Stefan Albrecht: ‚Echt, pur und fernab jeglicher Zuspitzung‘

Die zweiteilige RTL-II-Doku-Reihe «Hartz und herzlich» wirft einen Blick auf Menschen an der Armutsgrenze. Wir haben mit RTL-II-Docutainment-Leiter Stefan Albrecht über die Darstellung von Arbeitslosigkeit und Armut in der Dokumentation gesprochen.

Zur Person: Stefan Albrecht, Leiter Docutainment RTL II

Stefan Albrecht war Inhaber, Autor und unabhängiger Produzent der Produktionsfirma Fabulous Entertainment GmbH, wo er unter anderem die Produktion von «Shopping Queen» betreute. Der am 12.07.1967 geborene Produzent studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Regensburg und ist seit über 20 Jahren im deutschen TV-Geschäft tätig. 2015 trat er die Nachfolge von RTL II Docutainment-Chefin Andrea Lang an und betreut dort non-fiktionale Formate.
Ihre Doku-Reihe «Hartz und Herzlich» beschreibt sich selbst als „nah, authentisch und unverfälscht.“ Was bedeutet das für Sie bzw. wie würden Sie das Format beschreiben?
In «Hartz und herzlich» gestatten Menschen einen Einblick in ihr Leben. Menschen, die in Deutschland nah an der Armutsgrenze leben. Dabei war es uns wichtig, eine Umgebung abzubilden, die keine gängigen Klischees erfüllt, sondern einen Ort zu finden, der ebenso den Wandel von Tradition zur wachsenden Armut abbildet. Es war unser aller Bestreben – seitens RTL II und UFA Show & Factual, die das Format produziert hat, dass wir das Leben unserer Protagonisten komplett ergebnisoffen begleiten. Die Echtheit ist somit Stilprinzip der Erzählung.

Die VOX-Samstagabend-Dokumentation «Asternweg» kommt sofort in den Sinn. Inwiefern haben Sie sich von dieser und ähnlichen Dokumentationen inspirieren lassen?
Die Idee zu «Hartz und herzlich» entstand bereits – ganz unabhängig von «Asternweg» – im Frühjahr 2014. Und sicher lässt sich sagen: Eine Anzahl Dokumentationen mit ähnlich gelagerten, sozial relevanten Themen zeigen, wie gewichtig das Thema Armut in der öffentlichen Wahrnehmung ist. 


Was unterscheidet Ihre Herangehensweise von anderen Dokumentationen, die sich mit dem Thema Arbeitslosigkeit auseinandersetzen?
Grundsätzlich haben wir uns bemüht, konsequent auf Augenhöhe unserer Protagonisten zu erzählen und sie mit ihren Sorgen und Zielen zu verstehen. Wenn die Suche nach einem Meerschweinchen für Frank gerade das Thema ist, dann ist das eben so. Wir haben die Geschichten der Menschen aus der Duisburger Eisenbahnsiedlung nicht stellvertretend für irgendein übergeordnetes Thema erzählt, sondern einfach und unaufgeregt abgebildet. Kein intellektueller Überbau und auch keine journalistische Betroffenheit.

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Wir haben uns entschieden, diesen Luftballon steigen zu lassen, um nicht nur typische RTL II-Zuschauer zu erreichen. Ich glaube, dass Echtheit in der Erzählung eine für den Zuschauer zunehmend wichtigere Qualität darstellt.
RTL II - Docutainment Leiter Stefan Albrecht
Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe im Auge, wenn Sie ein Format wie dieses präsentieren?
Ehrlich gesagt, weniger. Uns hat das Thema interessiert und die Art, wie wir uns ihm erzählerisch annähern. Es war und ist ein großartiges Experiment und es freut uns, dass wir damit viele Menschen überzeugen konnten. Wir haben uns entschieden, diesen Luftballon steigen zu lassen, um nicht nur typische RTL-II-Zuschauer zu erreichen. Ich glaube, dass Echtheit in der Erzählung eine für den Zuschauer zunehmend wichtigere Qualität darstellt. Doch das ist ein anderes Thema.

