Einer wirft einfach einen Ring irgendwo rein, andere benutzen einen riesigen Dönerspieß als Pömpel gegen das Böse der Welt. Wenn Serien oder Filme enden, ist der Aufschrei meist groß. Doch zu Recht?
Das ewige Problem
Wir investieren Zeit, Gehirnkapazität, Nerven, Tränen und viele weitere Emotionen in fiktive Charaktere und ihre Abenteuer. Wir leiden mit, reden darüber, freuen uns auf neue Episoden und sind deprimiert, wenn wieder eine Staffel viel zu schnell zu Ende gegangen ist.
Kurzum: Wir sind mittendrin. Und wenn wir auch irgendwie akzeptieren können, dass jede Serie einmal ein Ende nehmen muss („lieber auf dem Höhepunkt aufhören…“), ist der Schlussakkord doch oft nicht nur inhaltlich, sondern auch qualitativ ein Drahtseilakt. Für Verantwortliche, wie für die Konsumenten – uns.
Das individuelle Erleben einer Serie folgt dabei selten einem für Andere nachvollziehbaren Kurs. Verschiedene Charaktere werden zu Bezugspersonen, einzelne Storypunkte bleiben hängen oder eben auch nicht und prägen mit einer ganzen Armada an anderen Puzzleteilen den gewünschten Verlauf dessen, was ganz zum Schluss, wenn das Licht ausgeht, als rundes Ende stehen soll.
Liest man in Foren und Zeitschriften quer oder spricht mit anderen Serienfans, drängt sich ein eindeutiges Bild auf: Nur selten realisiert eine Serie in letzter Konsequenz das, was sich die Fans wünschen. Es scheint, würde man abstimmen lassen, wäre selbst die einfache Mehrheit „pro Ende“ oft schwer zu bekommen. Doch woher kommt das? Schauen wir uns doch mal einige gängige Beispiele an.
Getting Lost
Wie oft habe ich seit dem Ende von «Lost» schon bitterböse Kommentare zu hören bekommen? Und wie oft habe ich darauf die immer gleichen (Schutz-)Reaktionen gezeigt. Ich habe von wunderschönen Metaphern fabuliert, von der Konzentration auf die Charaktere, davon, dass nicht alle Mysterien aufgelöst werden müssen. Kurzum: Ich habe das Ende der Serie oft verteidigt. Mit Messer zwischen den Zähnen und voller Leidenschaft.
Fakt ist dennoch, dass eine recht wortgewaltige Anzahl von Zuschauern meine Sympathie mit der Art und Weise, wie die Serie zu Ende ging, nicht teilen kann. Und man kommt nicht umhin sich zu fragen: Sind die alle zu blöd? Oder zumindest etwas reflektierter: Bin ich zu blöd? Ich bin kein Akademiker, maße mir aber dennoch an zu behaupten, dass ich die Serie, die letzte Season und das Ende durchaus verstanden habe. Zumindest zu einem gewissen – nicht niedrigen - Prozentsatz. Und natürlich gibt es über die ganzen Jahre lose Enden, Widersprüche, Fehler, nicht ganz optimale Auflösungen und ungünstige Entscheidungen. Keine Frage.
Doch ist «Lost» im Serienbereich damit sicher nicht allein. Wer sucht, der findet. Man muss für sich selber entscheiden, ob man seinen Fokus auf das große Ganze richten kann oder sich in Klein-klein verlieren möchte. Wenn eine Serie jedoch eine so dermaßen hohe emotionale Wucht entfacht, so liebevoll seine Charaktere positioniert und ausleuchtet und sich dann noch bemüht, primär eben deren Geschichte kreativ, spannend und eingebettet in all das Drumherum aus Fantasy und SciFi abzuschließen – dann kann ich für meinen Teil auch mit Aussetzern leben. Nun könnte man mich mit Recht fragen: Gibst du dem Ende der Serie aufgrund deiner Sympathie dann nicht vielleicht einfach zu viel Kredit? Ist hier mehr rosarote Brille im Einsatz als die Serie verdient hatte? Mag alles sein.
