Läuft es in der Beziehung nicht mehr, streitet man und trennt sich. Funktioniert die Lieblingsserie nicht mehr, motzt man und schaltet aus. Was das miteinander zu tun hat? Eine Analyse des Zombiekults – und unserer Gesellschaft.
Prolog
Zombie-Infos
- Erstausstrahlung: 31.10.2010
- Entwickelt von: Frank Darabont
- Komponist: Bear McCreary
- Episodenzahl: 75 (Stand 2/2016)
- Laufzeit: 42 bis 67 Minuten
Es war einmal im Jahr 2005 in einem kleinen Buchladen in Burbank, Kalifornien, als Autor und Regisseur
Frank Darabont (The Shawshank Redemption, The Green Mile, The Mist) auf die Comic-Reihe «The Walking Dead» stieß – es war Liebe auf den ersten Blick.
Nach einem gescheiterten Deal mit NBC (man fragt sich, wessen Stuhl diese Fehlentscheidung gekostet haben mag), landete er schließlich bei AMC, das zu diesem Zeitpunkt bereits mit den hochwertigen und gefeierten Serien «Mad Men» und «Breaking Bad» von sich reden machte.
Nur aufgrund des Vertrauens in das Ausgangsmaterial sowie durch die Beteiligung von Frank Darabont gab man der Serie direkt eine Staffelbestellung.
Season 1: Edel-Gore eines Könners
Und tatsächlich gelang ihm mit den ersten sechs Episoden eine atmosphärisch dichte, erzählerisch anspruchsvolle und in der Umsetzung drastische Version der Vorlage, die auf Anhieb wie eine Bombe einschlug.
Die Charaktere erhielten früh Ecken und Kanten, erste persönliche Grenzen wurden überschritten und durch einen Abstecher ins CDC nach Atalanta machte man Zuschauern und Charakteren das Ausmaß und die Ausweglosigkeit ihrer Situation deutlich. Eine auf dreizehn Episoden ausgeweitete zweite Staffel war schnell beschlossene Sache, doch führten kreative und ökonomische Differenzen zum Ausscheiden von
Frank Darabont.
Season 2: Mehr Waltons als Weltuntergang
Im Rückblick auf die zweite Staffel erinnern sich viele nur an eine fast schon meditativ anmutende Atmosphäre auf Hershels Farm, die endlosen Zank- und Zickereien von und mit Lori und die Dauerfehde zwischen Shane und Rick. Dabei hatte das zweite Jahr mit Shanes radikalem Vorgehen gegenüber Otis, dem finalen Konflikt zwischen ihm und Rick und Carls drastischer Einmischung, der Enthüllung rund um die verschwundene Sophia sowie dem Angriff auf die Farm durchaus denkwürdige Highlights zu bieten.
Doch keine Frage: Hier wurde auch Potential verschenkt, man ließ sich für einige Entwicklungen zu lange Zeit und stellte einige Zuschauer damit auf eine harte Geduldsprobe. Vielleicht hatte der Showrunnerwechsel zu
Glen Mazzara hinter den Kulissen Energien gebunden, die letztlich auf dem Schirm fehlten.
Season 3: Der Governor dreht die Spannungsschraube
Mit dem dritten Jahr waren diese Probleme jedoch vergessen. Das verlassene Gefängnis mit seinen hohen Zäunen und den unübersichtlichen Geheimnissen im Inneren stellte sich als deutlich geeigneterer Schauplatz als die Farm heraus und unterstrich die Klaustrophobie der Situation und die Isolation der Charaktere.
Dramatische Ereignisse wie T-Dogs Opfer, Loris Tod in Verbindung mit Judiths Geburt und Carls drastischem Vorgehen sowie Ricks Depressionen hielten die Spannung hoch. Doch auch die Einführung der Stadt Woodbury unter der Führung des sogenannten Governors, sowie neue Charaktere wie Michonne oder die Rückkehr von Merle ließen keine Langeweile aufkommen.
