Optisch Kraftklub, politisch rechts der NPD

Die Kritiker: Die ZDF-Webserie «Familie Braun» parodiert Neonazis. Wie es sich für eine echte Webserie gehört, wird sie im linearen Fernsehen ausgestrahlt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Edin Hasanovic («Kriminaldauerdienst») als Thomas, Vincent Krüger («Gute Zeiten, schlechte Zeiten») als Kai, Nomie Laine Tucker als Lara und Karmela Shako als Laras Mutter, außerdem LeFloid und andere YouTuber in Gastrollen


Hinter den Kulissen:
Regie: Maurice Hübner, Buch: Manuel Meimberg, Musik: Maik Oehme und Marie Meimberg, Kamera: Julia Hönemann, Schnitt: Christoph Gripentrog, Produktion: Polyphon

Sie sind nicht mehr die klassischen Skinheads mit Bomberjacken und Springerstiefeln, schon klar. Wer als Neonazi etwas auf sein arisches Blut hält, der kleidet sich mittlerweile adrett, macht sich morgens nach dem Aufstehen die Haare und bügelt seine Hosen, am liebsten während der allabendlichen «Unter Uns»-Folge. So erklärt es sich dann auch, dass die vom ZDF in einer Serie künstlerisch-überhöht dargestellten Nazis optisch eher aussehen wie die Mitglieder der Band Kraftklub, obwohl sie ihnen politisch kaum ferner sein könnten. Kraftklub nämlich sind keinesfalls rechtsgesinnt, weshalb ihnen auch die Kleiderordnung der Nazis kaum passen dürfte. Auf den Namen «Familie Braun» hört diese Serie, acht Folgen à 5 Minuten hat man der Produktion spendiert, die in jeder Faser so wirkt als handele es sich um eine Produktion aus dem TV Lab. Zu sehen ist das Format dabei nicht nur Online. Wie es sich für eine echte Webserie gehört, strahlt das ZDF die Folgen auch linear aus.

Die Ähnlichkeit zu TV-Lab-Produktionen zeigt sich vor allem am Anfang, der mit einer verwackelten Handkamera gleich voll darstellen soll, was für klasse Vorzeige-Nazis die beiden Protagonisten doch sind. Stolz rennen Kai und Thomas und ihr guter, aber leider (beabsichtigt) etwas unruhiger Freund namens Kamera vor Flüchtlingsheime oder brüllen im Bus „Sieg Heil“, wobei gerade dieser Moment (im Gegensatz zu den sonst dargestellten Sequenzen) durchaus authentisch wirkt. Insgesamt wird mit den klischeehaft überzeichneten Figuren jedoch ganz bewusst gespielt, eine realistische Annäherung an die rechte Szene jedenfalls soll das nicht sein.

Dominante Typen paaren sich miteinander
Wirklich konsistent scheint das Bild dabei auch nicht, was jedoch weniger mit der bewussten Überzeichnung und viel mehr mit der Verknüpfung von verschiedenen Typen des Neonazis zu tun hat. So gibt es ihn durchaus, den hippen, gut angezogenen und auf den ersten Blick gar nicht so radikal wirkenden Rechten, dessen wahre Ideologie zumindest in Ansätzen noch versteckt ist und – soweit möglich – mit einem Stück intellektueller Tiefe und einem großen Haufen Wahnsinn unterfüttert ist. Ebenso gibt es nach wie vor genau eben jenen Nazi der mit Glatze durch das Land rennt und alles anpöbelt, was nicht aussieht wie er oder einen Namen hat, der womöglich nicht aus Deutschland stammt. (Der Autor dieser Zeilen fragt sich an dieser Stelle, ob sein Nachname „Servatius“ schon Grund genug für eine Pöbelei wäre, wo die Person hinter dem Namen doch vermutlich so deutsch ist wie Kartoffelbrei. Aber das spielt wohl eigentlich nicht wirklich eine Rolle.) Seltsamerweise wurden für die ZDF-Serie diese beiden dominanten Typen der Szene aber gepaart. Mal abgesehen davon, dass sich paarende Männer bei echten Neonazis wohl einiges an Groll hervorrufen müssen, fügt sich das Bild der Serie in diesem Aspekt aber kaum zusammen. Hier hätte sich das Format für eine Richtung entscheiden müssen, wobei innerhalb dieser Richtungsentscheidung gerne jedes Klischee vorangeprügelt werden darf, solange es Entlarvung oder Parodie dient.

