Wenn es um Late Night in Deutschland geht, denken viele an Harald Schmidt, Raab oder Gottschalk in den 90ern. Doch gab und gibt es noch andere Formate, die sich an dieser Spielart versuchten. Was fehlt uns zu den großen US-Vorbildern? Was macht es so schwer, das Format hierzulande zu etablieren? Und wer könnte überhaupt die bestmögliche deutsche Late-Night-Show moderieren?
Peer Theer & Konsorten
Die erste Sendung, die im deutschen Fernsehen so etwas wie Late Night-Atmosphäre verbreitete, war entgegen der landläufigen Meinung nicht das von Thomas Gottschalk ab 1992 produzierte RTL-Vehikel «Gottschalk Late Night», sondern im Gegenteil die kleine, aber feine Sendung «Schmidteinander» mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein, die der WDR seit 1990 regional und von 1994 an bis zur Einstellung bundesweit ausstrahlte.
In den 50 Episoden witzelte, kalauerte und improvisierte das brillante und ungleiche Duo sich und die Zuschauer um den Verstand. Die Show enthielt nur dezente Parallelen zu den amerikanischen Late-Night-Shows, gerade die wunderbar verschrobenen Einspielfilme rund um
Hänschen Klein,
Peer Theer oder
Superstein – Retter der Hausfrauen oder die wiederkehrenden Charaktere
Oma Sharif oder
Fozzi-Bär wurden aber zu Kult und bleiben bis heute im Gedächtnis.
Hier zeigte Harald Schmidt bereits seine Qualitäten in Sachen komödiantisches Timing – besonders da die Texte größtenteils von einem Könner wie Herbert Feuerstein geschrieben wurden.
RTL probierts mit Gottschalk & Koschwitz
RTL, besonders in den 90ern noch für Mut und innovatives Querdenken bekannt, wollte es dann 1992 jedoch auch wissen und setzte die erste deutsche Late Night (genauer: Die erste deutsche Unterhaltungssendung nach 22.00 Uhr) mit einem Gastgeber um, der ebenfalls als absoluter Könner galt. Thomas Gottschalk, der das Format mit seinem Bruder Christoph erdacht hatte, startete am 28. September mit «Gottschalk Late Night» immer ab 23:15 Uhr in eine Abendshow, die sich den US-Vorlagen zwar anbiederte, aber doch vorsätzlich auf wesentliche Elemente der klassischen Late Night verzichtete.
Zu Anfang schritt Gottschalk eine große Treppe herunter und hielt einen klassischen mehrminütigen Monolog. Es gab eine Liveband, kleine Sketche und als Hauptteil Studiogäste, was die Sendung oft eher zu einer Talkshow werden ließ.
Die Presse überschüttete die Show und ihren Gastgeber, der dafür extra «Wetten, dass..?» verlassen hatte mit Häme, zudem waren die Quoten meist enttäuschend. Nach mehreren Änderungen am Format (und einer Namensänderung zu «Gottschalk täglich») wurde schon nach drei Jahren der Stecker gezogen. Dennoch wurde die Shows zum Vorreiter für einige Kollegen, die schon bald die Bildfläche betreten sollten…
„
Es ist schon seltsam: Obwohl er alles wie immer macht, macht er doch – mit einem Mal – alles falsch. Der Witz ist schal geworden, der Charme zotig, das Tempo nur oberflächliche Dynamik.
”
Damalige Bewertung von Gottschalk Late Night in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
1994 hatte man zur Überbrückung von Gottschalks Sommerpause zusätzlich noch den beliebten Radiomann Thomas Koschwitz angeheuert, der zeitweise den Sendeplatz übernahm und sich in seiner «RTL Nachtshow» etwas stärker am amerikanischen Vorbild orientierte. Nachdem Koschwitz in der Folge zunächst einen eigenen Slot erhalten hatte (und dort trotz später Stunde starke Reichweiten erzielen konnte), durfte er nach Gottschalks Abgang dessen Sendeplatz ganz übernehmen. Dort funktionierte die Show jedoch nicht mehr wie gewünscht, so dass am 17. November 1995 die letzte Ausgabe ausgestrahlt wurde.
Sat.1 kopiert 1:1
Kommen wir deshalb nun zum in der breiten Wahrnehmung unangefochtenen König der deutschen Late Night: Harald Schmidt. Nicht nur, dass sich seine am 5. Dezember 1995 auf Sat.1 gestartete «Harald Schmidt Show» zunächst vollständig an der zur gleichen lokalen Uhrzeit bei CBS ausgestrahlten «Tonight Show – Late Night with David Letterman» orientierte, auch Studio und Ablauf wurden nahezu vollständig kopiert. Dieser Kopierwahn reichte vom anfänglichen Monolog von Schmidt über eine Phase am Schreibtisch, in der Einspielfilme und Sketche geboten und Dialoge mit Side-Kick Manuel Andrack oder Bandleader Helmut Zerlett geführt wurden, bis hin zum Interviewteil und Live-Musik.
Mit durchschnittlich rund einer Million Zuschauern von 1995 bis 2003 konnte man zwar nicht von einem Riesenerfolg sprechen, das Format hielt sich aber über diesen langen Zeitraum relativ konstant und bewies, dass das Ur-amerikanische Konzept auch hierzulande umsetzbar war.
Nach einer selbstgewählten Kreativpause, einem unnötigen Wechsel zur ARD und zurück zu Sat.1 landete die Show zum Schluss bei Sky, das sich einen Prestigegewinn versprach, im März 2014 jedoch nach insgesamt rund 1800 Ausgaben endgültig den Stecker zog.