Ich glaube, dass die Serie schlicht ein wenig Glück hatte – zumindest was mich betrifft. Sie hat meine persönlichen Erwartungen erfüllt – die Geschichten der Charaktere zu einem guten Ende zu bringen. Hätte ich mich darauf konzentriert, die Mysterien am Ende haarklein erläutert haben zu wollen – ich wäre eventuell ziemlich ungehalten gewesen. Tja - somit landen wir also bei dem Problem der Erwartungshaltung – ein eindeutig hausgemachtes Problem. Oder doch nicht? Das wird zu klären sein.
Der Ring, der (mich) ewig knechtet
Aber Erfahrungen dieser Art gibt es nicht nur im Serienbereich – auch bei Filmen kann man bezüglich der individuellen Erwartungshaltung spannende Dinge erleben. Jahrelang hielt meine Frau und mich die «Der Herr der Ringe»-Trilogie in Atem. Im Kino sahen wir die normalen Fassungen, zuhause dann noch die Extended-Versionen obendrauf…
Insgesamt haben wir also mindestens 1281 Minuten, also knapp 21,5 Stunden und somit fast einen kompletten Tag in die Welt rund um das Auenland investiert. Und bis heute reduziert sich diese Erfahrung auf einen ganz schlichten Satz, den meine Frau jedes Mal wenn das Thema aufkommt, mit toternster und verbitterter Miene zum Besten gibt:
Und am Ende wirft der da einfach den Ring rein!
Nein, sie ist bis heute nicht ganz darüber hinweggekommen. Natürlich hat sich dieser Gag auch verselbstständigt – doch auch heute wundert sie sich zumindest noch über so viel Setup für diese eine, banale finale Szene. Allein schon deswegen ist ein Rewatch der Filme bis heute nahezu ausgeschlossen. Man könnte nun nicht gänzlich ungerechtfertigt einwerfen, dass sie ja bitte im Vorfeld die Bücher hätte lesen können. Das hätte ihr (und anderen) unter Umständen vieles erspart.
Doch hätte es das Ende in irgendeiner Form verbessert? Zugestanden – wenn ich weiß, dass meine Fußballmannschaft verloren hat, schaue ich die Sportschau vielleicht gar nicht erst an. Und wenn mich bei einem Buch das Ende genervt hat… eben. Ist meine Frau also selber schuld, sich nicht ausreichend informiert zu haben? Oder ist das Ende vielleicht viel besser als sie sagt? Was hätte die Filmreihe alternativ adäquat auflösen können?
Von der Mannigfaltigkeit des Scheiterns
Doch schlagen wir mal den Bogen zurück zur vielfältigen Serienlandschaft.
Bei «Dexter» hatte man kurz vor Schluss der Dreharbeiten schlicht vergessen „Cut!“ zu rufen. Vermutlich saß der Regisseur gerade auf dem Abort. So bekamen wir nach dem halbwegs erträglichen Ende, in dem Dexter willentlich und alleine in den Sturm segelt, noch eine – in meinen Augen absolut überflüssige – Szene kredenzt, in der er wie ein feiger Idiot, der Freundin und Sohn im Stich lässt, als bärtiger Holzfäller in die Kamera starrt. Charakterzerstörung vom Feinsten nach einer eigentlich zumindest noch halbwegs ordentlichen Abschlussstaffel. Oder?
Vergessen „Cut!“ zu rufen hat man offenbar auch bei «The Killing». Kaum jemand dürfte an das Überleben beider Hauptdarsteller geglaubt haben. Kaum jemand hätte wohl mit einem düsteren Ende ein Problem gehabt. Doch dann passierte etwas, das vielen Fans nur als vollkommen fehlgeleitetes Happy-End in Erinnerung blieb.
