Die Kritiker: «Das Geheimnis der Hebamme»

Ein Film ohne Blick auf seine wirklichen Möglichkeiten. Das Erste legt eine XXL-Version der verschiedenen «Hebammen»-Filme auf: Diesmal geht es für die junge Marthe ins 12. Jahrhundert, wo sie ihre besonderen Talente zum Einsatz bringt.

Cast & Crew

  • Regie: Roland Suso Richter
  • Darsteller: Roby O. Fee, Steve Windolf, Susanne Wuest, Verena Altenberger, Dirk Borchardt, Sabin Tambrea
  • Drehbuch: Stefan Holtz, Florian Iwersen, nach einem Roman von Sabine Ebert
  • Kamera: Martin Gschlacht, Max Knauer
  • Schnitt: Bernd Schlegel
  • Musik: Sebastian Pille
  • Produktion: Bavaria Fernsehproduktion, Lotus Film und Wilma Film
Es ist natürlich immer ein bisschen unfair deutsche TV-Produktionen mit der amerikanischen Konkurrenz zu vergleichen – natürlich kann die ARD keine Multimillionen-Dollar-Budgets aus dem Klingelbeutel schütteln, das ist auch völlig in Ordnung. Allerdings sollte man stets einen realistischen Blick auf seine Möglichkeiten haben, denn wenn der fehlt, dann kommt so etwas wie «Das Geheimnis der Hebamme» raus….

Hard Facts


Zum Anfang ein paar harte Fakten zwecks Vermeidung von Konfusion. «Das Geheimnis der Hebamme» hat nichts mit dem Sat.1-Geburtshelferinnensplatter «Die Hebamme» von 2014 zu tun, allerdings wurden beide Titel von nicht unähnlichen Müttern fast zeitgleich zur Welt gebracht. Die letztgenannte Produktion basiert auf einer 2005 veröffentlichten Romanvorlage der 1958 geborenen Ex-Journalistin Kerstin Cantz, die 1958 geborene Ex-Journalistin Sabine Ebert warf 2006 „Das Geheimnis der Hebamme“ ins Rennen und landete einen Überraschungshit - hatte aber im Gegensatz zu ihrer Kollegin das ganz große Epos im Blick: Während Cantz es bei einem Buch beließ (die im Februar dieses Jahres gesendete Fortsetzung basiert auf keiner Romanvorlage), schickte Ebert vier weitere Folgen hinterher. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es auch eine ZDF-Produktion mit dem Titel «Die Hebamme - Auf Leben und Tod» von 2010 gibt, die zwar auf keiner literarischen Vorlage basiert, aber inhaltlich in ähnlichen Gefilden wildert.

Wer hätte gedacht, dass Hebammen eine solche Zugkraft entwickeln? Man darf gespannt sein, wann Hollywood das kommerzielle Potential dieses Berufsstands entdeckt, dann dürfte als nächstes ein neues Superheldinnen-Franchise ins Haus stehen. Übertrieben? Mag sein, aber «Das Geheimnis der Hebamme» erinnert tatsächlich ein wenig an die verfilmten Sprechblasen-Abenteuer der vergangenen Jahre, denn auch hier muss jemand lernen mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten umzugehen, um zur vollen Reife zu gelangen.

Mit der Hebamme ins 12. Jahrhundert


Inhaltlich dreht sich alles um Marthe, ein junge Frau mit besonderen Talenten. Sie ist eine hervorragende Hebamme, sie kann dank überragender medizinischer Kenntnisse Krankheiten fast jeder Art heilen und besitzt zudem seherische Fähigkeiten. Wer über solche Gaben verfügt, sollte im 12. Jahrhundert besser den Ball flach halten, denn allzu schnell wird eine direkte Leitung zum Teufel vermutet. So muss Marthe dann auch vor dem Burggrafen fliehen, als dessen Sohn tot zur Welt kommt. Ihre Flucht führt direkt in die Arme von Ritter Christian, der mit einer Gruppe Siedler in der Markgrafschaft Meißen ein neues Zuhause aufbauen will. Es kommt, wie es kommt, Christian verliebt sich in die geheimnisvolle Frau, der Weg zum gemeinsamen Glück ist allerdings auch für die Zuschauer lang und steinig, denn „Das Geheimnis der Hebamme“ hat mit so einigem zu kämpfen.

