Phänomen «Bares für Rares»: Schatzsuche im eigenen Keller

Die Trödelshow «Bares für Rares» streicht im ZDF-Nachmittagsprogramm beachtliche Erfolge ein. Liegt der Sendung etwa eine Erfolgsformel zugrunde?

Obwohl ein bekannter Fernsehkoch als Moderator fungiert, handelt es sich nicht um eine Kochshow. Junge und alte Menschen lassen ihre kleinen bis großen Schätze beurteilen und verhökern diese anschließend an den Meistbietenden in einer Gruppe bestehend aus fünf Händlern. Ein Erzähler versucht aus dem Off Dramatik zu erzeugen, füllt aber letztendlich die Stille nur mit leeren Worten. Was macht ausgerechnet diese Show im ZDF - Nachmittagsprogramm so erfolgreich? Handelt es sich etwa um eine Art Trinkspiel für junge Leute, die jedes Mal einen Kurzen heben, wenn der Erzähler etwas unglaublich Offensichtliches für den Zuschauer darlegt, was sich eigentlich mit Leichtigkeit aus dem Kontext der Sendung erschließen lässt? Gründe und Fragen gibt es jedenfalls genug, einen genaueren Blick auf dieses Phänomen der gemächlichen Schatzsuche zu werfen.

Andere Länder, gleiche Sitten


Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass das Konzept der Trödelshow erstens kein Neues und zweitens keines ist, das sich nur auf den deutschen Raum beschränkt. Das Fernsehgeschäft rund um das Raritäten- und Antiquitätengeschäft findet auch seit geraumer Zeit in den USA seinen Anklang: Im erfolgreichem US-Format «Storage Wars» handeln Auktionäre mit den Inhalten von Lagerräumen, deren Miete schon seit mehreren Monaten nicht mehr von den entsprechenden Mietern gezahlt wurde. Das Konzept hat sich erfolgreich nach u.a. Singapur, Kanada, Australien, Finnland, Italien, Portugal, Spanien und vielen, vielen anderen Ländern verkauft. Auch die Reality-Show «Pawn Stars», die der amerikanische History Channel ausstrahlt, beschäftigt sich mit dem Antiquitätenhandel. Die Sendung beschreibt das alltägliche Treiben im mittlerweile berühmten Familiengeschäft „World Famous Gold & Silver Pawn Shop“ in Las Vegas, das von dem Patriarchen Richard „Old Man“ Harrison, seinem Sohn Rick Harrison, dessen Sohn Corey „Big Hoss“ Harrison und Coreys Kindheits-Freund Austin „Chamlee“ Russell betrieben wird. Die schon 16. Staffel zeigt History als «Die drei vom Pfandhaus» immer montags zur besten Sendezeit auch in Deutschland. Hier schleppen Kunden eine ganze Reihe von mal mehr und mal weniger wertvollen Artefakten an, verhandeln über Preise und diskutieren über historische Hintergründe der entsprechenden Artikel. Das Format stand auf Platz 2 der Reality TV-Sendungen und knapp hinter «Jersey Shore», als es im Juni 2009 an den Start ging. Erklärungen für die Durchschlagkraft solcher Shows sucht man allerdings auch hier vergeblich.

Moderator Horst Lichter: Charmeur oder Schleimer?


Fernsehkoch Horst Lichter

Wilhelm Horst Lichter wurde am 15. Januar 1962 im heutigen Rommerskirchen geboren, wo er auch aufwuchs. Mit 14 begann er seine dreijährige Ausbildung zum Koch im Restaurant "Alte Post" und arbeitete als Jungkoch später u.a. in Köln und Mönchengladbach. Seine 1990 in Rommerskirchen eröffnete Gaststätte wurde fünf Jahre später unter dem Namen "Restaurant Oldiethek" bekannt. Weil er jedoch dem Restaurant wegen seiner anderen Aktivitäten im neuem Jahrtausend nicht mehr genug Aufmerksamkeit widmen konnte, musste das Restaurant 2010 geschlossen werden. Lichter kocht heute in ZDF-Sendungen wie «Lafer! Lichter! Lecker!» und moderiert die «Küchenschlacht». Außerdem ist er Autor von Kochbüchern wie "Genießen erlaubt! Die gute alte Küche neu entdeckt" und "Alles in Butter: Rezepte zum Glücklichsein".
Vielleicht liegt der Erfolg von «Bares für Rares» in der Person Horst Lichter begründet. Lichter ist ein Mensch, dem man den medialen Erfolg eigentlich gönnen sollte, wenn man nur einen kurzen Blick auf seine Biographie wirft: Bereits als Vierzehnjähriger bestritt er eine Ausbildung zum Koch und arbeitete später in der Brikett-Fabrik seines Vaters. Als er in finanzielle Schwierigkeiten geriet, schuftete er zusätzlich auf einem Schrottplatz. Eine Arbeitswut, die ihm schon mit Ende 20 zwei Schlaganfälle plus einem Herzinfarkt bescherte, die wiederum seinem Leben eine neue Richtung geben sollten. Nach einem Bericht des WDRs über sein berühmtes Gasthaus Oldiethek in Rommerskirchen-Butzheim folgten regelmäßige Auftritte in Johannes B. Kerners freitäglicher Kochshow und später bei «Lanz kocht». Seit 2006 kocht er zusammen mit Johann Lafer in der ZDF-Sendung «Lafer! Lichter! Lecker!» und liefert seit 2008 als Moderator und Jurymitglied regelmäßig die «Küchenschlacht». Wenn es so etwas wie Erfolgsgeschichten im deutschen Fernsehen geben sollte, dann ist sicherlich eine davon bei Horst Lichter zu finden.