Bei der ersten Season von «True Detective» entschloss man sich ebenfalls zu einem solchen Happy End, das nicht unbedingt zu erwarten war. Dort jedoch empfand zumindest ich es als passend. Ungern hätte ich Rust und Marty nach ihrer Tortur zum Schluss nicht lebendig gesehen. Doch sahen das eine Menge Fans offenbar ebenfalls ganz anders.
Die Macher von «Star Trek: Enterprise» wollten ganz besonders nett zu ihren Fans sein und schrieben ein von Herzen kommendes Abschiedsgeschenk an alle Trekker. Leider übersahen sie dabei, dass sie ihre eigenen Serienhelden damit zu Statisten degradierten, denen am Ende noch von einem pummeligen Riker im Holodeck einfach der Saft abgedreht wurde.
Nicht den Saft ab sondern den Hals umgedreht hätten viele Fans gerne Ronald D. Moore nach dem Ende der Neuauflage von «Battlestar Galactica». In einer äußerst komplexen und für einige bis heute kaum zu durchschauenden Auflösung (bei der ähnlich wie «bei Lost» auch nicht alle Elemente explizit erklärt wurden), erreicht die Flotte „unsere Erde“ und begründet dort in „unserer Vergangenheit“ letztlich „unsere Kultur“. Deutlich wird dies am Ende auch, als Manifestationen von den physisch längst verstorbenen Six und Baltar im 21. Jahrhundert am New Yorker Times Square noch immer präsent sind und den Lauf der Geschichte verfolgen. Verkopft, abgehoben, hochtrabend – aber eben irgendwie auch verdammt clever.
Bei den «Sopranos» durfte man jahrelang mitfiebern, um am Ende in einer eigentlich lauschigen Restaurantszene mit einem schwarzen Bildschirm alleingelassen zu werden. Ist Tony tot? Was ist mit seiner Familie? Große Kunst oder Verrat an den Zuschauern?
Die Fans von «How I Met Your Mother» erfahren zwar nach langen Jahren tatsächlich, wie Ted die Mutter seiner Kinder kennenlernte. Man verliebte sich, heiratete, wurde Eltern. Doch dann? Frühstückt man in wenigen Minuten eine Erkrankung der geliebten Ehefrau bis zu ihrem Tod ab. Letztlich kommt Ted doch mit Robin zusammen. Man muss schon ordentlich Cojones besitzen, um derart mit den Gefühlen seiner Zuschauer zu spielen. Nach dieser Information war ich irgendwie froh, dass ich die Serie nie geschaut habe.
Ähnlich war es bei der äußerst beliebten Sitcom «Roseanne» gelaufen. Nach neun Staffeln brachte die letzte Episode die Enthüllung, dass Roseanne in Wirklichkeit viele Elemente der Serie und besonders der finalen Staffel frei erfunden hatte. Sie gibt sich per Stimme aus dem Off als Autorin ihrer eigenen umgeschriebenen Lebensgeschichte zu erkennen. So starb ihr Mann zum Beispiel bereits in Season 8 an seinem Herzinfarkt (und überlebte nicht wie in der Serie zu sehen), die Partner ihrer Töchter waren vertauscht, die Affäre ihres Mannes nach dem Herzinfarkt erfunden und auch ein hoher Lottogewinn nie passiert. Bis heute eine unter Fans kontrovers diskutierte Entscheidung, wenngleich psychologisch in Bezug auf den Charakter der Roseanne natürlich definitiv interessant.
Serien wie «Babylon 5», «Alias», «Chuck» oder «Fringe» merkte man während ihrer Laufzeit eindeutig die immer wieder drohende Absetzung an. Da wurde dann mal zwischendurch ein Gang hochgeschaltet und ängstlich auf ein Ende hingesteuert, dann doch wieder kehrt gemacht und eine neue Richtung eingeführt. Doch waren das eher produktionstechnische Gründe, die noch viel schwerer an irgendetwas festzumachen sind als bei Serien, die eine relative klare und gesicherte Laufzeit bekommen haben. Auf den Punkt: Die Schuldfrage ist dort noch schwieriger zu klären. Und erstaunlicherweise sind viele Serienfans bei derart problembehafteten Serien auch milder in ihren Urteilen. So zumindest mein Gefühl.
