Musikfernsehen ist tot? Ein Sender schickt sich in diesen Zeiten an, diese oft gehörte Phrase zu widerlegen: Deluxe Music, das im März mit neuen Quoten-Rekorden von sich reden machte. Gelungen ist dieser Aufstieg dank einer konsequenten Ausrichtung auf einen Mangelmarkt - bei gleichzeitiger Öffnung zum Mainstream.
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Auf Basis der kontinuierlichen programmlichen Weiterentwicklung in den vergangenen zwei Jahren und stetig wachsender Bekanntheit haben besonders die moderierten Formate mit den Musikexperten Markus Kavka («Kavka Deluxe») und Jennifer Weist («Update Deluxe») zu dem starken ersten Quartal beigetragen. Aber auch Musikshows wie «Deluxe Top 25» oder «80s Extreme» kommen gut bei den Zuschauern an.
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Ulrike Unseld, Verantwortliche für Musikportfolio und Vermarktung beim Deluxe-Eigentümer High View Media, zu den Gründen des Erfolgs
Vier Jahre ist es inzwischen her, dass der 2005 gestartete Landshuter TV-Sender Deluxe Music an den Schläuchen hing und erst in allerletzter Sekunde - heißt: nach einem bereits eingereichten Insolvenzantrag und der Verbannung aus den Kabelnetzen von Unitymedia und Kabel Deutschland - zurück ins Leben geholt wurde. Nachdem es zunächst so schien, als friste man weiterhin ein Dasein am äußersten Rand der deutschen Senderlandschaft, kam insbesondere in den letzten Monaten spürbar Bewegung in den lange Zeit lahmenden Gaul: Mit 0,5 Prozent erreichte Deluxe Music im März einen neuen Allzeitrekord bei den 14- bis 49-Jährigen, nachdem im Vorjahresmonat gerade einmal rund 0,2 Prozent zu Buche gestanden hatten. Ein mehr als vorzeigbares Ergebnis, wenn man bedenkt, dass der Sender nicht Teil eines großen Medienkonzerns ist und sich somit jedes Bisschen Aufmerksamkeit hart erkämpfen muss. Doch wie kommt es zu diesem Wachstum?
Nach dem Beinahe-Aus war eine deutliche Neuausrichtung des Kanals erkennbar: Er öffnete sich deutlich gegenüber dem aktuellen Mainstream, was ihm gerade beim jungen Publikum zugute gekommen sein dürfte. Er bemüht sich zunehmend darum, das Dogma der Videoclip-Abspulstation aufzuweichen und die Marke Deluxe Music mit dem einen oder anderen Sendergesicht zu verbinden - etwa mit Jennifer Weist oder Markus Kavka, die seit einiger Zeit wöchentliche Formate moderieren. Vor allem aber bedient man einen Markt, bei dem vornehmlich aufgrund des Scheiterns von MTV und Viva und der Erfolge von Online-Videoportalen eine Art Minimalkonsens aufgekommen ist, dass dieser heutzutage zumindest im klassischen linearen Fernsehen angeblich gar nicht mehr vorhanden ist. Was dabei gerne vergessen wird: In der Sparte gibt es nach wie vor Menschen, die nicht die Zeit oder mitunter auch nicht den Überblick auf die Vielfalt an Angeboten haben, die in der Rock- und Popwelt geboten wird - und die sich nach einem entsprechenden Angebot fernab des Formatradios sehnen.
Wie groß diese Sparte derzeit ist und wie groß diese eventuell auch noch werden kann, wenn der Zuschauer nicht mehr mit erbarmungswürdigen Vivas oder Minisendern abgespeist wird, die schlicht nicht die finanziellen Möglichkeiten für ein hochwertiges und abwechslungsreiches Breitenangebot haben, ist fraglich und diskutabel. Das Publikum aber mit musikalischen Instant-Billigsuppen abzufertigen und ihm gleichzeitig zu unterstellen, generell keinen Appettit mehr auf Suppen zu haben, lässt sich zumindest einmal hinterfragen. Und genau das tut Deluxe Music derzeit mit zunehmendem Erfolg.
Das Programm: Mainstream in der Daytime, Spezielles am Abend
Inhaltlich kann man den Musiksender in seiner derzeitigen Form grob als Dychotomie beschreiben, die der Ausrichtung diverser Radiokanäle nahe kommt: Auf der einen Seite ist da das Tagesprogramm, das mit überwiegend populärer Musik aufwartet. Die dazu gehörigen Formate heißen «Hot Now» für die aktuell angesagte Musik, «Number Ones» mit Titeln, die in der Chartgeschichte einmal die Spitzenposition der Hitparade erreichten, «Essentials» oder die «Morning Show». Bei aller Mainstream-Orientierung sei diesen Formaten zugute gehalten, nicht bloß mehr oder minder die aktuelle Top 100 in der Endlosschleife durchzududeln: «Hot Now» wagt sich beispielsweise regelmäßig, relativ unbekannte Acts der Gegenwart zu spielen, «Number Ones» blickt nicht selten zurück in die 80er oder 90er, die «Morning Show» ist ein Mischmasch aus all dem.