Der Moderationsstil, den er oftmals bei «Bares gegen Rares» an den Tag legt, ist allerdings fragwürdig: Zu Beginn einer der Sendungen in der letzten Woche steht er neben der attraktiven Expertin für Kunst und Antiquitäten Dr. Heide Rezepa-Zabel. Mit den Worten „Heute haben wir wieder das Schönste und Erlesenste, was Deutschland zu bieten hat“ schaut er auf die groß gewachsene, dunkelhaarige Frau mit Hornbrille neben sich, täuscht eine Schmuse-Attacke an, kann sich aber gerade noch zurückhalten. Die Dame macht gute Miene zum dauergeilen Spiel, ringt sich ein Lächeln ab, das man durchaus als verbissen und erzwungen interpretieren kann. Mit viel Großzügigkeit findet sich hier etwas, was gelegentlich als Selbstironie durchgehen könnte. Lichter ist ein Charmeur, oder zumindest hält er sich dafür. Die Grenze zwischen Charme und Schleimigkeit nutzt er jedoch mehr als Sprungseil, über das er zu oft hin und her hüpft. Keine weibliche Kandidatin oder Mitarbeiterin, die er nicht versucht zu becircen. So gesehen, ist Lichter fast selbst eine Rarität einer vergangenen Ära, als Chefs ihre Sekretärinnen noch um ihre Schreibtische jagen konnten. Als neutraler Beobachter und mit ein wenig Abstand ist dies durchaus amüsant, auf Dauer kann das die Geduld des Zuschauers leider überstrapazieren.

Lichters Duktus setzt sich auch während der Sendung fort: Während die Kandidaten schon im Gespräch mit einem der Experten verwickelt sind, der den Wert der mitgebrachten Gegenstände einschätzen und sie gleichzeitig historisch einordnen soll, kommt der Moderator mit einem semi-witzigen Spruch um die Ecke. So zum Beispiel bei einem Kunden, der ein Gemälde losschlagen möchte, das ein Schiff in einem Sturm porträtiert. Horst Lichter dazu: „Mein Gott! Das Wetter sieht richtig mies aus darauf!“ Gelegentlich verwechselt er ein Geschwisterpaar mit einem Liebespaar, eine junge Frau namens Carolin erntet mehr als nur bewundernde Blicke von ihm, am Ende einer Episode hat Lichter sogar eine Schaufensterpuppe im Arm, mit der er nach seiner Abmoderation einen Walzer tanzt (jeder Zuschauer darf daraus seine eigenen Schlüsse ziehen). Man könnte diese Sendungsführung vereinzelt als lächerlich, wenn nicht sogar als katastrophal bezeichnen. Dennoch versteht sich Lichter gut darin, eine Brücke zwischen den manchmal zu verkopften Experten, die durchaus interessante historische Fakten über die dargebotenen Artefakte verraten, und den medienunerfahrenen Kandidaten zu schlagen: Von Silbermanufakturen ist mal die Rede, von künstlerischen Stilrichtungen wie der Rokoko-Ära, von Gotik, Spitzbögen und christlicher Symbolik. Die Zuschauer bekommen ein kleines Stück Geschichte geboten, das nicht unbedingt überfordert. Trotzdem wirken die Kandidaten zu aufgeregt, um diese Informationen aufnehmen zu können. Lichter versteht es zu beruhigen und sich selbst dabei auf die Schippe zu nehmen: Er verstehe auch oftmals nicht, wovon die Experten so reden und würde nur einfach mit dem Kopf nicken. Glauben tut man das ihm sofort.

Auf der nächsten Seite: «Bares für Rares» zeichnet sich vor allem durch einen immer gleichen Ablauf aus, der selten Überraschungen bietet


Routine und Wiederholungen mit seltenen Überraschungen


Generell zeichnet sich das Konzept von «Bares für Rares» durch Wiederholungen aus: Immer wieder stellen die Kandidaten eine vermeintlich wertvolle Rarität vor, welche sie auf irgendeinem Flohmarkt aufgegabelt, bei einer Auktion ersteigert oder von einem Familienmitglied geerbt haben. Das kann eine kleine Schneckenpost-Figur aus Porzellan sein, die mehrere Generationen durchlaufen hat, das kann der Familienschmuck sein, oder auch mal ein Gemälde, das von den Vorfahren etwas wertvoller geschätzt wurde, als es tatsächlich ist. Diese werden von den drei Experten Dr. Heide Rezepa-Zabel, Albert Maier und Oliver Kircher im Wechselspiel eingeschätzt. Etwas holprig versuchen die dramatische Musikuntermalung und der Sprecher, Spannung zu erzeugen, bevor die Experten ihr abschließendes Urteil und ihre Wertschätzung abgeben können.