Das beginnt schon bei der visuellen Seite: Man versäumt völlig einen Flair für die Zeit, in der man sich befindet zu vermitteln, egal ob Personal oder Inventar, vieles fühlt sich zu geleckt an, der sterile Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass man über weite Teile peinlichst genau darauf achtet, dass bei den Schauwerten wie zum Beispiel diversen Kämpfen oder Geburten der Puls des Publikums nicht allzu sehr in die Höhe klettert, sprich: Obwohl die Geschichte bis zum Anschlag mit Blut und Schleim unterfüttert ist, sieht man praktisch nichts, was nicht nur unnatürlich, sondern auch schlichtweg billig wirkt.

In Kombination mit der völlig einfallslosen, regelrecht desinteressierten Regie, die während der gesamten drei Stunden höchstens ein, zweimal aufwacht, ansonsten aber völlig glanzlose Bilder produziert, stellt sich schnell ein bisschen der Eindruck ein, man wohnt einer Aufführung von Rollenspielfans bei. Das wäre in den 1980er-Jahren vielleicht (gerade) noch durchgegangen, aber Fernsehen muss anno 2016 nun wirklich nicht mehr so aussehen.

Richtig schlimm wird’s aber auf der inhaltlichen Seite. Gut, der Roman war schon kein Dostojewski, aber die Drehbuchautoren scheitern - und das wird auch dann spürbar, wenn man die Vorlage nicht kennt – völlig daran, den 650-Seiten-Wälzer in drei Stunden zu gießen. Von Dramaturgie kann man da kaum noch sprechen, es werden vielmehr Ereignisse aneinandergereiht und das mit extrem holprigen Timing: So begegnet zum Beispiel Marthe in einer Szene erstmalig dem bösen, natürlich in Darth-Vader-Schwarz gehüllten Ritter Randolf und wird bereits eine gefühlte Minute später in einer neuen Szene von ihm und seinen Vasallen vergewaltigt, um gleich darauf aus Schutzgründen in eine vormals abgelehnten Heirat mit einem Dorfbewohner einzuwilligen. Das geschieht alles ruckartig, ohne jedes Gespür für die inhärente Dramatik der Geschehnisse. Dieser Holterdipolter-Rhythmus führt gegen Ende auch zu einer wunderlichen Blüte: König Otto, vormals als ekliger Egoist gezeichnet, der keine Probleme hat seine Untergebenen bis aufs Blut auszubeuten, zeigt sich nach der unspektakulären finalen Auseinandersetzung urplötzlich als verständiger Herrscher mit Sinn für Gerechtigkeit. Entweder hatte man hier die Continuity völlig aus den Augen verloren oder es wird ein Teilstück - wie heute ja üblich - noch in späteren Fassungen nachgereicht.

Wobei man Otto aber immerhin so was wie eine Entwicklung attestieren kann, die beiden Hauptfiguren - und das ist auch das mit Abstand größte Problem des Films - bleiben statisch und zudem völlig fremd. Man erfährt praktisch nichts über die Charaktere. Ritter Christian ist von der ersten bis zur letzten Minute so gut und edel, dass man an ihm nach kürzester Zeit ein komplettes Handbuch an mittelalterlichen Folterpraktiken durchexerzieren möchte. Ähnlich verhält es sich mit Marthe, die im Laufe der Zeit lediglich lernt ihre Talente besser zu nutzen, ansonsten aber immerzu die leicht trotzig schauende, stets hilfsbereite junge Frau bleibt, wobei angemerkt werden soll, dass das immerhin im Titel angekündigte „ Geheimnis“ schnell keine Rolle mehr spielt und die Figur in ihrem eigenen Film oftmals völlig an den Rand gedrängt wird oder sogar komplett aus der Handlung verschwindet.

Das einzig Geheimnisvolle ist hier die Frage, wie so ein Film überhaupt abgenickt werden konnte, denn offenbar haben sich die Beteiligten hier völlig übernommen.

Mal abgesehen von der Qualität: Es ist nachvollziehbar, dass die ARD im Binge Watching-Zeitalter nicht hinten anstehen möchte, allerdings bietet die Konkurrenz Pinkelpausen in Form von Werbeblöcken oder Stop-Buttons, ob man diese ursprünglich ohnehin als Zweiteiler konzipierte Produktion auf Teufel komm raus an einem Abend runterputzen muss, ist fraglich.

«Das Geheimnis der Hebamme» ist am Freitag, den 25. März 2016, ab 20.15 Uhr in der ARD zu sehen.
23.03.2016 09:42 Uhr  •  Thorsten Hanisch Kurz-URL: qmde.de/84489