«Zorn» ist nicht immer ein guter Ratgeber

Die Kritiker: Der Kriminalist mit dem wütenden Namen ermittelt wieder im Ersten. Gelingt ein gutes Comeback nach zuletzt mittelmäßigen Filmen?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Stephan Luca («Super-Dad») als Zorn, Axel Ranisch («Wie man leben soll») als Schröder, Alice Dwyer («Feuer in der Nacht») als Frieda Borck, Katharina Nesytowa («Im Angesicht des Verbrechens») als Malina, Monika Lennartz als Schröders Mutter, Susanna Simon als Berit Steinherz, Pit Bukowski als Melvin Pryhl, Gregor Weber («Familie Heinz Becker») als Bert Kanthak, Horst Sachtleben als Eugen Benz und andere


Hinter den Kulissen:
Regie: Jochen Alexander Freydank, Buch: Stephan Ludwig, Musik: Rainer Oleak, Kamera: Philipp Timme, Schnitt: Esther Weinert, Produzent: Jens Körner, Produktion: filmkombinat

Es hat sich einiges verändert für Zorn: Sein Partner Schröder hat den Dienst quittiert und betreibt jetzt sein eigenes Bistro, dem man die Leidenschaft zwar anmerkt, das aber auch trotz guter Lage kaum Gäste anzieht. Doch Zorn hält es ohne Schröder nicht aus, jeden Tag besucht er seinen ehemaligen Kollegen, der am Ende des letzten Falles aufgehört hatte, um Zeit für seinen dementen Vater zu haben. Wenn man übermäßig zynisch sein wollte, so könnte man sagen, dass dem Vater das Mehr an gewidmeter Zeit nicht wirklich gut getan hat – er hat es nämlich nicht überlebt. Freilich würde das Schröders positiven Bemühungen und der Realität nicht gerecht werden, zudem ist der Vater logischerweise trotz und nicht wegen Schröders löblichen Mühen verstorben. Dennoch: Einen wirklichen Grund nicht zur Polizei zurückzukehren, gibt es für Schröder nun nicht (mehr). Neben seiner Familie und dem Bistro ist eine Leidenschaft eben immer noch das Ermitteln. Und weil Zorn seinen neuen Kollegen Kanthak aus tiefster Seele hasst, versucht er sein mäßiges Verhandlungsgeschick einzusetzen, um Schröder zurückzubekommen. Was hier schon positiv auffällt: Die übergeordnete horizontale Storyline kommt nicht zu kurz, wird auch nicht wie bei so manch anderem Film stiefmütterlich abgefrühstückt oder unnötig unlustig-menschelnd dargestellt. Nein, sie bewegt sich auf einer zwar persönlichen aber nicht verkitschten Ebene und dominiert vor allem nicht zu sehr.

«Zorn – Wie sie töten» nennt sich der neueste Fall des namensgebenden Kriminalisten mit dem wütenden Namen. Der Titel des ARD-Krimis verspricht also Morde und die Motive dahinter. Eine bekannt spannende Grundidee, die vielseitige Facetten zur Betrachtung anbietet. So wählt die öffentlich-rechtliche Produktion doch einen ganz anderen Zugang als das durchaus anspruchsvolle RTL-II-Format (sic!) «Gottlos». Zweifelsohne aber prägt die Herangehensweise eine drastische dramaturgische Intensität. Gleich zum Auftakt muss so mit angesehen werden, wie eine junge Dame einen unwesentlich älteren Mann vor eine einfahrende S-Bahn schubst. Der Zuschauer muss nicht lange warten, bis sich die persönlichen Zusammenhänge erschließen: Die Täterin ist Krankenschwester in dem Pflegeheim von Schröders Mutter – schon allein deshalb bekommt der Fall eine brisante, ganz persönliche Note. Nur warum tötet sie? Das erschließt sich nicht sofort. Doch auch isoliert davon betrachtet ist der Fall spannend, weil die Schwester auch ganz abseits von jeglichen schrecklichen Taten betrachtet wird. Und eben, weil ihre Motive sich zunächst nicht wirklich erschließen und der Zuschauer erst nach und nach hinter die Fassade zu schauen beginnt.