Deutlich vielseitiger liest sich allerdings das Aufgebot am Abend, das sich nicht in ein so enges Korsett zwängen lässt, immer wieder mal mit neuen Sendungen aufwartet und zudem auch die beiden eigenproduzierten moderierten Formaten in ihren Erstausstrahlungen umfasst.
«Update Deluxe» läuft immer dienstags um 22 Uhr und präsentiert unter der Leitung von Jennifer Weist die neusten Videoclips auf dem Markt. Hin und wieder wird diese Plattform allerdings auch genutzt, um Interviews mit bekannten Musikern oder Newcomern zu führen - zuletzt etwa Silbermond oder Fran Healy, dem Sänger von Travis. Prinzipiell keine schlechte Idee, zumal Weist als Musiker-Kollegin auf Augenhöhe diskutiert - leider rückt hier dann aber die Musik mitunter ein wenig in den Hintergrund, weshalb perspektivisch eine eigene Sendung für derartige Interviews vielleicht die bessere Idee wäre.
Für Schlagzeilen sorgte ferner vor einigen Monaten das Engagement von Markus Kavka, dem vielleicht größten Sendergesicht MTVs. Sein Fundus an interessanten Hintergrundgeschichten und seine Telegenität müssten aber doch eigentlich für mehr reichen als ein 15-minütiges wöchentliches Format, das derzeit immer etwas zwischen Tür und Angel montags um 19:45 Uhr hineingequetscht wirkt. Vor allem am etwas späteren Abend werden dann viele weitgehend unbekannte Stücke gespielt, zumeist auch eingeflochten in Formate, die sich explizit an eine spitzere und entdeckungsfreudige Zielgruppe richten. Auch für die Retro-Fans und etwas älteren Zuschauer gibt es eigene Formate, die explizit nur Titel aus den 80ern bzw. 90ern spielen - also den eigentlichen Hochzeiten der Produktion hochwertiger Musikvideos. Zudem gibt es in unregelmäßigen Abständen immer wieder mal Specials wie zuletzt beispielsweise die Discography des australischen Weltstars Sia Furler oder das eine oder andere Konzert. Auch auf den Tod des Weltstars Prince reagierte man rasch und zeigte bereits am Folgeabend eine Clipstrecke seiner größten Hits - die aber leider nur über Facebook angekündigt wurde und damit an einigen potenziellen Interessenten vorbeigerauscht sein dürfte.
Generelle Ausrichtung: Vom Snobismus zur Plattform für alle
Gerade seitdem es sich zu einer Art gesellschaftlichen Konsens entwickelt hat, Musikfernsehen generell als ausgestorben zu brandmarken, hat es wohl keinen deutschen Sender mehr gegeben, der in dieser Sparte derart konsequent und mit einem dermaßen breiten Aufgebot bestückt versuchte, sich dem entgegenzustellen: Ja, Deluxe Music wird seinem Claim "Echtes Musikfernsehen" in der Tat gerecht und hat damit eine klare und konsequent genutzte Handschrift. Dem folgt man auch bei der Wahl seiner (noch etwas wenigen) Sendergesichter, die ihre musikalische Kompetenz bereits unter Beweis gestellt haben - die "Praktikerin" Weist als Frontfrau einer der wenigen erfolgreichen deutschen Rockbands der jüngeren Vergangenheit, der "Theoretiker" Kavka bereits in diversen Musikformaten.
Auch hinsichtlich der Aufmachung gibt sich Deluxe seit einiger Zeit deutlich nahbarer und weniger verstaubt-elitär, wie es vor allem in der Zeit vor der Insolvenz oftmals wirkte. Lediglich Formate wie «Chefsessel» oder «Raumfeld Deluxe» erinnern weiterhin an diese Zeiten - was ja auch nicht verwerflich ist im Hinblick auf den anvisierten Abwechslungsreichtum und der Erschließung unterschiedlicher Zielgruppen mit unterschiedlichen Geschmäckern -, umfassen inzwischen allerdings nur noch wenige Stunden am Sonntagabend. Mit dieser Abkehr vom Snobismus, die sich im Falle von «Raumfeld Deluxe» beispielhaft durch die Vokabeln "Qualitätsmusik für allerhöchste Ansprüche" oder "Edel-Hits" artikuliert, macht man sich deutlich nah- und greifbarer, vor allem für die so wichtige junge Zuschauergruppe.
