Männer, Frauen, Sex & Kalauer – und das Ganze wieder von vorne. «Sex and the City»? Nein. «Californication»? Nein. Na gut. Dann wenigstens „gut geklaut ist halb gewonnen“? Dieser Frage gehen wir nach.
What is LOVE?
LOVE-Facts
- Start: 19.02.2016 auf Netflix
- Die erste Staffel enthält 10 Episoden, Staffel 2 folgt 2017.
- Stars: Gillian Jacobs & Paul Rust
- Laufzeit: 30 Minuten
Judd Apatow («Dating Queen», «Jungfrau (40), männlich, sucht...») gilt als meisterhafter Beobachter des modernen Beziehungslebens. Gemeinsam mit Lesley Arfin («Brooklyn Nine-Nine») und Comedian Paul Rust schrieb und produzierte er die ersten zehn Episoden dieser neuen Netflix-Eigenproduktion, in der sich das frustrierte Pärchen Gus (ebenfalls Paul Rust) und Mickey (Gillian Jacobs) durch ihr deprimierend-demütigendes Liebesleben schlägt.
Man fragt sich bei Serien dieser Machart unwillkürlich: Ein Porträt welcher Beziehungskultur sehen wir hier eigentlich? Handelt es sich dabei tatsächlich um ein schmerzhaft-ehrliches Abbild moderner Liebes- und Lebensgemeinschaften, wie der Slogan
We´ve all been there suggeriert, oder werden schlicht immer dieselben klischeehaften Abziehbilder wiedergekäut, die uns so oder noch derber («American Pie») bereits seit Jahrzehnten in Kino und TV begegnen?
Netflix ist mit einer Bestellung von zwei Staffeln direkt ins Risiko gegangen. Zyniker vermuten, man wollte den erfolgreichen Autor und Regisseur Apatow – zunächst ohne Rücksicht auf die Qualität der neuen Serie – einfach erstmal an den Streaming-Riesen binden.
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Und tatsächlich: Nimmt man die ersten Episoden von «LOVE» als Maßstab, erfindet die sogenannte Apatow-Gang weder das Rad noch das Genre noch den Humor neu. Nicht, dass man das immer müsste. Freunde von
Christopher Bookers Buch
The Seven Basic Plots: Why We Tell Stories wissen: Es gibt im Kern nur sieben Geschichten – die Frage ist eben, wie clever man diese kombiniert und umsetzt. Das Publikum nach sechs Staffeln Carrie Bradshaw und sieben Staffeln Hank Moody jedoch fast schon auf Autopilot durch stereotype Situationen zu schicken, riecht nach einer Spur zu viel
safety first.
Besonders wenn man zusätzlich noch mit der Brechstange den Nerd-Faktor von «The Big Bang Theory» in den Mix wirft und hofft, dass die krude Mischung schon irgendein Publikum finden wird.
Man möge das nicht falsch verstehen - die Prognose ist trotz dieser harschen Worte klar: Die Serie wird ein Publikum finden. Sie ist kompetent geschrieben und umgesetzt, kann stellenweise berühren und bietet qualitativ hochwertiges Serien-TV. Dennoch präsentiert sie im Kern eben auch ein arg substanzloses wie überstrapaziertes und zu kalkuliertes Szenario, das mehr ermüdet, als es aus der Reserve lockt.
Eine Serie vom Reißbrett. Schade.
Haben wir ein Problem, Houston?
Die Frage muss erlaubt sein: Tut Netflix sich mit seinem Investitions-Gigantismus wirklich einen Gefallen? Oder genauer: Wem tut Netflix damit eigentlich einen Gefallen? Macht es wirklich Sinn, den Ausstoß an Serien immer weiter zu erhöhen? Vielleicht ist eine Bestandsaufnahme angesagt.
Hell leuchten sie, die Treffer
Keine Frage: Netflix ist für einige der großartigsten und mutigsten neuen Serie der vergangenen Jahre verantwortlich. «House of Cards» sei an dieser Stelle sicherlich zuerst genannt – auf eine derart hochwertig geschriebene und mitreißend gespielte Politserie musste man lange warten – und selbst hinter Genre-Ikone «The West Wing» braucht sich das Format nicht zu verstecken. Dennoch bleibt hier mahnend abzuwarten, ob man auch diese Kuh nicht inzwischen zu lange melken möchte und sich das Format überhaupt weiter wird tragen können. Auch abseits der grandiosen One-Man-Show eines Kevin Spacey.
Mit «Narcos» und« Sense8» bewies man darüber hinaus zuletzt den Mut, komplexe und nicht zwingend massentaugliche Stoffe mit viel Kreativität und in bestechender Qualität umzusetzen und den Machern und ihrer Vision zu vertrauen.
Auch «Orange is the New Black», «Grace and Frankie» und «Bloodline» gefallen als würdige Vertreter ihrer jeweiligen Genres, auch wenn diese keine großen Innovationen darstellen, sondern eher durch ihre gediegene Machart oder starke Darsteller punkten.