Im Governor fand man zudem einen würdigen und hochinteressanten Gegenspieler für Rick, der zudem noch über eine äußerst tragische Hintergrundgeschichte verfügte. Bestes Drama und bis heute kreativer Höhepunkt der Serie.
Season 4: Seuche, Governor-Rückkehr & getrennte Wege
Spannend blieb es auch im darauffolgenden Jahr: Mit der Seuche, der Rückkehr des Governors, Hershels Tod, der Zerstörung des Gefängnisses und den in alle Winde verstreuten Überlebenden beschritt man neue Wege und destillierte unerwartete Einblicke aus bekannten Figurenkonstellationen.
Neue Freunde (Tara, Abraham, Rosita und Eugene), traumatische Verluste (Mika und Lizzie) und der lange Weg zu dem mysteriösen Ort Terminus, ließen auch diese Staffel wie im Fluge vergehen.
Und wie die Charaktere innerhalb der Staffel, gingen auch Serie und Showrunner am Ende erneut getrennte Wege –
Glen Mazzara hatte andere Vorstellungen von der zukünftigen Ausrichtung als AMC und wurde durch
Scott Gimple ersetzt.
Season 5: Handzahme Kannibalen & eine neue Oase
Sonnenklar: Die Terminus-Storyline war eine Riesenenttäuschung, die dem Setup nie gerecht wurde. Auf der einen Seite war es dabei natürlich eine charmante weil unkonventionelle Idee, die große Bedrohung derart schnell platzen zu lassen – als Zuschauer konnte man sich aber auch problemlos auf den Arm genommen fühlen.
Vielleicht löste der neue Showrunner die (ungeliebte?) Thematik aber auch schlicht im Sinne des Senders kurz und schmerzlos auf?
Die restliche Staffel enttäuschte jedoch nicht und kreierte einige starke Momente, ohne dabei jedoch die Qualität des dritten und vierten Jahres gänzlich zu erreichen. Dass man am Ende dann aber ein weiteres Mal in eine Safe-Zone einzog und somit eine Story auf den Weg brachte, die bereits im Ansatz frappierend an das Woodbury-Desaster erinnerte, mag für einige Fans ein weiterer Sargnagel gewesen sein. Drehte man sich inhaltlich langsam im Kreis? Zufluchtsort, düstere Geheimnisse, Rebellion, Chaos, Zerstörung und
on the road again? Würde das endgültig zur Dauerformel der Serie werden?
Season 6: Verdammt nochmal, warum ist Glenn nicht tot?
Das größte Thema der bisherigen acht Episoden der sechsten Staffel war das Schicksal von Glenn, der sich am Ende der dritten Episode in einer schier ausweglosen Situation befand, zur Enttäuschung vieler dann aber schließlich doch wieder auftauchte. Dies führte bereits während seiner zeitweisen Abwesenheit (bei der der Schauspieler sogar aus dem Vorspann entfernt wurde) zu der Grundsatzdebatte, ob die Macher zu feige wären und die Serie zu sehr auf Nummer sicher gehen würde, was das Schicksal zentraler Charaktere angeht.
Zombiemäßige Quoten
- Season 1: 5,24 Millionen (6)
- Season 2: 6,91 Millionen (13)
- Season 3: 10,75 Millionen (16)
- Season 4: 13,33 Millionen (16)
- Season 5: 14,38 Millionen (16)
- Season 6: 13,23 Millionen (8/16)
- Höchste Zuschauerzahl: 17,29 Millionen bei "No Sanctuary" (5#01)
US-Durchschnitt bei Gesamtzuschauern, in Klammern die Anzahl der Episoden.
Doch wie hat sich der Cast in fünfeinhalb Jahren eigentlich verändert? In der ersten Staffel bestand die Gruppe aus Rick, Shane, Lori, Andrea, Dale, Glenn, Carl, T-Dog, Carol, Ed und Sophia sowie in den Brüdern Daryl und Merle.