Auf einer persönlichen Ebene: Was ist das Ziel der Reihe? Wünschen Sie sich, eine bestimmte emotionale Reaktion beim Zuschauer auszulösen? Oder vielleicht eine bestimmte Diskussion anzustoßen?
Unsere Dokumentation erhebt zunächst einmal gar nicht den Anspruch einer emotionalen Reaktion. Aber natürlich entsteht die zwangsläufig, wenn man sich als Zuschauer aus verschiedenen Lebensperspektiven dem Thema nähert und sich auf die ungewöhnlich lang erzählte Geschichte der Siedlung und ihrer Bewohner einlässt. Wir wollten die Realität abbilden – echt, pur und fernab jeglicher Zuspitzung. Wir wollten zeigen, dass Relevanz in unserem Programm ihren Platz hat, wenn wir sie auf unsere Art und Weise erzählen – auf Augenhöhe unserer Protagonisten, authentisch, ergebnisoffen.

Zur Sendung

«Hartz und Herzlich» ist eine zweiteilige Dokumentation über das Leben von Hartz IV -Empfängern und Menschen, die an der Armutsgrenze leben. Die Doku-Reihe konzentriert sich dabei eine spezifische Siedlung in Rheinhausen, einem Stadtbezirk in Duisburg. Der erste Teil wurde am Samstag, dem 20.02. ausgestrahlt und ist momentan in der RTL II - Mediathek zu sehen. Den zweiten Teil sendet RTL II am kommenden Samstag, dem 27.02. um 20.15 Uhr.
Eine mehrstündige Dokumentation bedeutet wahrscheinlich eine große Investition von Zeit und Arbeitskraft. Ist es schwierig in der heutigen Fernsehlandschaft, ein solches Projekt umzusetzen?
Vielen Dank für diesen Anstoß, mich bei den großartigen Kollegen der UFA zu bedanken. Es gehört schon ein gesundes Selbstbewusstsein als Produzent dazu, so ein Projekt anzugehen, zumal die Zeitspanne zwischen Drehende Anfang Januar und Ausstrahlung Ende Februar sportlich war. «Hartz und herzlich» ist ohne Frage ein aufwändiges Projekt, in das viel Zeit, Mühe und Arbeitskraft geflossen. Die über Monate geleistete, nahezu tägliche Arbeit vor Ort ist auf vielen hundert Stunden Material festgehalten und unser Team hat mit viel Herz vorerst insgesamt sechs Stunden Sendung hergestellt. Es war mir eine Freude, mit dem Team zu arbeiten.

Auf einer rein pragmatischen Ebene: Sind Sie bis jetzt mit dem Ergebnis zufrieden, also mit den Einschaltquoten und dem generellen Interesse an dem Format?
Die Quote werten wir angesichts des zurückliegenden Schnitts auf diesem Slot als Erfolg. Natürlich würde es mich freuen, wenn wir das Quotenergebnis am kommenden Samstag noch nach oben korrigieren können.

Was würden Sie als Erfolg ansehen? Wie wichtig sind Ihnen bei solchen Formaten die Einschaltquoten?
Die Quote ist bei einem Programm wie «Hartz und herzlich» einer von mehreren Gradmessern. Allerdings freut es mich, dass neue Themenfelder und Erzählweisen auch in unserem Programm ihre Freunde finden und wir auf diese Weise überraschen können.

«Hartz und herzlich» ist ohne Frage ein aufwändiges Projekt, in das viel Zeit, Mühe und Arbeitskraft geflossen. Die über Monate geleistete, nahezu tägliche Arbeit vor Ort ist auf vielen hundert Stunden Material festgehalten und unser Team hat mit viel Herz vorerst insgesamt sechs Stunden Sendung hergestellt. Es war mir eine Freude, mit dem Team zu arbeiten.
RTL II - Docutainment Leiter Stefan Albrecht
Arbeitslosigkeit gibt es natürlich im ganzen Land. Wie sah die thematische Herangehensweise aus bzw. wie kam es zu der Idee, gerade diese spezifische Siedlung unter die Lupe zu nehmen?
Wir haben über mehrere Monate im gesamten Bundesgebiet nach einer Gemeinschaft gesucht, in der auch die Armut den Alltag prägt. Dabei wollten wir aber nicht die erwartbaren Klischees erfüllen, die die Themen Hartz IV, Arbeitslosigkeit und Armut oftmals illustrierend begleiten. Die Eisenbahnsiedlung mit ihren Facetten und die Menschen haben am Ende in diesem Kontext am meisten überzeugt.

Wie sind Sie auf die verschiedenen Menschen gestoßen, auf die sich die Dokumentation besonders fokussiert? Wieso sind gerade diese Menschen der Mittelpunkt der Reihe?
Ausschlaggebend war die Bereitschaft der Menschen, sich von Fernsehteams begleiten zu lassen und über einen langen Zeitraum Einblicke in ihren Alltag zu gewähren. Um einen möglichst umfassenden Blick in die Eisenbahnsiedlung zu bekommen, haben wir mit sehr vielen Menschen gedreht, sowohl mit den in Armut lebenden Menschen als auch mit den langjährigen Siedlern.

