Quotenmeter.de hat mit dem «Deutschland 83»-Produzenten Jörg Winger darüber gesprochen, welche Lehren er aus dem Zuschauer-Feedback zieht und ob es eine zweite Staffel geben kann.
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Die Klickzahlen bei RTL Now sind laut unseren Kollegen von RTL gut, ganz genaue Zahlen liegen uns allerdings nicht vor. Das nenne ich die neue Intransparenz im Fernsehen.
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Jörg Winger
Im Facebook-Feedback-Faden war wiederholt zu lesen, dass potentielle Zuschauer «Deutschland 83» gar nicht erst einschalteten, weil sie RTL keinen angemessenen Umgang mit dem historischen Stoff zugetraut haben. Hat RTL ein Imageproblem?
RTL hat in dem Sinne kein generelles Imageproblem. Wir haben aber bemerkt, dass es bei zwei Zuschauergruppen schwierig ist, sie zu RTL rüber zu kriegen, obwohl sie wichtig für unsere Serie sind – und in Ländern wie den USA, Italien, Spanien und England auch eingeschaltet haben: Das ist einerseits das ältere Publikum, das klassischerweise zu den öffentlich-rechtlichen Sendern tendiert und nur in Ausnahmesituationen zu RTL wechselt. Nämlich wenn Fußball läuft oder Günther Jauch – diese etablierte Marken funktionieren bei diesen Zuschauern als Brücke zu RTL. Und wie ich durch «Deutschland 83» erfahren habe, kann es noch so viele Plakate und gute Pressestimmen geben, aus dem Stand heraus wird man nicht zu einer bekannten Marke. Daher hat dieses Publikum nicht zu uns gefunden – es besteht eine dicke Mauer zwischen öffentlich-rechtlichen Zuschauern und den Privaten. Andererseits fehlten uns die sehr jungen Zuschauer, die Premium-Serien mögen. Denn die wollen diese Serien am liebsten gucken, wann und wo immer sie wollen, und das idealerweise ohne Werbeunterbrechung.
Dass nicht genug auf die Zugangsmöglichkeiten außerhalb der linearen Ausstrahlung hingewiesen wurde, war da konsequenterweise ein weiterer Kritikpunkt, der häufig in den Antworten auf den Feedback-Aufruf zu lesen war. Daraufhin hat UFA Fiction verstärkt auf diese Optionen hingewiesen. Hat dies etwas gebracht?
Die Klickzahlen bei RTL Now sind laut unseren Kollegen von RTL gut, ganz genaue Zahlen liegen uns allerdings nicht vor. Das nenne ich die neue Intransparenz im Fernsehen: Früher wussten wir genau, dass unsere Sendung zu einer bestimmten Zeit auf einem bestimmten Sender läuft, und am nächsten Morgen lagen durch die GFK-Quoten für genau diese Ausstrahlung relativ exakte Zahlen vor. Somit hatte man eine konkrete Vorstellung davon, wie viele Leute aus welchen Altersgruppen ein Format gesehen haben. Heute kann ich das nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, wie viele Leute nach den ersten beiden, im linearen Fernsehen noch erfolgreichen Folgen, zu RTL Now, zu Amazon Prime, zu iTunes, in halb- oder illegale Kanäle abgewandert sind oder sich vorgenommen haben, die Serie auf DVD zu kaufen und dann erst weiterzuschauen. Es gibt so viele Kanäle, eine Sendung zu verfolgen, dass ohne etabliertes Modell, diese Zahlen zu summieren, wir als Produzenten nicht mehr wissen, wie viele Zuschauer wir tatsächlich in Deutschland erreicht haben.
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Der Gedanke, seinen Tag auf einen Sendetermin auszurichten, stirbt aus. Für Fiktionales wird bald kaum jemand zu einer bestimmten Zeit vor dem Fernseher sitzen, um einen bestimmten Sender zu schauen.
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Jörg Winger
Wird diese Diversifikation für Fernsehmacher insofern auch zu einem Problem?
Dahingehend, dass wir nur noch erahnen können, wie groß die Fangemeinde einer Produktion ist, schon. Denn das Sehverhalten wird sich meiner Einschätzung nach nicht mehr zurück entwickeln: Immer mehr Zuschauer wollen darüber bestimmen, wann sie etwas sehen, und auch darüber, welchen der Zugangskanäle sie verfolgen. Der Gedanke, seinen Tag auf einen Sendetermin auszurichten, stirbt aus. Für Fiktionales wird bald kaum jemand zu einer bestimmten Zeit vor dem Fernseher sitzen, um einen bestimmten Sender zu schauen – von Live-Events und dem Sonntagabend und dem «Tatort» vielleicht abgesehen. Das ist selbst für viele junge Leute die letzte Bastion.
Hat das zukünftig vielleicht Einfluss auf die Programmgestaltung?