Von diesen dreizehn Charakteren sind nach aktuellem Stand bereits acht verstorben. Von den zwischenzeitlich neu eingeführten Charakteren Hershel, Beth, dem Governor, Tyreese, Bob, Gareth oder auch Lizzie und Mika hat niemand überlebt. Einzig Maggie, Michonne und Morgan (der bekanntermaßen auch vorher schon aufgetaucht war) sind bereits länger dabei und noch am Leben. Weitere aktuelle Castmitglieder sind ohnehin erst seit der vierten oder fünften Staffel dabei.
Man sieht: Es gab außergewöhnlich viele schmerzhafte und teilweise auch überraschende Opfer – dazu nicht einmal immer nur die, die man aus den Comics erwarten durfte. Hier spielte man sowohl mit den dort vorgegebenen Geschehnissen an sich wie auch mit den zeitlichen Abläufen. Bei einer derartigen Fluktuation kann man der Serie sicher kein
play it safe vorwerfen. Der Cast ist in einem ständigen Umbruch begriffen, die immanenten Gefahren der Umwelt kommen voll zum Tragen.
Dass Fanlieblinge wie Rick, Daryl oder eben auch Glenn und Maggie bisher unangetastet blieben, muss man den Produzenten (wie auch Comic-Autor
Kirkman) definitiv verzeihen. Keine Serie kann auf Dauer ohne Identifikationsfiguren funktionieren – hier muss sehr genau zwischen Blutauffrischung und tödlichem Aderlass abgewogen werden. Dieser Spagat gelingt bisher eigentlich eher gut.
Baby, es ist vorbei
Dieser kurze Abriss zeigt: Der TV-Serie «The Walking Dead» kann man durchaus einige Punkte vorwerfen: Die Handlung wurde besonders in der zweiten Staffel stark verschleppt, einige Charaktere waren nie mit hochklassigen Dialogen gesegnet (Lori, Carl), andere wurden sträflich vernachlässigt (T-Dog).
Zombie-Comics
- Autor: Robert Kirkman
- Zeichner: Tony Moore (#1–6), Charlie Adlard (seit #7), Stefano Gaudiano (Tusche-Zeichner seit #115)
- Erste Ausgabe: Oktober 2003
- Bisherige Ausgaben: 151 (Stand 2/2016)
Am Ende kommen wir jedoch immer wieder auf die Vorlage zurück.
Robert Kirkman hat bereits einen riesigen Fundus an Geschichten erzählt und adaptiert diese nun gemeinsam mit einem Team für den TV-Schirm. Dass das Ergebnis dabei auch eine Summe ihrer Teile ist, leuchtet ein.
Der Serie hier einen Generalvorwurf zu machen, wäre jedoch in etwa genauso zielführend, wie
Camerons «Titanic »vorzuwerfen, dass das Schiff am Ende sinkt. Oder einer Verfilmung von Faust, dass der Protagonist stirbt.
Man sollte es vielleicht von der anderen Seite sehen: Trotz der Beschränkungen bewegt sich «The Walking Dead» mit durchaus kreativem Spielraum in einer im wahrsten Wortsinn vorgezeichneten Welt und muss und will genau wie wir mit deren Begrenzungen leben. Das kann man sicher feige oder uninspiriert finden, das darf man auch wortreich kritisieren – die Serie macht damit jedoch nichts anderes, als zu ihrem gefeierten Beginn zurückzukehren. Sie ist sich selbst treu geblieben – nur wir haben unsere Sichtweise angepasst und verändert.
Letztlich genau wie in vielen zwischenmenschlichen Beziehungen: Was am Anfang spannend ist, entlockt irgendwann nur noch ein müdes Lächeln – und man geht auseinander. Im Serienfall sinken an so einer Stelle die Quoten. Doch ist das im seltensten Fall ein kompetentes Statement über den Ex-Partner – und somit eben auch nicht zwingend über die Ex-Lieblingsserie.
