Der Fernsehfriedhof: Fernsehen im Fernsehen

Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 316: «Glashaus – TV intern» - Die Sendung, die den Fernseh-Bossen das Fürchten lehrte.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir den seltenen Momenten, in denen sich das Fernsehen versuchte, sich ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

«Glashaus – TV intern» wurde am 08. Oktober 1972 im Gemeinschaftsprogramm der ARD geboren und entstand zu einer Zeit, als sich in Deutschland eine allgemeine Forderung nach mehr Freiheit und Transparenz verbreitete. Ein Auslöser dafür war unter anderem Willy Brandts berühmte Ansage, künftig mehr Demokratie wagen zu wollen. In diesem Geiste entstand auch bei den Fernsehanstalten der Gedanke, die eigenen Abläufe und Entscheidungen künftig durchlässiger und öffentlicher zu gestalten. Dies war zugleich eine Reaktion darauf, dass sich der Rundfunk wachsenden Vorwürfen ausgesetzt sah, äußerst parteiisch über die Ereignisse im Land zu berichten. Etwa war der Westdeutsche Rundfunk (WDR) aufgrund einer vermeintlichen inhaltlichen Nähe zur SPD als „Rotfunk“ verschrien. Ziel war es daher, die Zuschauer über die Produktionsweise und Wirkungsformen des Fernsehens zu informieren, damit sie selbstbestimmter, kritischer und weniger misstrauisch mit dem Medium umgehen können.

Aus dieser Bewegung heraus, entwickelten sich mehrere kleine Projekte mit unterschiedlicher Schärfe: So berichtete man ab 1969 in «TV intim – Vor der Sendung notiert» im Ersten eher wohlwollend und werbend über das eigene Programm der ARD. Deutlich kritischer ging der NDR ab 1970 in seinem halbstündigen Magazin «Von Bildschirm und Leinwand» vor, das ausführliche Gespräche mit Verantwortlichen sowie Medienexperten beinhaltete und sich als „Wegweiser durch den Mediendschungel“ verstand. Allerdings versteckte man es lediglich im Hörfunk und verhinderte deswegen eine Aufarbeitung des Fernsehens im Fernsehen selbst.

Noch einen Schritt weiter ging der WDR, denn dieser ließ einerseits in «Kritik Replik» regelmäßig eingesandte Zuschauerpost vor laufenden Kameras beantworten und andererseits in «Reflexe» professionelle Kritiker ausgewählte Beiträge und Filme bewerten. Auf der Funkausstellung des Jahres 1971 ließ das Funkhaus außerdem eine einmalige Gesprächsrunde mit dem damaligen Programmdirektor Werner Höfer unter dem Titel «Wer im Glashaus sitzt... muss mit Steinen rechnen» aufzeichnen, deren erklärtes Vorhaben es war, das „TV-Medium für die Konsumenten durchsichtiger“ zu machen. All diese Versuche mündeten ab 1972 schließlich in die Reihe «Glashaus – TV intern», die sich unter der Zuständigkeit des WDR zum umstrittensten und gefürchtetsten Vertreter entwickeln sollte.

Darin versprach die zuständige Redaktion unter der Leitung von Martin Wiebel und Gastgeber Ludwig Metzger, „vorrangig Informationen mit kritischem Hintersinn“ liefern zu wollen. Insbesondere wollte man die „Bedingungen einer Produktion offenlegen, journalistische Mittel erörtern, Sehgewohnheiten analysieren und Programm-Politik erklären“. Zu diesem Zweck bestand jede Ausgabe aus mehreren Elementen, zu denen ein pointierter Einspielfilm zu einem aktuellen Thema, ein Interview, das Beantworten von Zuschauerpost, das sogenannte „Tele-Lexikon“ mit branchenspezifischen Begriffen sowie eine Diskussion mit mehreren Teilnehmern gehörten. Zuvor hatte sich dieses Konzept, welches in einer abgewandelten Form vorab im Dritten Programm des WDR einen Testlauf durchlief, intern gegen einen Vorschlag vom Südwestfunk durchgesetzt, der unter dem Titel «Nachspiel» über bereits ausgestrahlte Sendungen öffentlich diskutieren wollte.