Letztlich ist es auch immer noch besser, als wenn den Produzenten und Autoren ihre Serie unter dem Allerwertesten weg abgesetzt wird. Wir als Zuschauer investieren in diese neue Welt und bekommen am Ende ein halbgares Produkt abgeliefert – meist ohne Mittelteil und fast immer ohne würdiges Ende. Prominente Beispiele sind hier «4400», «ALF» (bei der ich die Existenz des nachfolgenden Fernsehfilms schlicht und ergreifend aus meinem Gedächtnis gestrichen habe), «Firefly» (auch hier hat mich der Kinofilm kaum entschädigt), «Crusade» oder «Primeval» (bei der in der allerletzten Szene noch ein neuer Cliffhanger mit auf den Weg gegeben wird). Ganz aktuell natürlich auch die grandiose Serie «Hannibal», bei der aber immerhin versucht wurde, ein Ende einzukalkulieren. Die Zeit wird zeigen, ob und wem es dann am Ende passt. Oder eben mal wieder nicht.
Irgendwie ist unsere Haltung aber auch einfach zynisch. Wird eine Serie abgesetzt, jaulen wir ob des uns vorenthaltenen Endes. Wird sie nicht abgesetzt, ist das Ende meistens Mist. Böse, böse Welt.
Doch es gibt auch Glückspilze. So bekommen Serien wie «Roswell», deren Autoren jahrelang nicht wussten, ob sie nun endlich mal irgendetwas aussagen möchten oder nur weiter vor sich hinwabern wollen, ein Ende mit Ansage spendiert. Und was machen die Damen und Herren daraus? Sie liefern einen schier unübertroffenen Abschlusssatz:
Mein Name ist Liz Parker und mir geht es gut.
Sorry, mir ging es an dieser Stelle gar nicht gut. Mir war einfach nur übel.
Auch bei «Star Trek: Voyager» nutzte man das Wissen um die letzten 26 Episoden in keiner Weise. Als hätte es noch irgendwen interessiert, wären die Quoten im Falle einer kreativen Aufarbeitung aller Charaktergeschichten und einer Heimkehr schon mitten in der Season eventuell noch etwas weiter in den Keller gegangen, schrieb man sich dort lieber auf Autopilot dem Ende entgegen – um dieses dann mit einem wuchtigen Borg-Zweiteiler, einem schnell dahingehauchten „Set a course for home!“ und dem Abspann zu krönen. Implikationen der Reise? Warum?! Juckt doch eh keinen. Zuletzt die Produzenten.
Bei wieder anderen Serien sterben, kommen oder gehen über die (oft viel zu lange) Laufzeit so viele Charaktere, Storylines und sogar Zuschauer, dass es am Ende kaum mehr relevant oder zu beurteilen ist, wie das Ende zur Serie passt. Ich denke hier an «CSI Vegas», «Grey´s Anatomy», «One Tree Hill», «The X-Files» oder «ER».
Und läuft eine Serie wie «Smallville» mit zehn Jahren zwar ebenfalls eigentlich schon fast wieder zu lang, war aber nie richtig konkret von Absetzung bedroht und konnte ihre Story sogar mit fast allen wichtigen Darstellern zu Ende erzählen, dann heißt es am Ende seitens der Fans lapidar:
Frechheit! Jetzt sieht man ihn nicht mal wirklich als Superman!
Nein, es ist nicht leicht, Fernsehen zu machen.
Auf der nächsten Seite lest ihr, dass es auch ganz anders geht und welche Serien sich mit teils herausragenden Enden hervorgetan haben. Ob ihr meiner Meinung seid?