Ja, dieser Vergleich mag sonderbar anmuten – er trifft jedoch leider zu. Die Reaktion eines Menschen ist in beiden Fällen die gleiche. Unzufriedenheit und das Gefühl, der Partner oder die Serie kann sich einfach nicht dem eigenen Erwartungsschema anpassen. Ist die Frustration zu groß und eine konsequente Entscheidung herbeigeführt worden, bleibt die Schuldfrage, die es mit anderen zu erörtern gilt. Und auch hier herrscht Duplizität der Ereignisse. Selten wird die Schuld bei sich selber gesucht, gerne hört das Umfeld den jeweils einseitigen Schilderungen zu – auf beiden Seiten. Die Serie ist hier nicht im Nachteil: Sie spricht wie der Ex-Partner letztlich durch ihre Qualität für sich und hat somit die Chance, zumindest andere auch weiterhin von sich zu überzeugen.
Auch Kult ist keine Konstante
Hinzu kommt das Problem des Kults. Etwas Neues ist da – es ist hip, es ist cool. Man erzählt es dem Nachbarn oder den Kollegen auf der Arbeit. Die Medien berichten – und irgendwie will jeder zumindest einmal reinschauen. Die Quoten steigen und wenn die Serie taugt, halten sie sich sogar – oder steigen gar weiter.
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Doch irgendwann ist der Peak erreicht – irgendwann wurden alle potentiellen Interessenten abgegrast, irgendwann ist es zu spät einzusteigen und irgendwann beginnt auch der öffentliche Herdenzwang nachzulassen.
Es gibt neue Trends, neue Hypes. An dieser Stelle beginnt fast immer das Bröckeln des Zuspruchs. Einige verlieren das Interesse, andere sind wie oben beschrieben unzufrieden mit der Richtung. Wieder andere wollten eh nur einmal reinschauen. Kaum eine große Serie – gerade im Bereich der fortlaufenden Erzählung – die mit diesem Problem nicht zu kämpfen hatte und hat. Und das ist nichts Ungesundes:
The only way is up mag ein lobenswerter und frommer Wunsch sein, ab einem gewissen Level aber eben auch ein unrealistischer. «The Walking Dead» darf in Sachen Einschaltquoten durchaus abbauen. Hieraus eine Qualitätsdebatte abzuleiten, ist jedoch überflüssig.
Fazit
Nein, «The Walking Dead» ist nach über fünf Jahren nicht mehr so taufrisch wie zu Beginn. Die Geschichte dreht sich tendenziell im Kreis und es steht zu befürchten, dass dies – wie auch in der Comic-Vorlage – noch eine ganze Weile so weitergehen wird. Wer dringend einen Shake-up benötigt oder globale Antworten sucht, wird vermutlich dauerhaft enttäuscht werden.
Die Produzenten können und werden, befeuert durch die immer noch starken Quoten, die Erfolgsformel auswalzen so lange es geht. Sollte irgendwann eines apokalyptischen Tages ein Ende in Sicht kommen, bleibt zu hoffen, dass sie dann auch einen guten inhaltlichen Plan in der Schublade haben.
So kann man bezüglich der weiteren Serie nur mit folgendem Rat dienen: Gefällt euch, was ihr bisher gesehen habt, bleibt ohne schlechtes Gewissen an Bord. Die Serie ist weiterhin überraschend, zeitweise zum Nägelkauen spannend und bietet viele Einblicke in das Menschsein unter Extrembedingungen. Ist das Nervpotential jedoch bereits hoch, wird es vermutlich auch nicht mehr sinken.
What you see is what you get. Jeder möge selbst entscheiden, ob das reicht.
Was uns wieder zum Anfang bringt: Für
Frank Darabont war «The Walking Dead» Liebe auf den ersten Blick. Doch war dieser Liebe leider kein langes Glück beschieden. Einige wechselnde Partner später sind jedoch beide Parteien auch heute noch im Spiel – gut, dass es im Leben eben doch immer irgendwie weiter geht.
Die Serie scheint in Sachen Quoten ihren Höhepunkt hinter sich zu haben - ist sie faktisch schwächer geworden oder gibt es andere Gründe? Oder ist sie vielleicht immer noch gleich gut oder sogar besser?