Hinzu kommen mit «Daredevil» und «Jessica Jones» die ersten beiden Serien des großen Marvel-Deals, die beide durch eine dichte Erzählung, hohes Produktionsniveau und eine spannende Dramaturgie überzeugen konnten. Viel Licht für Serienfreunde also.
Der Zuschauer erkennt den Sinn der „Off“-Taste
Darunter mischen sich jedoch auch Serien, die wenig bis gar keinen echten Mehrwert darstellen, sondern sich eher wie Schnellschüsse oder plumpe Plagiatsversuche anfühlen.
Scheintote Stoffe wie «Marco Polo», das auf der «Game of Thrones» und «Spartacus»-Welle schwimmen möchte, dabei aber dramaturgisch Schiffbruch erleidet sowie furchtbare Dutzendware wie «Between» und «Hemlock Grove», die man eher bei The CW erwarten würde, sind hier zu nennen.
Dazu das viel zu sehr auf die Zielgruppe der «Simpsons»-Fans abzielende «F is for Family», das mit seiner provokanten Derbheit inhaltliche Schwächen zu überspielen sucht, oder das erschreckend mittelmäßige aber dabei unsäglich bemüht-zynisch-cool wirkende «BoJack Horseman».
Hier flossen wertvolle Entwicklungsgelder in Rohrkrepierer, die durch sorgfältigere Planung und einen genaueren Blick auf die jeweiligen bereits schwachen Prämissen eventuell hätten vermieden werden können. Man schiele an dieser Stelle verschämt auf das eigentliche Objekt dieser Rezension – «LOVE».
Fanservice oder Funeral Service?
Hinzu kommt die immer größer werdende Rubrik des sogenannten Fanservice – also Serien, die aus Liebe zu Fans neu aufgewärmt, aber leider selten zu neuen Höhen geführt werden.
So verrückt «Wet Hot American Summer: First Day of Camp» auch im Ansatz war, so unerträglich gaga und in die Länge gezogen wurde es letztlich in der Ausführung. Dazu «The Killing», das die vorher so beliebte Serie mit einer Staffel beendete, die mehr Ablehnung als Zuneigung generierte.
Auch an anderen Stellen gibt es viele Fragezeichen: Ob das bitter-zynische «Black Mirror» seine Qualität der bisherigen sieben Episoden in einer 12 Episoden langen neuen Staffel wird halten können? Braucht jemand wirklich die Fortführungen «Degrassi: Next Class» oder «Fuller House»? Oder das «Lost in Space»-Reboot? Eine weitere Staffel der «Gilmore Girls»?
Von dem zu befürchtenden Marvel-Overkill samt möglicher Qualitätsverwässerung noch ganz zu schweigen. Eines steht außer Frage: Netflix will viel – stochert dabei aber auch erstaunlich oft in der Vergangenheit oder bekannten und oft durchfahrenen Gewässern.
Vom Suchen und Finden der Hits
Netflix
- Mit derzeit 47 Millionen Abonnenten ist Netflix der größte Video-Anbieter der Vereinigten Staaten.
- Gemessen an den Nutzerzahlen hat Netflix in den USA bereits mehr Zuschauer als jeder einzelne herkömmliche Fernsehsender.
- Weltweit kommt man aktuell auf rund 81 Millionen Abonnenten.
- Bis auf die Volksrepublik China, Nordkorea, Syrien und die Krim ist Netflix weltweit verfügbar.
Eines darf man bei all diesen Kritikpunkten aber nicht vergessen: Mut zum Risiko ist unabdingbar im Konzert der Großen und letztlich auch Teil der Firmenstrategie.
Niemand hat sich das
think big-Mantra größer auf die Fahne geschrieben, als das Unternehmen aus Los Gatos. Hier wird nicht gezaudert, hier wird geklotzt.
Und wo wir schon in beim Phrasendreschen sind: Wo gehobelt wird, fallen Späne – Netflix sollte jedoch aufpassen, dass der Berg dieser Späne nicht irgendwann die Qualität der Treffer überragt.
«LOVE» zumindest gesellt sich leider eher auf den Haufen dieser Späne - und das sogar garantierte zwei Staffeln lang.
Fazit
«LOVE» ist nett. «LOVE» überrascht nicht. «LOVE» lädt zum Schmunzeln ein. Und das Gute: Je weniger ähnliche Formate der Vergangenheit man kennt, desto erfreulicher wird das Treiben auf dem Schirm. Für alle anderen gilt das Motto der Serie, nur mit einer etwas zynischeren Note:
been there, done that.
Was Netflix angeht, steht die Serie exemplarisch für eine kreative Sackgasse: Recycling und Nummer sicher. Und auch wenn mir
Mr. Booker vehement widersprechen würde: Es gibt genug frische Ideen und mutige Kreative da draußen – diese gilt es zu finden. Wenn das einem gelingt, dann vermutlich Netflix.