie gesehen hat. Momentan ist die Sendung jedoch noch stark geprägt von Meyers Vergangenheit bei «Saturday Night Live», allerdings scheint der Moderator smart genug, dass er über das übliche, oftmals etwas banale Prominenteninterview hinauswachsen könnte.
Kabelsender setzen auf Internationalität und Vielfalt
Bis auf Conan O’Brien, der eine neue Heimat bei TBS gefunden hat und sich selbst als weißesten weißen Mann der Welt bezeichnet, ist es durchaus interessant zu sehen, dass besonders Kabelsender auf Internationalität und Vielfalt setzen: Bei HBO beschäftigt sich ein Brite namens John Oliver in seiner Satire-Sendung «Last Week Tonight» mit einer für den Zuschauer ansteckenden Häme und Freude mit internationalen Themen wie dem FIFA-Korruptionsskandal, zeigt aber auch wie überraschend einfach und legal es ist, in Amerika eine Kirche zu gründen und Millionen von Spendengeldern steuerfrei einzufahren.
Comedy Central und
«The Daily Show» überraschte die Zuschauer und Fans, als im März 2015 verkündet wurde, dass der 31jährige Südafrikaner Trevor Noah die Nachfolge von Jon Stewart antreten wird. Dieser hatte erst im Dezember im Jahr davor als Korrespondent angefangen und wirkte zu diesem Zeitpunkt noch frisch und unerfahren. Der erste Skandal um seine Person folgte auf dem Fuße, denn das Internet zauberte ein paar alte, leichtsinnige Tweets des Komödianten hervor, die ein wenig schmeichelhaftes Bild von Noah zeichneten und als antisemitisch und sexistisch interpretiert wurden. Comedy Central stand jedoch hinter seinem neuen „The Daily Show“-Moderator. Auch wenn er noch über den ein oder anderen Witz stolpert und seine Moderationen stellenweise etwas ungelenk wirken, bildet er zusammen mit dem afroamerikanischen Larry Wilmore und dessen „The Nightly Show“ ein durchaus interessantes neues Gesicht der amerikanischen, politischen Satire.
Warum wählte EinsFestival aus diesem umfangreichen Potpourri ausgerechnet Jimmy Fallon aus?
Historisches
Die «Tonight Show» wurde das erste Mal im September 1954 aus dem New Yorker Rockefeller Center gesendet. Vor Jimmy Fallon hatten Steve Allen, Jack Paar, Johnny Carson, Jay Leno und Conan O’Brien den Job als Moderator inne. 1972 zog die Show nach Kalifornien um und erst unter Jimmy Fallon kehrte sie nach New York City zurück. Seine «Tonight Show» bleibt weiterhin das erfolgreichste Late Night Flaggschiff. Seine Spitzen gegen Politiker sind fast schon erstaunlich unpolitisch und zahm. Fallon ist tatsächlich nur einmal an einem Skandal vorbeigeschrammt, nämlich als seine Hausband The Roots die republikanische Politikerin Michele Bachman in seiner alten Late Night Show mit dem Song „Lyin’ ass bitch“ von der Band Fishbone begrüßte (eine Entschuldigung folgte natürlich schnellstmöglich).
Gerade Fallons simpler Enthusiasmus macht ihn aber auch international und spezifisch für Deutschland reizvoll und einfach zu verdauen. Playback-Battles mit Tom Cruise und Will Ferrell sowie Acapella-Ständchen mit den Muppets von der Sesamstraße und Parodien von «Downton Abbey», «Game of Thrones» und «Breaking Bad» sind leichter an den Mann zu bringen, als Satiriker wie Stephen Colbert oder Jon Stewart, die täglich in Erwartung auf den nächsten gesellschaftspolitischen Skandal ihre Messer wetzen.
Auch wenn Fallon meistens nur kurze und schwache Einstiegsmonologe zu bieten hat und nicht der schlagfertigste Interviewer ist, bleibt seine Begeisterungsfähigkeit ansteckend. Auch die diversen Spiele, Einspieler und Blödeleien sind meistens ein großer Spaß. Ob ausgerechnet seine Late Night Show in Deutschland ein stabiles Publikum finden wird, wo schon so viele andere Formate gescheitert sind, bleibt abzuwarten.