Steckbrief

Frederic Servatius schreibt seit 2013 für Quotenmeter. Dabei ist er zuständig für Rezensionen und Schwerpunktthemen. Wenn er nicht für unser Magazin aktiv ist, arbeitet er im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder schreibt an seinem Blog. Immer wieder könnt Ihr Frederic auch bei Quotenmeter.FM hören. Bei Twitter ist er als @FredericSrvts zu finden.
Die ohnehin schon absolut seltsame Schwester, deren Unterkühlung Susanna Simon mit einer Kälte auf die Schirme bringt, dass das Vanilleeis zum Nachtisch wieder gefriert, wird noch durch ihren Lehrling Melvin verstärkt, der als Vollzeitpsychopath ebenfalls kaum glaubwürdiger transportiert werden könnte. Neben Schröder und Zorn hat sich so ein zweites brillierendes Duo gefunden. Bei manchen Sätzen ist man sich dann nicht sicher, ob das nun überspitztes Klischee oder realitätsnaher Wahnsinn ist. Doch letztlich gruseln Aussagen wie „Die Menschen. Es sind zu viele. Sie atmen mir die Luft weg.“ zuvorderst. Das gilt zusätzlich, weil Melvin mit seinen Orangen, von denen er glaubt, dass sie durch bloßes Anstarren die gesunden Vitamine in seinen Körper pumpen, ein wahrhaft Besessener ist.

Perfekte Pläne und gröbere Schnitzer


Kleine Schnitzer aber gibt es dann doch: Dass die Schwester – die doch eigentlich alles perfekt durchplant – grob-fahrlässig einen blutigen Wattebausch im Zimmer eines Opfers zurücklässt, scheint beispielsweise kaum glaubwürdig. Ferner gibt es vielleicht ein oder zwei Begegnungen zwischen Ermittlern und Täterin zu viel. Auch dadurch wirkt die Produktion nicht so siedend heiß wie wohl beabsichtigt. Einen ähnlichen Effekt hat zudem Zorns Umgang mit seiner Partnerin Malina. Hier lässt er den Zuschauer gelegentlich verdutzt zurück. Nichtmal in einer lebensgefährlichen Bedrohungslage scheint seine Geliebte oberste Priorität zu haben. Dennoch: Die Produktion bleibt vor allem wegen der kauzig bis unheimlich agierenden Charaktere und deren Motiven interessant.

Gerade wer nur als Gelegenheitszuschauer reingezappt hat, mag außerdem eventuell befürchtet haben, dass Schröder sich ganz verabschieden könnte und der Ausstieg aus der Polizei dann ein Ausstieg auf Raten für die gesamte Reihe wäre. Doch wer das Format – und insbesondere die neue Episode – mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, der dürfte auch ohne Kenntnis jeglicher äußerer Umstände schnell bemerken, dass die gesamte Handlung darauf ausgelegt ist, Schröder wieder ins Team zurückzuhieven. Insofern also dürfte das Finale diesbezüglich wenig überraschend sein, auch wenn es in seinen Details doch zumindest gut inszeniert ist und einen gelungenen Kniff mit sich bringt, der an dieser Stelle aber noch nicht verraten werden soll. Wichtig aber, dass Schröder weiter mit an Bord ist, denn Zorn und Schröder funktionieren eben vor allem als Duo. Der Humor ebenso wie Tragik und Spannung auf Seiten der Ermittler entwickelt sich eigentlich stets im Zusammenspiel der beiden, wie auch in diesem Fall wieder. Deshalb ist wohl auch die Namensgebung der Reihe ohnehin mehr formal-sprachlicher Kniff als inhaltliche Aussage ist. Präsenz im Titel hätte Schröder jedenfalls auch verdient.

Zorn und der Porno-Schnauzer


Doch auch der neue Kollege von Zorn bietet interessante Reibungspunkte. Denn der sieht mit seinem Porno-Schnauzer nicht nur aus wie ein Kriminalist aus den 80er-Jahren, sondern tanzt auch so. Doch Zorn gibt ihm zugegebenermaßen auch keine Chance und macht ihn für jeden kleinsten Fehler zur bärtigen Schnecke. Das ist menschlich so unfair wie verständlich, birgt aber ebenfalls neuerliche unterhaltsame Momente. So versucht Zorn seinem Gegenüber beispielsweise zu verklickern, dass und wie er gefälligst an die Tür zu Klopfen habe und ignoriert dabei jegliche inhaltlichen Beiträge seines Kollegen zum aktuellen Fall.

Makellos ist die Produktion «Zorn» insgesamt auch in ihrem vierten Fall nicht, der Ermittler Zorn ist es ohnehin nicht. Doch die brisant gelungenen Figurenkonstellationen sorgen dafür, dass insgesamt ein spannender und unterhaltsamer Krimi entsteht, der an Menschen und deren Fassaden zweifeln lässt. Dass der Wahnsinn in unterschiedlichsten Ausprägungsformen irgendwie bei allen mitspielt, springt einem dabei regelrecht ins Auge. Ob allerdings die nun im Grundsatz wiederhergestellte aber im Detail doch leicht veränderte Figurenkonstellation in Zukunft relevante Reibungspotenziale bietet, muss sich erst noch zeigen. Aber wer mag bei einem solchen brisanten Fall in der Gegenwart schon in die Zukunft blicken.

«Zorn – Wie sie töten» läuft am Donnerstag, 14. April um 20.15 Uhr im Ersten.
12.04.2016 11:38 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/84887