Übrigens: Die von Sat.1 2004 noch eilig angesetzte Nachfolgeshow «Anke Late Night» mit der wunderbaren Anke Engelke hielt trotz vergleichbarem Konzept nur 68 Episoden und fünf Monate durch. Somit zeigte sich erneut: Es muss einfach vieles passen. Manchmal reicht die Summe der Teile nicht.
Raab does as Raab can
Im Jahr 1999 kam dann auch ProSieben auf den Geschmack: Mit dem durch VIVA bekannten Metzgersohn Stefan Raab setzte man auf einen schlagfertigen und zielgruppenkompatiblen Brachialhumoriker, der den Zeitgeist der jüngeren Deutschen mehr als traf. Sein oft respektloser und zeitweise gar arroganter und dünnhäutiger Umgang mit Pleiten, Pech und Pannen seiner Mitmenschen und deren Reaktionen brachte ihm jedoch auch des Öfteren Probleme ein und schmälerte sein durchaus erfolgreiches und positives Bild in der Öffentlichkeit.
Sein in Köln produziertes «TV Total» beinhaltete zwar wie einige Vorgänger typische Late-Night-Elemente (Band, Eröffnungsmonolog, Gäste, Schreibtisch), unterschied sich aber durch die vielen Einspielfilme und das Bühnenbild auch stark von den US-Vorbildern. Mit 16 Jahren und 2303 Ausgaben war sie in jedem Fall die langlebigste Late Night-Variante im deutschen Fernsehen und endete am 16. Dezember 2015 nur durch Raabs selbstgewählten Frühruhestand.
Nischenprodukte
Neben diesen bekannten Formaten gab und gibt es jedoch auch noch einige andere Varianten, die sich ihren Platz erkämpfen konnten. So strahlt bereits seit 2003 der SWR die zuerst von Matthias Holtmann (als «SWR3 Ring frei!») moderierte Sendung «SWR3 latenight» aus, die 2005 Pierre M. Krause übernahm.
Die nur Freitags und somit einmal wöchentlich laufende Show erinnert mit ihren Sketchen zeitweise an «Schmidteinander», besonders wenn Krause als Höhlenmensch Witze erzählt (
Humor in der Steinzeit) oder als Pathologe (in
CSI: Baden-Baden) ermittelt. Ein absolut liebenswertes Kleinod und laut Pressetext humorvoll als „meistgesehene Late-Night-Show im SWR Fernsehen“ gepriesen. Kunststück, sie ist dort natürlich die einzige.
Die vom aktuell oft und viel zitierten sowie erwähnten Jan Böhmermann moderierte Show «Neo Magazin Royale» (früher «Neo Magazin») läuft seit Oktober 2013 auf ZDFneo und seit 2015 auch im ZDF.
Braucht Deutschland denn Late Night?
Keine einfache Frage: Schaut man sich die Quoten an und setzt sie in Relation zu der über die Jahre definitiv vorhandenen Qualität, die einige Inkarnationen auch hierzulande erreicht haben, lautet die Antwort vermutlich
nein.
Late Night führt in Deutschland bisher ein Schattendasein, das zwar zumindest bei Harald Schmidt und Stefan Raab lange ein treues Publikum fand, aber eben keine Scharen anlockte oder gar einen Hype auslöste. Auch fand und findet Late Night hierzulande nicht in dem Maße in den Medien statt wie im Mutterland des Formats.
Dennoch sollte es eigentlich auch in Deutschland ausreichend politische, gesellschaftliche und im Allgemeinen Medien-Themen geben, die ein cleverer und unterhaltsamer Kopf mit Hilfe eines engagierten und findigen Teams täglich pointiert kommentieren könnte. Dazu ein unterhaltsamer Gast, vielleicht mal Musik und ein paar vorproduzierte Filme - dieses Denken müsste zu einem klaren
ja führen. Unterstellen wir mal das Vorhandensein kreativen Potentials im redaktionellen Bereich, ist die Frage somit am Ende immer, wen man dort vorne auf die Bühne stellen kann, damit so ein Format über Jahre tragfähig wäre.
Wer hat´s denn bisher am besten gemacht?
Richtige deutsche Late Night haben letztlich nur Thomas Gottschalk, Namensvetter Koschwitz und Harald Schmidt zelebriert – Gottschalk mit einer riesigen Portion Eigeninterpretation, Schmidt und Koschwitz so nah an den US-Originalen wie möglich. Bei allen hat das inhaltlich durchaus funktioniert und zumindest zeitweise ein Publikum gefunden.
Was Schlagfertigkeit, Humor und Alleinstellungspotential angeht, hat Gottschalk jedoch nicht nur zeitlich, sondern auch in der Summe klar die Nase vorn gehabt. Der Altmeister der deutschen Unterhaltung hat von 1992 bis 1995 die besten Elemente aus Übersee mit Ur-Deutschem und 100% Gottschalk kombiniert - ein Mix, der damals aus verschiedenen Gründen nicht recht passte, doch trotzdem ziemlich optimal war. Ob es beim in die Jahre gekommenen Gottschalk noch zu einer generationsübergreifenden Ansprache reichen würde, ist natürlich fraglich bis unwahrscheinlich – gerne zusehen mag man ihm aber in jedem Fall noch.
Vielleicht findet sich ja in naher Zukunft auch ein gänzlich neues deutsches Talent für einen weiteren großflächigen Versuch – in Sicht ist aktuell zwar keins, doch sollte man die Hoffnung nie aufgeben. Vielleicht ist aber auch der Ansatz eines Nischenproduktes in Sachen Late Night für Deutschland genau richtig – in diesem Segment haben wir es aktuell in jedem Fall mit zwei charmanten Vertretern zu tun, die sich beide ihre Einzigartigkeit erkämpft haben. Und wer Sehnsucht nach echter, großer US-Late Night hat, für den bieten die deutschen TV-Anstalten und das Internet ja ebenfalls genug Möglichkeiten.