Im Laufe der Jahre wurde auf diese Weise erörtert, ob private Konkurrenz das Angebot beleben würde, wie politisch die politischen Magazine seien, wie sehr sich Parteien und Fernsehen gegenseitig beeinflussen oder ob der Rundfunk langsam vergreise. Nicht selten stellten sich zudem Filmemacher und Programmentscheider den Fragen der Redaktion. Unter anderem meldete sich dort der Regisseur Rainer Werner Fassbinder zu seiner kontroversen Serie «Acht Stunden sind kein Tag» zu Wort. Dabei lösten längst nicht alle Auseinandersetzungen große Proteste aus - viele gerieten unspektakulär und routiniert. Andere hingegen verursachten desto heftigere Reaktionen und bescherten «Glashaus» einen Dauerplatz auf der Abschussliste. Die Beschwerden kamen aber hauptsächlich aus den Chefetagen der ARD-Häuser und somit aus dem eigenen Lager.

Der interne Kampf begann schon vor der Premiere, denn es war darin unter anderem geplant, die Show «Ein Platz an der Sonne» als „ärgerlichste Sendung des Monats“ zu bezeichnen. Dies unterband der NDR-Fernsehdirektor Dietrich Schwarzkopf vorab und ließ die entsprechende Passage durch eine wohlwollende Besprechung ersetzen. Unmittelbar nach der Ausstrahlung forderten zudem einige Intendanten die sofortige Absetzung der Produktion oder zumindest den Austausch des Moderators Ludwig Metzgers. Erneut schimpfte Schwarzkopf besonders heftig und warf dem Format vor, „das Instrument einer Fraktion im programminternen Bürgerkrieg“ zu sein, bei dem „die Gegenpartei machtlos“ bliebe. Offenbar stieß die dargebotene Transparenz und Selbstkritik bei einigen Führungskräften sehr schnell an die Grenzen des Erträglichen, weswegen Metzger gegenüber dem SPIEGEL erklärte, „längst nicht mehr sicher [zu sein], ob alle Verantwortlichen in der ARD das überhaupt ernst meinen.“

Auffallend viele der im zwei-monatlichen Rhythmus ausgestrahlten Episoden sorgten in den nachfolgenden Jahren für Kontroversen. Immer wieder störten sich die Vertreter der anderen Anstalten an der Nestbeschmutzung, wodurch es der Redaktion zunehmend schwerer fiel, ihre geplanten Themen durchzusetzen. So weigerte sich beispielsweise der ARD-Unterhaltungskoordinator Hans-Otto Grünefeldt zur Qualität des seichten Wochenendprogramm Stellung zu nehmen, während Radio Bremen seinem Angestellten Rudi Carrell sogar untersagte, dort als Gast aufzutreten. Im März 1975 hatte das Team dann ursprünglich vor, sich mit der Situation der freien Mitarbeiter der Sender zu beschäftigen, wogegen letztlich der WDR-eigene Intendant Klaus von Bismarck sein Veto einlegte. Dieser verbot ebenso die stattdessen vorgeschlagene Beschäftigung mit dem Vorwurf des „Rotfunks“, sodass letztlich eine Diskussion zu einem vorangegangenen Live-Report über den Protest einer Bürgerinitiative gegen Atomkraft gezeigt wurde.

Nur wenige Monate später wollte eine Sonderfolge von der Funkausstellung über das Zusammenspiel von Politik, Elektroindustrie und öffentlich-rechtlichem Rundfunk informieren und diesen Sachverhalt mit zwei Journalisten und zwei Programmleitern diskutieren. Unter ihnen befand sich auch Klaus von Bismarck, der Intendant des WDR. Davor allerdings war ein satirischer Beitrag geplant, der die „teils arrogante, teils hilflose Rolle der (nicht immer nüchternen) Intendanten beim öffentlichen Gespräch mit Messegästen“ entlarven wollte (Zitat aus dem SPIEGEL). Als von Bismarck diesen Beitrag kurz vorher sah und von den Protesten seiner Kollegen erfuhr, drohte er seinen Auftritt abzusagen, falls der kritische Einspielfilm gezeigt würde. Die Redaktion entschied sich schließlich, den Beitrag zu streichen, erklärte dies jedoch dem anwesenden Publikum, das mit Pfiffen reagierte.

Ähnlich verliefen die Vorbereitungen im Oktober 1977 für eine Ausgabe zur Frage, was deutsche Arbeiter vom Fernsehen erwarten würden. Erneut wurde das Thema vom WDR-Programmdirektor Werner Höfer mit dem Hinweis, dies sei eher Sozial- als Medienkritik, gekippt. Als Ersatz musste die Redaktion über den Trend der damals frischen „Talkshows“ diskutieren und Höfer selbst für ein Interview dazu einladen. Als Ludwig Brundiers, ein Mitglied der Redaktion, in einem Interview öffentlich seine Empörung über das Verbot des ursprünglichen Themas zum Ausdruck brachte, erhielt er umgehend seine fristlose Kündigung.