Steckbrief

Frederic Servatius schreibt seit 2013 für Quotenmeter. Dabei ist er zuständig für Rezensionen und Schwerpunktthemen. Wenn er nicht für unser Magazin aktiv ist, arbeitet er im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder schreibt an seinem Blog. Immer wieder könnt Ihr Frederic auch bei Quotenmeter.FM hören. Bei Twitter ist er als @FredericSrvts zu finden.
Zweifelsohne ist es aber der Witz der Grundkonstellation von der die Serie leben soll. Denn es bleibt nicht bei den beiden Nazis, in der ersten Folge steht plötzlich eine dunkelhäutige Frau vor der Tür. Sie erklärt dem verdutzten Rechten, dass sie einst ein One-Night-Stand mit dem strammen Kameraden hatte und zeigt auf das Produkt dieser Nacht – das sechsjährige Mädchen Lara. Und weil Mutti schnell in die Heimat fliehen muss (an sich in der Situation eine gelungene Überzeichnung, in der Darstellung der Mutter aber leider doch zu nah am rassistischen Klischee), soll der Nazi künftig auf seine Tochter aufpassen. Viel mehr allerdings passiert dann in den kommenden Folgen auch nicht mehr, es ändert sich nicht wirklich etwas. Hier Mal ein Lehrerbesuch zuhause und da die Suche nach einem neuen Mitbewohner. Für insgesamt über vierzig Minuten ist das aber zu wenig, zumal die Situation als Solche zwar durchaus amüsant ist, aber eben keine Tiefe oder gar eine Metaebene bietet.

Musikalisch hat die YouTuberin und Musikerin Marie Meimberg Unterstützung geleistet, was ehrlicherweise aber nicht besonders auffällt. Der Score jedenfalls bleibt blass. Gerade für eine Webserie sticht ferner ins Auge, dass das ZDF ein paar Euro mehr zur Verfügung hat als der durchschnittliche Webvideo-Produzent. Auf Ebene der Produktionsqualität jedenfalls gibt es wenig zu klagen, nur wenn es gewollt ist (zum Beispiel beim Einsatz der Handkamera) geht der hochwertige Eindruck kurzzeitig verloren. Die Figuren hingegen wirken an sich fast sympathisch (wären es halt nicht solche Arschlöcher); die Darstellung ist passabel. Die Charakterisierung aber ist eben bewusst überhöht, was keine besonders gute Wirkung erzielt. Die Entwicklung der Protagonisten ist so offensichtlich wie deren Lieblingsgetränk (Bier – gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot). Entsprechendes gilt ungleich stärker für die Schlusspointe. In einigen Momenten geht es aber doch tiefer. „Warum hast Du ein Problem damit, dass ein Ausländer denkt du wärst schwul?“, fragt dann eine der Hauptfiguren die andere. Dann darf der Zuschauer auch mal kurz Nachdenken. Aber der schnelle Schnitt folgt umgehend und dieser Moment gerät binnen Sekunden in Vergessenheit.

Die YouTube-Nazis – Jetzt abonnieren
„Du bist ein scheiß Nazi“ wirft der eine Rechte dem anderen vor, wobei es von seiner Warte aus eben auch den „guten Nazi“ gäbe, anders als es die Formulierung „scheiß Nazi“ sonst meint. So in die Absurdität gedreht sorgt «Familie Braun» tatsächlich für Lacher, wenigstens aber für Schmunzeln. Auch solche Momente sind aber – ebenso wie die nachdenklichen Sequenzen – absolute Ausnahmen. Dazu gehören auch jene zwei Szenen, in denen die Nazis YouTube-Videos abdrehen, die qualitativ noch nicht einmal nach 2008 aussehen. Eher weniger unterhaltsam ist es, wenn sich Tochter Lara zu Karneval als Hitler verkleiden will. Der schockierte Rechtsradikale ist da schon vorprogrammiert. Das geht doch nicht, als Dunkelhäutige (Pardon, „Negermädchen“) Hitler sein zu wollen. Das verträgt sich ja nicht mit dem Rasseverständnis. Ist ja klar. Aber witzig ist es nicht.

Was aber ist letztendlich die Message der Produktion? Dass Nazis doof sind? Das mag in den meisten Fällen stimmen, ein verqueres Weltbild haben sie zweifelsohne. Aber das als Aussage der Produktion wäre dann doch ein bisschen wenig. Vermutlich soll aber etwas anderes ausgedrückt werden. Man muss die Menschen erstmal kennen lernen, erst dann kann man ein Urteil über sie fällen. Tatsächlich scheint es in der derzeitigen Lage der Republik so, als wäre diese Nachricht im Grundsatz nötig. Eine solche Argumentation wäre zumindest schlüssig. Aber genug ist das eben lange nicht, zumal die Nazis für ihr Verhalten irgendwie nicht einmal die Quittung bekommen. Es mag nicht beabsichtigt sein, aber in der Sendung bekommt die rechte Ideologie eher Streicheleinheiten als dass sie inhaltlichen wirklich in die Mangel genommen wird. Kann man so machen, ist halt Unterhaltung mag der Leser dieser Kritik da einwerfen. Nicht, dass es falsch wäre über Hitler und Nazis zu lachen. Ganz im Gegenteil, man darf und muss sich mit allem satirisch-kritisch auseinandersetzten, auch und gerade mit dem Nationalsozialismus. Und das würde auch funktionieren – wenn die Serie doch nur lustig wäre.

Die ersten beiden Folgen von «Familie Braun» zeigt das ZDF am Freitag, 12. Februar um 23 Uhr. In den Wochen danach wird die Serie zu wechselnden Sendezeiten ausgestrahlt. Alle Folgen gibt es am Montag, 15. Februar ab 0.15 Uhr oder online zu sehen.
09.02.2016 10:06 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/83653