Das kann ich mir vorstellen. Viele User haben uns bei Facebook auch geschrieben: „Ich komme immer erst kurz vor oder während «Deutschland 83» nach Hause, und kann mich dann nicht sofort auf die Serie konzentrieren.“ Im Hinblick darauf, wie sich die Arbeitswelt, das Familienleben, und damit auch das Sehverhalten verändern, glaube ich daher, dass sich die Primetime für hochwertige Formate von 20.15 Uhr auf 21 Uhr verschiebt.
Interessante Beobachtung, aber ist es realistisch, dass sich die starre Programmstruktur ihr entsprechend verändern lässt?
Das wird nicht sehr einfach. Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wird das eine schwere Aufgabe. Aber es gibt tatsächlich bereits entsprechende Überlegungen bei den Sendern. Im Kleinen sieht man dies etwa bei «Morgen hör ich auf» im ZDF, das sehr erfolgreich auf einem neuen, ungewohnten Slot läuft.
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In ein paar Wochen wollen wir – also UFA, Fremantle und RTL – uns erneut zusammensetzen und überlegen, ob, und wenn ja, wie eine zweite Staffel umgesetzt werden kann.
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Jörg Winger über die Zukunft von «Deutschland 83»
Unser letztes Interview hat sich ja leider als prophetisch erwiesen, als dass «Deutschland 83» kein TV-Erfolg wurde und nun nach Möglichkeiten gesucht werden muss, die Ideen für «Deutschland 86» dennoch in die Tat umzusetzen. Letztes Mal meinten Sie, lieber nach Produktionspartnern im Ausland Ausschau halten zu wollen, als die Fortsetzung von «Deutschland 83» in Fernsehfilmform zu bringen. Bleibt es dabei?
Wir haben uns vorgenommen, abzuwarten, wie «Deutschland 83» in England läuft. Das funktioniert jetzt schon mal super. Wir sind dort die beste fremdsprachige Serie aller Zeiten und „Talk of The Town“. Auch in Schweden sind wir gerade sehr gut angelaufen. In ein paar Wochen wollen wir – also UFA, Fremantle und RTL – uns erneut zusammensetzen und überlegen, ob, und wenn ja, wie eine zweite Staffel umgesetzt werden kann.
Noch sind die «Deutschland 86»-Pläne also nicht begraben?
Nein, zum Glück ist eine Umsetzung noch denkbar.
Dass Totgesagte länger leben, bewies ja gewissermaßen auch der Personalcoup mit Gabriel Merz‘ Rückkehr bei «SOKO Leipzig». Wie kam das zustande?
Seit Gabriels Ausstieg war es so, dass im «SOKO Leipzig»-Team immer wieder ein Seufzen zu vernehmen war, wenn sein Name fiel. Wir haben ihn sehr vermisst, und auch wenn wir uns im beidseitigen Einvernehmen getrennt haben, dachten wir in all den Jahren wiederholt darüber nach, wie wir ihn zurückbringen könnten. Gabriel, der ja nicht nur ein umtriebiger Schauspieler, sondern auch ein sehr fähiger Autor, Produzent und Regisseur ist, kam ebenfalls mit dem Wunsch auf uns zu. Also haben wir uns eines Tages zusammengesetzt und gesagt: „So, jetzt machen wir’s!“ Und somit haben wir uns aufgemacht, die Geschichte seines „Evil Twins“ zu erzählen! (lacht)
Was eine ungewöhnlich schräge Episode für die Serie war. Generell erhebt sie ja mehr Anspruch.
Ja. Vor kurzem haben wir eine Anfrage vom Bundesamt für politische Bildung bekommen, das sich unsere Folgen zum Thema Stasi angeguckt hat, die wir als Reaktion auf die BILD-Berichte über Andreas Schmidt-Schaller gedreht haben. Es kam ja heraus, dass er als junger Mann zwischenzeitlich als IM tätig war, diese Tätigkeit aber während seiner Theaterzeit aus freien Stücken niedergelegt hat. Und auch wenn zum Glück durch ihn niemand zu Schaden kam, nahmen wir diese Berichte zum Anlass, eine Geschichte über die Stasi-Vergangenheit seiner Figur Kriminalhauptkommissar Trautzschke zu erzählen. Diese Episoden möchte nun das Bundesamt für politische Bildung in Schulen zeigen, was ich als eine große Ehre empfinde, da es aufzeigt, dass unser Anspruch, unterhaltsam auch auf Geschichte einzugehen, ankommt.
Was steht außerdem für «SOKO Leipzig» an?
Wir werden in der kommenden Staffel einen kleinen Relaunch wagen, mit neuem Vorspann und einer noch stärkeren horizontalen Ausrichtung. Damit wollen wir sie noch mehr als Premium-Serie wahrnehmbar machen.
Vielen Dank für das spannende Gespräch.