Jackpot
Doch es geht auch anders. Für mich persönlich ist zum Beispiel das Serienende von «Six Feet Under» mit der kraftvollen Abschlussmontage als Blick in die Zukunft ein perfekter Rahmen für alle Charaktere. Gänsehaut pur. «Desperate Housewives» bediente sich eines ähnlichen Stilmittels – ebenfalls mit Erfolg. Und auch «Star Trek: Deep Space Nine» arbeitete mit einer wehmütigen Montage der Charaktere, dazu gab es noch einen tränenfördernden Song im Club von Vic Fontaine. Wunderbar. Von der zehnteiligen Beendigung aller relevanter Storypunkte vorher ganz abgesehen. Oder – und nun oute ich mich nicht gerade als harter Kerl – nehmen wir das Ende von «Dawsons Creek». An sich schon ein All-time-Favourite meinerseits, am Ende jedoch auch nochmal schlicht wunderschön. Und Dawson darf am nächsten Tag Steven Spielberg treffen. Mehr geht nicht.
Doch auch in der Betrachtung der Allgemeinheit gibt es solche Serien. «Breaking Bad», «Star Trek: The Next Generation», «Sons of Anarchy» oder «Friends» scheinen einhellig als gelungen beendet angesehen zu werden.
Negative Stimmen sucht man dort weitestgehend vergeblich. Handelt es sich bei diesen Beispielen etwa um die ganz selten doch auftretenden hellen Momente, in denen wirklich alles für fast jeden passt? Ist hier die Qualität einfach wirklich höher? Sind die Serien nur schlichter gestrickt? Oder hat vielleicht eher eine übernatürliche Macht ihre Finger im Spiel gehabt?
Bei all diesen Fragen fühle ich mich gerade kurz wie Jonathan Frakes in «Beyond Belief: Fact or Fiction» – hat dessen Serie eigentlich ein Ende gehabt? Ich glaube nicht, dass ich ganz zum Schluss noch an Bord war… wobei: Einmal Riker zum Schluss am Stromkasten reicht eigentlich. Fragt mal bei Captain Archer nach.
Erwartungshaltung
Was hat es also mit unseren Erwartungen auf sich? Mit welcher Haltung gehen Zuschauer eigentlich an das Ende einer Serie heran? Wie baut man sich selber eine Erwartungshaltung auf? Wie beeinflussen die Autoren (vielleicht auch unbewusst) das, was wir uns für die Zukunft wünschen? Wie realistisch sind unser Wünsche und worin begründet sich die oft zu Tage tretende Diskrepanz?
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Sicher ist: Serien, die eine verzwickte Mythologie einführen sind oft gezwungen, in ihrem Verlauf immer weiter darauf aufzubauen. Antworten bringen neue Fragen hervor, andere Fragen geraten in Vergessenheit oder passen auf einmal nicht mehr in eine neue Richtung und werden vorsätzlich fallengelassen. In den seltensten Fällen ist die komplette Serie vorab ausgearbeitet. Und selbst wenn vorher ein großer Plan existiert, ist das keine Garantie für Kohärenz (man frage mal bei Herrn Straczynski bezüglich «Babylon 5» nach).
Die meisten Produzenten und Autoren sind gezwungen, flexibel auf verschiedene Faktoren einzugehen. Schauspieler kommen und gehen, Handlungsstränge funktionieren einfach nicht, das Studio mischt sich ein, Absetzung droht. Und selbst wenn eine Produktion von derartigen Faktoren weitestgehend verschont bleibt: Wie oft wechselt heute selbst bei erfolgreichen Formaten der Showrunner? Wie oft die Besetzung des Writers Room? Neue Kräfte bringen neue Ideen, verwerfen alte oder sind sich einiger Dinge schlicht nicht bewusst. Menschen machen Fehler. Und man sieht, wie leicht es ist, Entschuldigungen zu finden.