Die von den Intendanten vorgebrachten Vorwürfe blieben in all den Jahren im Kern stets gleich. Wiederholt wurde eine einseitige Berichterstattung bemängelt, die sich gezielt gegen die ARD richten würde und zusätzlich von einer „ideologisch bestimmten Kapitalismus-Kritik“ geprägt sei. Dennoch erwies sich das «Glashaus» als widerstandsfähig und langlebig. Im Februar 1976 gelang ihm sogar die Verlegung vom bisherigen Sendeplatz am Sonntagnachmittag um 14.00 Uhr auf den prominenteren Slot am Sonntagabend um 22.30 Uhr.

Angesichts der heftigen internen Proteste, ist es umso erstaunlicher, dass die Show im übrigen Deutschland kaum wahrgenommen und fernsehgeschichtlich selten besprochen wurde. Selbst die damalige Presse berichtete mehr über die von ihr ausgelösten Proteste als über die Sendung selbst. Wenn doch einmal die Gestaltung einer Ausgabe im Fokus stand, fielen die Urteile höchst unterschiedlich aus. Oft wurden nämlich der sprunghafte Ablauf und der zu sanfte Ton bemängelt. In der ZEIT vom 09. Februar 1973 war demzufolge zu lesen: „[...] etwas Milderes, Konfuses, Langweiligeres als das «Glashaus» vom 04. Februar lässt sich nun wirklich nicht denken. [...] Und so etwas nennt sich ein Beitrag zur Transparenzsteigung der Fernsehprogramme! Vor so etwas zittern die Bosse!“ An wieder anderer Stelle ließen sich hingegen lobende Worte für einzelne Folgen finden. Der renommierte Journalist Walter Jens stufte etwa die Nachbereitung der Anti-Atom-Proteste als „Meisterwerk“ und die „aufschlussreichste und erregendste Dokumentation, die das «Glashaus» jemals produziert hat“, ein.

Obwohl sich das Format als äußerst zäh zeigte, konnte es den aussichtslosen Kampf gegen die übermächtigen Intendanten auf Dauer nicht gewinnen. Auf diese Weise verwandelte es sich durch die jahrelangen „Verbote, Eingriffe, Ausgewogenheits-Spielchen und Behinderungen von oben, zum faden Ritual mumifizierter Medientheoretiker oder eitler Fernsehbarone“ (Zitat aus der ZEIT aus dem Jahr 1977). Als dann Martin Wiebel seine Funktion als Redaktionsleiter aufgab und der WDR nach dem Weggang von Höfer und von Bismarck eine mutlosere Führung erhielt, war das Konzept endgültig dem Untergang geweiht. Letztlich, so fasst es der Fernsehwissenschaftler Knut Hickethier zusammen, spiegelte sich in diesem Kampf die Frage wider, welche Rolle Fernsehen in gesellschaftlichen Diskursen einnehmen soll. Darf es solche Debatten auslösen und daran teilnehmen oder bloß den Raum für Diskussionen liefern und für einen Ausgleich zwischen den Meinungen sorgen? Am Ende sollte sich die zweite Position (gewaltsam) durchsetzen.

Ab Mitte der 80er Jahre befasste sich das Fernsehen wieder verstärkt mit sich selbst, weil darin die Möglichkeit einer erhöhten Zuschauerbindung erkannt wurde. Entsprechend kamen ab 1987 mit «Tele As», «MAZ ab», «Das hätten Sie sehen sollen» und dem «ZDF Glückstelefon» einige Produktionen auf, die sich lediglich auf eine unterhaltende und unkritische, meist sogar werbende Weise mit dem eigenen Programm befassten. Ein legitimer «Glashaus»-Nachfolger erschien erst ab April 2002 mit dem Magazin «Zapp» auf dem Schirm, wenngleich sich dieses dem ganzen Medienbereich und nicht nur dem Fernsehen widmete. Übrigens, seit 2014 stellten sich bereits Tom Buhrow, Lutz Marmor, Thomas Bellut und Norbert Himmler, die Intendanten und Programmdirektoren vom NDR, WDR und ZDF, live im Fernsehen den Fragen ihres Publikums. Immerhin ein erster Schritt in die richtige Richtung...

Möge die Reihe in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 31. März 2016.
25.02.2016 11:05 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/83997