Sehen Sie eine Perspektive für diese Menschen bzw. für deren Kinder, sich aus ihrer momentanen Lage zu befreien? Also Arbeit zu finden, ein besseres Leben zu führen?
Wir haben für «Hartz und herzlich» Menschen begleitet, die nah an der Armutsgrenze leben, um aufzuzeigen, wie sie ihren Alltag bestreiten und mit welchen Problemen sie konfrontiert sind. Wir bilden eine gesellschaftliche Situation ab, die vielen Zuschauern unerträglich erscheinen mag und ad hoc viele Fragen aufwirft, auch die nach einer Perspektive für die Familien und Kinder. Natürlich wünschen wir jedem einzelnen Menschen aus unserer Dokumentation, dass er einen Alltag leben kann, der ihn zufrieden macht. Ein gutes Leben zu führen, das bedeutet für jeden Menschen schließlich etwas anderes. In Armut zu leben gehört aber ganz sicher für die Wenigsten dazu.

Im kollektiven Unterbewusstsein gibt es, wie Sie schon sagten, ein Klischeebild des Hartz-IV-Empfängers, sogar der Begriff „Hartz IV“ birgt einen gewissen Schrecken in sich. Gab es Sachverhalte, Menschen, die Sie überrascht haben bzw. die Ihr Blickfeld, Ihre Perspektive auf die Problematik erweitert oder verändert hat und von denen Sie glauben, dass sie den Zuschauer überraschen werden?
Für das gesamte Produktionsteam und sicher auch für den Zuschauer sind die unterschiedlichsten Geschichten auch die Möglichkeit für ein gewisses Maß an Selbstreflektion: Ist es möglich, dass auch ich eines Tages Hartz IV in Anspruch nehmen muss? Gibt es Momente in meinem Leben, die ein Leben in Armut auslösen können? Welche Vorurteile und Meinungen habe ich gegenüber Menschen, die Hartz IV beziehen? Genau deshalb finden wir die Geschichten der Menschen aus der Siedlung so spannend und vielseitig: Sie alle haben uns mit ihren Lebensgeschichten auf verschiedene Weise berührt.

Der ehemalige Drogenabhängige Frank sucht in seiner Wohnung nach seinem Meerschweinchen, eine verliehene Twilight-DVD führt zu einem handfesten Nachbarschaftsstreit, ein Kioskbesitzer im Zentrum der Siedlung kommentiert locker das Geschehen in eben dieser Siedlung - Der Ton von „Hartz und herzlich“ bleibt eher ein leichterer, auch wenn Probleme wie Armut, Drogenabhängigkeit und chronische Schmerzen und Krankheiten verschiedener Protagonisten beschrieben werden. Bestand jemals die Sorge, die Probleme und das Leben dieser Menschen zu banalisieren oder ins Lächerliche zu ziehen?

Wir haben mehr zum Thema soziale Relevanz im Anstich. Dabei werden wir nach wie vor echt, aber dennoch zugespitzter der Frage nachgehen, ob sich Arbeit in Deutschland überhaupt noch lohnt.
Stefan Albrecht, bei RTL II für Docutainment zuständig
Wie in diesem Interview bereits mehrfach betont, stand für uns während des gesamten Projektes im Zentrum, echt zu bleiben und nicht zuzuspitzen, um dem Thema und den Menschen der Duisburger Eisenbahnsiedlung gerecht zu werden. Die Menschen haben für uns ihre Türen und ihr Leben geöffnet – und wir bilden es ab. Wir haben weniger darauf geachtet, jetzt angesichts der Schmerzen und Gebrechen plötzlich betont emotional zu erzählen. Interessant, wie Sie das irritiert.

Was können Sie zu zukünftigen Projekten sagen? Gibt es konkrete Pläne, neue mehrstündige Formate dieser Art umzusetzen? Und wenn ja, wie sehen diese aus?
Ja, wir haben mehr zum Thema soziale Relevanz im Anstich. Dabei werden wir nach wie vor echt, aber dennoch zugespitzter der Frage nachgehen, ob sich Arbeit in Deutschland überhaupt noch lohnt.

Vielen Dank für das informative Gespräch!

25.02.2016 15:50 Uhr  •  Stefan Turiak Kurz-URL: qmde.de/84013