Für uns Serienfans, die wir dazu neigen, jeden Winkel „unserer Serie“ zu sezieren sind das natürlich keine adäquaten Argumente. Wir wollen ein perfektes Produkt, dessen innere Logik dem ständigen Abklopfen standhält. Doch darf das wirklich der Anspruch sein?
Das Leben ist ein Hospital, in dem jeder sein Bett wechseln möchte. (Charles Baudelaire)
Wenn man Herrn Baudelaire beim Wort nimmt, ist es schlichtweg nicht möglich, das Gros der Zuschauer zufriedenzustellen. Und tatsächlich neigen wir in den meisten Fällen einfach dazu, das Haar in der Suppe zu suchen. Im Großen wie im Kleinen. Im Job wie privat. Bei Partner oder Partnerin. Im Hobby wie beim Nachbarn. Dann muss doch wenigstens unsere Lieblingsserie unangreifbar sein. Irgendwie verrückt.
Denn, dass wir eine hohe Anzahl Haare in allen Suppen finden, ist kein Hexenwerk. Menschen machen Fehler und treffen falsche Entscheidungen. Nicht nur im Alltag sondern auch am Schreibtisch. Das betrifft Autoren von Serien und Filmen wie die Kollegen im Sektor des gedruckten Wortes. Ein George R. R. Martin hat auch irgendwann während seines erfolgreichen Thron-Epos mal den Faden verloren. Mit Kritik haben ihn seine Fans zumindest nicht verschont. Für ihn persönlich mag das was auf dem Papier steht jedoch vielleicht sogar exakt das sein, was er dort sehen wollte. Macht es das richtig? Oder falsch? Oder ist das gar nicht die Frage?
Und was diese Kolumne angeht – ich möchte gar nicht wissen, wie oft ich da inhaltlich schon falsch abgebogen bin oder die fiktive Realität verzerrt oder ihr Unrecht getan habe. Auch will ich gar nicht bezweifeln, dass ich schlicht zu doof bin, einige Serien so weit zu durchsteigen, dass ich sie wirklich beurteilen kann. Vielleicht schützt mich meine Beschränktheit ja auch vor Enttäuschungen? Wenn dem so sein sollte, werde ich vermutlich leider nie in der Lage sein, das zu realisieren. Vielleicht ist Schlichtheit also ein Geschenk. Zumindest in diesem Fall.
Doch zurück zu den Haaren und der Suppe. Brauchen wir also vielleicht unsere Unzufriedenheit und die ewige Suche nach Fehlern für unser Selbstwertgefühl? Ist unser Ego Antriebsfeder für das Zerpflücken der Werke anderer?
Wenn man die Generation „BILD“ als Indikator nimmt, mag diese Vermutung stimmen. Das Hochloben und Niederreißen von Idolen wird nirgendwo so zelebriert wie in Deutschlands beliebtestem Schmierblatt. Der gefährlichste Ort ist immer der Gipfel – von dort kann es nur abwärts gehen. Und alle schauen gerne dabei zu.
Bei Serien ist das letztlich nicht anders. X liebt seine Serie. Y kann nichts damit anfangen. Auf einmal liest Y, dass sich in der Serie ein böser Logikfehler eingeschlichen hat. Ein gefundenes Fressen, dem Kollegen X das debile Dauergrinsen aus dem Gesicht zu wischen. Was ich nicht mag, soll einem anderen auch keine Freude machen. Ist das die Denke? Kann so etwas Spaß machen? Sind tatsächlich niedere Instinkte im Spiel? Oder drifte ich hier inzwischen so weit vom eigentlichen Thema ab, dass mir keiner mehr folgen kann?
Wer hat denn nun Schuld?
Keiner. Ich unterstelle, dass so ziemlich jeder an einer Serie Beteiligter in seinem bescheidenen Rahmen versucht, zum Gelingen beizutragen. Das unterscheidet ihn aber in letzter Konsequenz auch nicht wirklich von den Damen und Herren von der Straßenreinigung, der Bäckereifachverkäuferin oder meiner Zahnarzthelferin. Die geben auch im Normalfall ihr Bestes – trotzdem ist das Brötchen morgens mal zu hart oder das Absaugen beim Bohren geht zu langsam. Auch diese armen Menschen haben bessere und schlechtere Tage, leiden unter ihren Bossen oder stehen kurz vor dem Burn-out. Kann man es wissen?