Die Probleme: Videomangel, wenig Interaktion, verschenktes Nachtprogramm
Fraglos ist aber auch wahrlich nicht alles Gold, was unter dem Namen Deluxe Music glänzt. Ein großes Problem, mit dem generell die edlen Ritter zu kämpfen haben, die noch immer das Musikfernsehen hochhalten wollen, ist schlicht der Mangel an Musikvideos: Vor allem unbekanntere Künstler investieren mittlerweile schlicht nicht mehr die finanziellen und organisatorischen Ressourcen, hochwertige Clips zu drehen - weshalb unter anderem Lukas Grahams "7 Years" wochenlang nur mit einem provisorischen Video lief oder Kygos "Firestone" in Form eines Lyric-Videos, die heutzutage von vielen Acts produziert werden. Oftmals mit dem Hintergedanken, im Falle eines kommerziellen Erfolgs einen "echten" Clip noch nachproduzieren zu lassen, wobei nicht nur das Wann, sondern oftmals auch schon das Ob selbst bei vielen Charthits längst fraglich ist. Hier machen sich gegenüber den Zeiten, in denen Viva und MTV noch ironiefrei als Musiksender bezeichnet werden konnten, dann eben doch die Zeichen der Zeit bemerkbar.
Ein zwar wachsender, aber noch immer ziemlich kleiner Faktor ist die Interaktion zwischen Sender und Publikum. Auch dem Umstand geschuldet, dass es nur zwei regelmäßige Moderatoren gibt, die gerade einmal gut eine Stunde des wöchentlichen Programms bestücken, wirkt Deluxe nach wie vor recht unpersönlich und distanziert. Mit Formaten wie «Jukebox», einigen Gewinnspielen und Abstimmungen über wöchentliche Hitlisten wird der Zuschauer schon hin und wieder involviert, aber eben nicht systematisch und durchgängig. Darüber hinaus kam es in den vergangenen Monaten mehrfach vor, dass Songs und die Bauchbinden mit Interpret, Songtitel und Erscheinungsjahr nicht synchron waren - teilweise über Stunden hinweg. Und auch wenn die Facebook-Verantwortlichen auf Rückfragen und Kritik sachlich und freundlich antworteten, wirken solche Vorfälle insbesondere dann ein wenig unprofessionell, wenn sie mehrfach vorkommen.
Ein schwieriges Thema ist dann noch das Nachtprogramm. In der Regel fünf bis acht Stunden lang zeigt man hier Wolkenkratzer, Landschafts- und Naturaufnahmen, die konsequent mit einer sehr - nunja, dudeligen Jazz-Musik bestückt werden. Das ist speziell, das findet bestimmt irgendwo in Deutschland auch seine Nische, wo man so etwas zu schätzen weiß. Aber natürlich empfindet der deutlich überwiegende Teil der Musikfreunde dieses Gedudel schlicht und einfach als Zeitverschwendung, sodass man dieses Programmkonzept zumindest in dem Ausmaß, in dem es aktuell noch realisiert wird, zumindest einmal in Frage stellen kann. Das eine oder andere Korallenriff müsste seine Entertainer-Qualitäten dann wohl anderweitig unter Beweis stellen, aber man hätte Zeit und Platz für noch mehr wirkliches Programm - unter Umständen beispielsweise für das eine oder andere Video, das aus Jugendschutzgründen erst zu ganz später Stunde ausgestrahlt werden darf.
Wie ist Ihr Eindruck von Deluxe Music?
Fazit: Eine neue Bastion für Musikliebhaber kommt auf
Fassen wir einmal zusammen, was in diesem Artikel wortreich geschildert wurde, so kann man Deluxe Music in der Tat als einen Musiksender im wahrsten Sinne des Wortes bezeichnen: Sieben Tage die Woche läuft 24 Stunden täglich Musik, nur unterbrochen durch Reklame, den Moderationen der beiden einzigen Sendergesichter Jennifer Weist und Markus Kavka sowie gelegentlichen Interviews. Mit dieser Ausrichtung hat man zuletzt einige Erfolge im kleineren Rahmen gefeiert, ein großer Hype blieb bis dato allerdings aus - was nicht zuletzt auch daran liegt, dass der Sender nicht im großen Ausmaß auf interaktive Elemente setzt.
In der jüngeren Vergangenheit hat man sich merklich von seinem langen Zeit sehr elitären Image entfernt und sowohl in der Zuschaueransprache als auch vor allem hinsichtlich der Musikauswahl in Richtung Mainstream gestrebt - ohne allerdings die Experten und Liebhaber komplett zu verprellen. Macht Deluxe in ähnlicher Form weiter, dürfte der Aufwärtstrend des letzten Jahres anhalten, wenngleich es mit der klaren Fokussierung auf Musik wohl niemals aus der Sparte herauskommen wird. Für Musikfans jedenfalls, die das Fernsehen nicht als völlig antiquiertes Medium begreifen, in dem Musik nicht funktionieren kann, ist dieser Sender in jedem Fall einen Blick wert. So wie es dieser Sender auch verdient hätte, die Musiksender-Karikatur Viva in Bälde zu überflügeln.