Danach geht es für die Kandidaten in den Händlerraum. Dort sind die Figuren wesentlich bunter: Hier finden sich die elegante Antiquitätenhändlerin Susanne Steiger, der großväterliche Friedrich Häusser, der adrett in Hemd und Krawatte gekleidete Wolfgang Pauritsch, der langhaarige, gepiercte, hagere und große Paradiesvogel Fabian Kahl und der mit starken bayrischen Dialekt verhandelnde Ludwig Hofmaier, der wie ein sympathischer Gartenzwerg in bunten Hemden gekleidet schon mal leidenschaftlich für die Schönheit eines Bildmotives einsteht. Hier werden die potentiellen Schätze noch einmal von den Händlern eingeordnet, gelegentlich überbietet man sich gegenseitig, bis der Kandidat mit dem Preis zufrieden ist. Manchmal gehen die Kandidaten auch wieder unzufrieden mit ihrer Ware nach Hause. Ab und an präsentiert sich die ein oder andere Überraschung: Etwa eine süße, alte Dame, die zuvor angibt, keinerlei Verhandlungsgeschick zu besitzen, aber den Preis für ihr Verkaufsstück nur mit einem schweigendem Lächeln und der ein oder anderen Stichelei gegen einen der Händler in die Höhe treibt. Oder ein schüchterner Teenager, der den geerbten Ring seiner Großmutter versetzen möchte, weil er noch keinen Gedanken an zukünftige, potentiell-romantische Gesten gegenüber einer eventuellen Freundin verschwendet, sondern lieber für seinen Führerschein spart. Schüchtern mag er zwar sein, einschüchtern lässt er sich von den abgebrühten Verkäufern jedoch nicht. Auch wenn sie ihm noch so sehr versichern, dass er für den Ring keinen besseren Preis erhalten wird, bleibt der pickelige Teenager ein harter Verhandlungspartner und nimmt das gute Stück wieder mit nach Hause.

Schatzsuchende Kinder in erwachsenen Körpern


Das sind natürlich nur kleine, nette Anomalien, die aus der zeitweise einschläfernden Routine ausscheren. Denn insgesamt durchlaufen pro Sendung sechs Kandidaten dieses Prozedere bestehend aus Einschätzung und anschließender Verhandlung. Da ist man als Zuschauer zum Ende hin für Momente dankbar, die sich zu Augenblicke ehrlicher und absurder Komik hochschaukeln: Wenn ein Produkt einer längst vergangenen Staubfänger-Ära namens „Teppich-Dackel“ angeschleppt und vom Experten auf 0 bis 10 Euro geschätzt wird, müssen sowohl Moderator, Kunstexperte als auch der Kandidat, der das Gerät her kutschiert hat, ausgelassen und herzhaft darüber lachen.

Erklären lässt sich der Erfolg des Formats dadurch nicht. «Bares für Rares» hält höchstens als Fernsehritual her, das man im Hintergrund laufen lassen kann, und welches gelegentlich mit ein bisschen Kunst- und Industriegeschichte verziert wird. Wahrscheinlich macht die Kombination all dieser Faktoren den Reiz der Sendung aus: Das routinemäßige, selten oder nur verhalten Abwechslung bietende Gesamtkonzept, der gelegentlich übertrieben-charmante bis aufdringliche Moderator, die leichten Zankereien im Händlerraum und die Kandidaten, in denen hin und wieder mehr Verhandlungsgeschick zu stecken scheint, als sie sich selbst zugetraut haben. Vielleicht lässt «Bares für Rares» auch einfach nur in einer sehr moderaten und gelegentlich einschläfernden Art und Weise den Kindheitstraum einer abenteuerlichen Schatzsuche wieder auferstehen. Denn wer hat als Kind beim unerlaubten Umgraben des Vorgartens nicht davon geträumt, eine alte Speerspitze oder einen verborgenen Goldschatz zu finden oder beim Versteckspielen im Keller auf eine verschollene Schatzkarte zu stoßen?

Rein am Gewinn kann es nicht liegen. Zu selten springen mehr als nur ein paar hundert Euro bei den Verhandlungen für die Kandidaten heraus. Auch deren Wünsche sind recht bescheiden: Eine kleine Reise hier und ein bisschen Geld, das man anlegen kann, dort. Erwachsene Kinder findet man in in der Sendung dagegen auf jeden Fall: Wenn der 70jährige IT-Manager Klaus, der ein altes Roulette-Spiel verkaufen möchte, von seinen mit Verbrennungsmotor betriebenen Modell-Rennautos erzählt, leuchten nicht nur seine Augen auf, sondern auch die von Moderator Horst Lichter und Kunstexperte Oliver Kircher. Letztendlich bleiben wir wahrscheinlich alle, egal wir alt wir sind, im Herzen eben doch nur kleine Schatzsucher und Spielkinder.
20.03.2016 18:51 Uhr  •  Stefan Turiak Kurz-URL: qmde.de/84458