Man muss schon sehr zynisch gestrickt sein, wenn man seinen Mitmenschen Fehler verweigern will. Die Sache mit dem Glashaus und dem Stein. Vielleicht sollten wir einfach ein wenig entspannter mit unserer Erwartungshaltung umgehen. Die Zigarre einfach mal eine Zigarre sein lassen, um es mit Freud zu sagen. Etwas was uns Spaß macht, muss nicht perfekt sein. Wir sind es doch auch nicht. Wenn es Spaß macht, hat es meist schon einen großen Dienst in unserem Leben geleistet.
Ewige Unzufriedenheit ist das mit Abstand wirkungsvollste empfängnisverhütende Mittel gegen Augenblicke des Glücks. (Ernst Ferstl)
Ich möchte mir mein Glück nicht von den unvermeidbaren Unzulänglichkeiten anderer kaputt machen lassen. Und andere sollten mit mir bitte genauso nachsichtig sein. Nötig ist es allemal.
Conclusio
Solange Menschen mit Menschen zusammen im Auftrag von Menschen etwas für andere Menschen erdenken und servieren, befinden wir uns in einem schier unüberwindlichen Teufelskreis aus Erwartungshaltung, Inkompetenz, Launenhaftigkeit, Fehlentscheidungen, Fehleinschätzungen oder schlicht Pech. Denn selbst wenn A und B wissen was G und Z wollen, kann jederzeit noch C, D, E oder G dazwischenfunken und etwas beisteuern, was I, J und mindestens Y gar nicht gut finden werden. Dafür aber auf jeden Fall L, O und S. Wobei S seine Meinung auch gern mal ändert, wenn T mit guten Argumenten zur Tür reinkommt.
Und in allerletzter Konsequenz müssen wir es eben doch mit Christian Dietrich Grabbe halten:
Wer Zahnweh hat, wünscht, dass es Kopfweh wär’, und wär’ es Kopfweh, würd’ er Zahnweh wünschen.
Menschen sind so. Menschen müssen so sein. Genießen wir nicht nur gemeinsam das, was wir sehen, hören oder lesen, sondern auch unseren Unmut darüber. Lächeln wir es weg und erfreuen wir uns an dem, was uns Freude gibt. Jemand anderes hat sein eigenes „Ding“ – und auch wenn wir daran herummäkeln: Er wird es weiter mögen. Vielleicht sogar noch etwas mehr. Aber hören wir nicht auf, zu Fragen und zu Suchen. Denn das treibt uns alle an und macht uns in letzter Konsequenz auch besser. Den Otto Normal auf der Straße und auch den armen Serienautoren, der keine Fehler machen darf.
Wenn wir alle nur noch selig lächeln und vollkommen unreflektiert auf unseren Ottomanen wegdämmern, käme eines ganz sicher zu kurz: Die Diskussionskultur. Und das wäre eine Art von Kommunikationssendepause, die zumindest ich sicher nicht erleben möchte.
Jetzt noch ein Amen hinterher und ich qualifiziere mich direkt für den nächsten Kirchentag.
Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Wo habe ich Recht oder auch absolut Unrecht? Welche Serienenden passen, welche gar nicht? Und woran lag das für euch? Was führt zu euren Erwartungshaltungen? Vor welchen Enden aktueller Serien habt ihr am meisten Angst? Und was können Fernsehschaffende generell tun, um uns Zuschauer im Gros zufriedener mit ihren Produkten zurückzulassen? Denkt darüber nach, sucht nach Antworten und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.
In 14 Tagen sehen wir uns zur nächsten Ausgabe von «Sülters Sendepause».
Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.
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